Diabetes-Technik im Mittelpunkt von diatec und t1day

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Diabetes-Technik im Mittelpunkt von diatec und t1day

Volles Haus bei diatec und t1day, den Veranstaltungen in Deutschland zum Thema Diabetes-Technologie: An der diatec Ende Januar in Berlin nahmen etwa 900 Diabetes-Expertinnen und -Experten teil, jeweils etwa die Hälfte vor Ort, die andere Hälfte virtuell. Auch beim t1day waren die Reihen vor Ort und an den Bildschirmen zu Hause gut besetzt.

Die Präsentation der Ergebnisse der Umfrage für den Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes bildet seit einigen Jahren den Auftakt des Kongresses diatec für Diabetes-Profis und den darauffolgenden t1day für Menschen mit Typ-1-Diabetes. Spannend, aber eigentlich zu erwarten, dabei war die leichte Zunahme von Menschen mit Typ-1-Diabetes in den Arztpraxen, die Systeme zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) und/oder Insulinpumpen verwenden. Groß war aber der Sprung bei den kommerziell verfügbaren Hybrid-Closed-Loop-Systemen, also den Systemen, die aufgrund von gemessenen CGM-Werten automatisch die Insulinabgabe anpassen; solche Systeme werden auch als AID-Systeme bezeichnet. Wie Prof. Dr. Bernhard Kulzer vom Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Mergentheim (FIDAM) berichtete, gab es im Jahr 2021 durchschnittlich in jeder Einrichtung der befragten Ärztinnen und Ärzte 16 Verwendende eines AID-Systems, im Jahr 2022 waren es bereits 42 – also mehr als doppelt so viele. CGM-Systeme werden nicht nur von Menschen mit Typ-1-Diabetes eingesetzt, sondern auch in nicht geringer Zahl von Menschen mit Typ-2-Diabetes: durchschnittlich in jeder Einrichtung von 22,4 Prozent.

Immer auf dem Laufenden bleiben

Als eine Barriere für den Einsatz von AID-Systemen in den Praxen zeigte sich unter anderem die Notwendigkeit, immer auf dem Laufenden zu bleiben. Hierbei konnte der Kongress helfen, denn die Technologien waren nun einmal das Thema der diatec.

AID-Systeme: weltweite Zunahme

Auch Prof. Dr. Lutz Heinemann von Science Consulting in Diabetes und zusammen mit Gabriele Faber-Heinemann Veranstalter der diatec betonte die Bedeutung der AID-Systeme: Weltweit nimmt ihr Einsatz stetig zu, die Zahl an wissenschaftlichen Publikationen ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Auch wenn das alles so positiv klingt, warnte Heinemann vor unrealistischen Erwartungen: AID-Systeme sind keine Selbstläufer! Die dabei zum Einsatz kommenden Geräte “verlangen tägliche ‚Pflege‘ und Aufmerksamkeit”. Anwendende müssen auf die Systeme geschult sein. Und es gibt viele Dinge, die dabei schiefgehen können. Dennoch lautete sein Fazit: “AID-Systeme sind die Zukunft!”

Schulungen oft nicht bezahlt

Schulungen waren auch das Thema im “Kamingespräch”, einer Diskussionsrunde mit vielen in der Diabetologie Aktiven. Hier besteht ein Problem: “Es ist leider so, dass viele Schulungs-Leistungen nicht abgebildet sind”,sagte Dr. Nicola Haller und meinte dabei die Bezahlung von Schulungen durch die Kostenträger. Haller ist Vorsitzende des Verbands der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD). Ein weiteres Problem brachte Dr. Hansjörg Mühlen, niedergelassener Diabetologe aus Duisburg, ins Gespräch: “Ich glaube, wir leben in einem Denkmodell seit Jahren, das immer nur sagt: Alles, was wir in der Medizin tun, muss evaluiert sein.” Das führt dazu, dass Schulungs-Programme oft schon wieder überholt sind, wenn sie endlich akkreditiert wurden und die Kosten für das Schulen mit den jeweiligen Programmen von den Krankenkassen übernommen werden. Mühlen: “Man muss da, glaube ich, das Denkmodell Evaluieren, Publizieren, Zertifizieren, Akkreditieren (…) gerade im Bereich Schulung und Diabetes-Technologie massivst überdenken, ob das in der heutigen Zeit noch passt.” Aufseiten der Krankenkassen-Vertreter in der Diskussionsrunde gab es Zustimmung, dass alles zu langsam läuft, aber auch den Wunsch nach klaren Regeln, zum Beispiel in Leitlinien, wann wer geschult werden soll. Problem ist aber, dass Schulungs-Programme beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) zum Akkreditieren nicht von den Diabetes-Experten, sondern von den Krankenkassen eingereicht werden, die vorab auch noch einmal die Programme bewerten, berichtete Kulzer und meinte: “Ganz ehrlich: Da geht es nur um das Geld.” Einig waren sich die Diskutanten am Ende, dass es nur funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten.

Kein AID-System ohne Schulung

Wie wichtig Schulung trotz der Fortschritte in der Diabetes-Technologie ist, zeigt auch eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie mit Systemen, die vollständig automatisiert Insulin dosieren und abgeben, auch als bionisches Pankreas bezeichnet. Privatdozent Dr. Dominic Ehrmann vom FIDAM berichtete, dass sich über die gesamte in der Studien-Population vertretene Altersspanne von 6 bis 79 Jahren die Glukosestoffwechsel-Situation verbesserte – aber diejenigen, die ein bionisches Pankreas verwendeten, hatten 551-mal wegen Problemen ungeplant Kontakt mit dem Schulungs-Team im Vergleich zu 53 Kontakten der Kontrollgruppe ohne bionisches Pankreas.

Größtmögliche Personalisierung

Auch Dr. Sandra Schlüter aus Northeim und Dr. Dorothee Deiss aus Berlin verdeutlichten den Nutzen der AID-Systeme. Schlüter sieht in diesen Systemen die größtmögliche Personalisierung der Diabetes-Therapie. Deiss betonte, dass die Zeit, in der die Systeme automatisiert handeln, entscheidend ist.

Natürlich gibt es auch Probleme in Bezug auf die Systeme. Sarah Biester aus Hannover wies zum Beispiel auf gehörlose Eltern hin, wenn ihr Kind mit einem AID-System versorgt wird: Sie können akustische Alarme nicht wahrnehmen und müssen dann gegebenenfalls auf ein System mit anderen Alarm-Optionen umsteigen, selbst wenn das System noch nicht für Kleinstkinder zugelassen ist. Andere Hürden stellen Sprachbarrieren oder Leseprobleme dar, Seheinschränkungen oder auch psychische Erkrankungen. Um diese Hürden zu überwinden, muss immer nach individuellen Lösungen, sofern verfügbar, gesucht werden.

Großes Spektrum an Themen

Sowohl bei der diatec als auch beim t1day ging es auch um eine andere Technologie zum Insulingeben: Smart-Pens. Diese lassen sich, je nach verfügbaren Funktionen, auch mit anderen Systemen koppeln. “Wir sind noch ziemlich am Anfang mit Smart-Pens”, dämpfte Dr. Jens Kröger aus Hamburg aber die aktuellen Erwartungen.

Die Programme beider Veranstaltungen boten noch viel mehr Themen: Sport, Schwangerschaft, Beruf, Motivation, um nur einige zu nennen. Wer mehr wissen möchte, findet viele Informationen auf den Internetseiten www.diatec-fortbildung.de und www.t1day.de.

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (3) Seite 12-14

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