Diabetes-Spürhunde: Nachweise fehlen

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Diabetes-Spürhunde: Nachweise fehlen

Es gibt zahlreiche Zeitungsberichte über Hunde, die Unterzuckerungen erspüren und so Menschen mit Diabetes helfen können. Sollten diese Diabetes-Spürhunde rechtlich als Hilfsmittel wie ein Blindenführhund gelten? Sind sie von der Hundesteuer zu befreien? Der Vorstand der Deutschen Diabetes-Hilfe sagt nein. Warum?

Eine Zeitung berichtet: “Der Diabetes-Spürhund soll zu Lauras ständigem Begleiter werden. Er soll in der Schule an ihrer Seite sein und auch nachts in ihrem Zimmer schlafen, um wirklich jede Unterzuckerung sofort zu bemerken. Unter Umständen kann der Hund Lauras Leben retten.”

Aufwendiges Training

Mit Berichten wie diesem werden an vielen Orten für betroffene Kinder Gelder gesammelt, weil sich die Menschen davon einen Schutz vor Unterzuckerungen versprechen. Ganz einfach zusammengefasst kann man sagen: Der Hund wird in der Ausbildung zum Diabetes-Spürhund auf einen Geruch konditioniert, dem er eine Anzeige folgen lässt, die wiederum für den Hund ein Feuerwerk an Belohnung mit sich bringt.

Das Training ist bislang nicht standardisiert. Allein das Abnehmen zahlloser Geruchsproben für das Training ist sehr aufwendig. Die Trainer brauchen für die Ausbildung viele Informationen, um bestimmte Blutzuckerwerte einem bestimmten Gesundheitszustand zuordnen zu können.

Als Kosten für eine solche Ausbildung sind im Internet Preise von 6.000 – 20.000 Euro zu finden. Aber manche Hundebesitzer werden sich wohl zunächst dafür entscheiden, an einer “Gruppenstunde im Assistenzhundezentrum für 35 Euro” teilzunehmen. Eine Qualitätsüberprüfung oder Vergleichbarkeit der Angebote ist schwierig.

Was sagt die Wissenschaft?

Die renommierte Fachzeitschrift Diabetes Care hat hierzu eine Studie aus Portland (Oregon, USA) veröffentlicht. Dabei wurden in einer verblindeten Untersuchung drei Diabetes-Spürhunde von drei Patienten zwischen 25 und 57 Jahren mit 24 Geruchsproben getestet. Verblindet bedeutet, dass der Untersucher und das Tier nicht wussten, um welche Probe es sich handelte. Alle drei Hunde waren nach Einschätzung ihrer Besitzer fähig, bei ihnen zu Hause zuverlässig Unterzuckerungen zu erspüren.

Das wissenschaftliche Ergebnis war niederschmetternd: In dieser ersten kontrollierten Studie waren die Hunde nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent (also dem Zufall gleich) in der Lage, allein am Geruch die Unterzuckerung zu erspüren. Offenbar spielen beim Erkennen der Unterzuckerung Verhaltensaspekte und die direkte Interaktion zwischen Hund und Patient eine größere Rolle als Gerüche der Haut, die durch die Unterzuckerung ausgelöst werden.

Fehlende Studien

Betrachtet man den Hund als Hilfsmittel, wie ein Glukosemessgerät, und diskutiert womöglich eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen, so fehlen fraglos noch weitere wissenschaftlich gut durchgeführte Untersuchungen. Auch muss der Diabetes-Spürhund sich dem Vergleich mit der bereits erhältlichen Technologie stellen: der kontinuierlichen subkutanen Glukosemessung (CGM).

Vergleich mit der kontinuierlichen Glukosemessung

Für die CGM liegen mehrere wissenschaftliche Studien vor, die eine zuverlässige Alarmierung bei drohenden Unterzuckerungen durch die Technik belegen. Und sie zeigen eine statistisch relevante (signifikante) Reduktion von Unterzuckerungen bei regelmäßiger Anwendung. Natürlich gibt es auch Berichte, wonach die Patienten auf die Unterzuckerungs-Alarme nicht reagiert haben – aus welchem Grund auch immer. Diese fehlende Reaktion auf Alarme ist aber sicher auch bei einem Diabetes-Warnhund nicht ausgeschlossen.

