Der Mensch hinter den Ziffern…

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Der Mensch hinter den Ziffern…

HbA1c-Werte, Blutzuckermessergebnisse, Insulineinheiten etc. … Zahlen sind omnipräsent in der Diabetestherapie und helfen dabei, eine gute Stoffwecheleinstellung zu erreichen. Doch sie können auch überfordern und Stress ausüben, sagt Günter Nuber in der Blickwinkel-Kolumne.

“Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen …” Dies dichtete einst der romantische Novalis. Ich habe das immer so verstanden: Das Verkopfte, das Nüchterne, das Sachliche entfernt den Menschen vom Menschsein. Die Freiheit zu denken, zu feiern, zu lieben … die Wahrheiten der Märchen: Wenn die Menschen dies alles erkennen, “dann fliegt vor einem geheimen Wort, das ganze verkehrte Wesen fort”.

Nun: Wer Diabetes hat, der kommt nicht aus ohne sehr sachliche Insulindosisberechnungen, Blutzuckerverläufe, KE-Berechnungen, ohne Datenmanagement – sprich: Zahlen.

Beispiele gefällig? Diabetikern wird in etwa Folgendes empfohlen:

  • Nüchternblutzucker: deutlich unter 160 mg/dl (8,9 mmol/l)
  • vor dem Essen: 90 bis 120 mg/dl (5,0 bis 6,7 mmol/l)
  • nach dem Essen (2 Stunden): 140 bis 160 mg/dl (7,8 bis 8,9 mmol/l)
  • Blutzuckerlangzeitwert (HbA1c): unter 7 Prozent

Wichtige Daten für die Gesundheit, aber nicht fürs Gemüt …

Viele Zahlen und Buchstaben, nicht? Das ist sinnvoll und wichtig, das ist gut für die Gesundheit … aber glücklicher, das steht für mich fest, macht dies die Menschen nicht. In den sozialen Netzwerken, auf Blogs, auf Facebook zeigen viele Diabetiker heutzutage nicht nur ihr Gesicht – wer sich dort bewegt, der postet seine unfassbar hohen oder viel zu niedrigen Blutzuckerwerte, der postet seine Hypoglykämie (ja, das geht!), der postet sein soeben in Erfahrung gebrachtes HbA1c.

So wie Bloggerin Steffi (www.pepmeup.org) – kürzlich postete sie ein Foto mit blauem Himmel, darauf stand:

“HbA1c 7,4”. Und sie schrieb darunter: “Mein HbA1c ist über die magische 7 gerutscht. Mist! Und was sagt mein Diabetes-Team dazu? Zahlen sind nicht alles! Beruhigend, dass wenigstens ein paar Mediziner den Menschen hinter all den Ziffern nicht vergessen!”

Kommentare über Kommentare dazu:

“Tröste Dich, meiner ist bei 7, 7 und ich lebe! Die Anschisse von meinem Arzt höre ich gar nicht mehr.”
Klaus P.

“Ich bin ganz bei dir!! Wichtig ist trotzdem zu wissen, wie hoch er grad ist – ich zumindest lebe immer etwas ‚bewusster‘, wenn er grad mal wieder gestiegen ist … Und *schwups* ist er beim nächsten Mal meist wieder etwas runter …”
RBL

“Ich freu mich total über meinen 8,9 %. Hatte vorher nämlich 11.”
July N.

“Wenn ich zum Blutabzapfen geh, graut es mir immer, wenn dieser vorwurfsvolle Blick kommt.”
Martina M.

“Hatte 7,7. Für Pumpenpatienten akzeptabel!”
Andrea L.

“Liege bei 7,4, war schon besser bei 6,8 (…). Aber Zahlen sind nicht immer alles. Man darf nicht aufgeben, immer weiter machen.”
Karin P.

Verarbeitung des Zahlenstresses

Die vielen Zahlen, die noch nie dagewesene Transparenz mögen aus medizinischer Sicht Sicherheit geben – z. B. vor Unterzuckerungen, (vermeintlich) vor Folgeerkrankungen. Aus meinem Blickwinkel sorgen sie auch für Stress, für Verunsicherung, für schlechtes Gewissen. Diesen Automatismus sollte sich jeder klarmachen, auch jeder Arzt!

Und das Einbeziehen der Community ist für mich auch eine Form der Verarbeitung dieses Zahlenstresses. Caro (www.blood-sugar-lounge.de) bringt es auf den Punkt:

“Auch mit High-Tech-Geräten am Körper fluche auch ich jeden Tag, ärgere mich über Hypo- und Hyperglykämien und würde manchmal am liebsten alles von mir reißen.”


von Günter Nuber
Redaktion Diabetes-Journal
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (3) Seite 43

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