Anders als beim Hund besteht bei der Kombination von subkutaner Glukosemessung und Insulinpumpe die Möglichkeit der Hypo-Abschaltung: Die Pumpe unterbricht die Insulinzufuhr bei einem niedrigem Glukosespiegel und sorgt so für mehr Sicherheit, auch im Schlaf. Letztendlich gehört zu einer solchen Gegenüberstellung auch der Vergleich der Anschaffungs-/Trainingskosten sowie der laufenden Aufwendungen.

Auch hier schneidet der technische Ansatz wahrscheinlich nicht schlechter ab. Nur bei der Lebensqualität fällt das Ergebnis positiv für die Spürhunde aus. Als Kinderdiabetologe und im täglichen Austausch mit unserer Australian-Shephard-Hundedame Lilly ist mir sofort klar: Sich mit einem Haustier zu beschäftigen, ist um vieles angenehmer und befriedigender als die Konfrontation mit den Kapriolen des auf der Haut klebenden Glukosesensors.

Realistische Einschätzung: Nutzen und Schaden

Seriöse Hundezüchter geben sofort an, dass der Hund keine übliche Glukosemessung ersetzen kann und jemals ersetzen wird. Die Selbstwahrnehmung und deren Schulung sowie das regelmäßige Blutzuckermessen werden und dürfen auf gar keinen Fall durch den Hund vernachlässigt werden.

Der Hund dient also nach Angaben einer erfahrenen Hundetrainerin lediglich als ein zusätzliches, kombinierbares Hilfsmittel, das Hinweise auf Zuckerwerte geben kann, aber keinen Schutz darstellt und schon gar nicht Verantwortung übernimmt: der Spürhund quasi als Hilfsmittel für Menschen mit Diabetes in besonderen Situationen. Dazu zählen nach ihren Angaben vor allem alleinlebende Diabetiker und Kleinkinder mit Diabetes, Jugendliche mit extremen Schwankungen während der Pubertät sowie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und zusätzlichem Diabetes.

Sie berichtet, dass sich die von ihr befragten Spürhund-Besitzer durch die einjährige Ausbildung des Hundes sehr intensiv mit ihrer Erkrankung und auch ihrer Unterzuckerungs-Wahrnehmung auseinandergesetzt haben. Sie hätten durch das Training ihren Körper und die Symptome besser verstehen gelernt. Demnach wäre der Hund also nicht nur ein Blutzucker-Optimierer, sondern würde auch als Motivator wirken. Allerdings hat ihr auch niemand geschildert, dass sein Hund ihn vor einer lebensbedrohlichen Situation gerettet hat.

Kein etabliertes Diabetes-Hilfsmittel

Unser Ziel muss es sein, dass jeder Mensch mit Diabetes seine Hypos sicher spürt und sofort reagiert. Wichtig ist auch, dass Kinder mit Diabetes nicht durch überzogene Ängste der Eltern unselbständiger gemacht werden, als sie sein könnten. Dazu trägt auch die Werbung für solche Hunde bei.

Gerade Kindern mit Diabetes muss vermittelt werden, dass sie selbst sehr kompetent sind, sich selbst gut helfen können und genauso leistungsfähig sind wie alle anderen Kinder. Der Hund könnte die Kinder ins Abseits drängen und sie zu “hilfsbedürftigen Kranken” macht. Ob das eine gute Zukunftsperspektive ist?

Weil der wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweis fehlt und effektivere Verfahren zur Unterzuckerungserkennung und -behandlung zur Verfügung stehen, fehlt gegenwärtig die Grundlage, um Diabetes-Spürhunde als etabliertes Hilfsmittel einzustufen.


von Prof. Dr. Thomas Danne
Kinderdiabetologe, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin „Auf der Bult“, Hannover, Vorstandsvorsitzender diabetesDE

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 9 60 70 0,
Fax: (06131) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (1) Seite 6-7

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