Diabetes und Schule– keine einfache Lösung

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Diabetes und Schule– keine einfache Lösung

Für Deutschland fehlen aus rechtlichen und bürokratischen Gründen entsprechende Daten. Kleinere regionale Studien weisen jedoch darauf hin, dass diese gute Nachricht auch für Kinder mit Diabetes in Deutschland gilt, die mit aktuellen Therapien und Technologien behandelt werden. Außerdem ist die Rate der gefürchteten schweren Hypoglykämien unter Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland kontinuierlich deutlich gesunken – nicht zuletzt durch die automatische Insulinabschaltung bei der Pumpentherapie oder der Nutzung von AID-Systemen. Auch hier können Eltern deutlich beruhigter sein als noch vor zehn Jahren.

Trotz positiver Entwicklung mehr Sorge

Trotz dieser guten Entwicklungen nimmt die Sorge um die Sicherheit von Kindern mit Diabetes in der Schule scheinbar deutlich zu. Während noch vor zehn Jahren eine besondere Begleitung von Kindern mit Diabetes eine Ausnahme war, ist es heute umgekehrt. Die Mehrheit der Eltern von Grundschülern wünscht eine persönliche Begleitung und einige Schulen fordern dies bereits ebenfalls. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft setzt sich für eine Gesundheitsfachkraft an jeder Schule ein; sie fordert eine Fachkraft pro 700 Schüler. Obwohl wir Kinder mit Diabetes so wie alle Kinder sehen und eine Außenseiterposition vermeiden wollen, scheint dies in der Schule besonders schwierig zu sein.

Vielfältige Gründe

Die neuen Technologien, vor allem CGM, haben unbestritten viele Vorteile, aber sie führen Eltern ständig vor Augen, wie unberechenbar die Glukoseschwankungen bei ihrem Kind manchmal sind. Zu hohe und zu niedrige Werte haben einen Aufforderungscharakter, dem sich gerade besorgte Eltern oft nicht entziehen können. Man möchte etwas tun, wenn es über die Followerfunktion einen Hochalarm gibt, obwohl es besser wäre, einfach abzuwarten, bis das injizierte Insulin wirkt.

Bei einem Hypo-Alarm vertraut man dem eigenen Kind nicht, dass es richtig reagiert, obwohl es das in Schulungen gelernt und geübt hat und Mitschüler gut informiert sind. Und wenn diese Eltern ihre Sorgen und Ängste an die Lehrkräfte herantragen, stoßen sie nicht immer auf Verständnis.

Denn auch engagierte Lehrer und Lehrerinnen sind heute mit zu großen Klassen überfordert, in denen viele Schüler besondere Bedürfnissen haben, z. B. Sprachprobleme, Verhaltensstörungen, chronische Krankheit oder eine unzureichende Versorgung in der Familie. So steht schnell die Forderung nach einer Schulbegleitung im Raum.

Dass dies nicht die Lösung aller Probleme ist, zeigen einige Bespiele: so wurden Kinder nach Hause geschickt, weil die Schulbegleitung erkrankt war oder es gab Begleiter, die den Anforderungen der Diabetestherapie ebenfalls nicht gewachsen waren. Und für Kinder bedeutet diese Begleitperson eine Sonderrolle in der Klasse. Auf der anderen Seite ist unbestritten, dass Erstklässler mit Typ-1-Diabetes heute durch die modernen Therapien, die hohen Anforderungen an TiR und oft auch die Ganztagsschule mit Hortbetreuung überfordert und auf die Hilfe eines erfahrenen Erwachsenen angewiesen sind.

Empfehlungen der ISPAD 2022

Das Autorenteam dieser internationalen Empfehlungen (DOI: 10.1111/pedi.13432) weist zunächst darauf hin, dass Kinder und Jugendliche den größten Teil ihrer wachen Zeit des Tages in der Schule verbringen. Deshalb sollen sie dort ebenso gut wie Zuhause behandelt werden, also eine TiR > 70% erreichen. Dazu gehört ein individueller Therapieplan, der zwischen Eltern/Kind und Diabetesteam regelmäßig abgestimmt und mit der Schule besprochen werden soll. Weiterhin wird gefordert, dass Politik und Gesetzgebung dafür sorgen müssen, dass alle Kinder die Schule sicher besuchen können und eine optimale gesundheitliche Betreuung erhalten. Unabhängig vom Alter sollten danach alle Kinder und Jugendlichen bei ihrer Diabetesbehandlung möglichst von dazu autorisierten, gut geschulten Personen unterstützt werden. Aber auch alle anderen Lehrkräfte sollten über Notfallmaßnahmen informiert sein. Diese hohen Ziele werden bei weitem nicht in allen Ländern erreicht. Deshalb weisen die Autoren besonders auf die Verantwortung der (Schul-)Politik hin, sowie auf ein vertrauensvolles Miteinander von allen an der Versorgung von Kindern mit Diabetes Beteiligten.

Konzepte der Betreuung weltweit

Das Betreuungskonzept für Kinder mit Diabetes in Schweden gilt bis heute als richtungsweisend. Dort sind die Lehrkräfte für die Diabetesbehandlung verantwortlich, nachdem sie dazu ausführlich geschult und durch das Diabetesteam beraten worden sind. Dabei sind sie staatlich versichert. Dies gelingt bei kleinen Klassenstärken und wenigen anderen Herausforderungen der Lehrkräfte gut. Die Kinder werden auch bei Ausflügen und anderen Unternehmungen qualifiziert versorgt. Jedoch zeigt ein aktuelles Experiment bei der Anmeldung zu Schulen in Schweden, dass Kinder mit Diabetes besonders häufig abgelehnt werden.

In englischsprachigen Ländern hat sich eine sogenannte "School Nurse" etabliert, die für alle gesundheitlichen Belange der Kinder einer Schule verantwortlich ist. Die von der DDG geforderte Gesundheitsfachkraft orientiert sich an diesem Modell. Sie ist ebenfalls qualifiziert ausgebildet, ist jedoch bei akuten Fragen nicht in der Klasse oder bei Unternehmungen anwesend, sondern muss von den Kindern aktiv aufgesucht werden, beispielsweise bei Fragen der Insulindosierung bei Mahlzeiten oder vor Sport. Die Lehrkräfte werden die Kinder weiterhin unterstützen müssen.

Individuelle Schulbegleiter werden vor allem in Deutschland eingesetzt. Neben den oben genannten Vorteilen bei den jüngsten Schülern, müssen aber auch die Kosten für das Gesundheitssystem und die Herausforderungen bei der Selbständigkeit der Kinder bedacht werden. Frau Baptist (S. 20) schildert dazu eindrucksvoll, wie es ihrer Tochter Mia gelungen ist, jetzt wie alle anderen Kinder die Schule allein zu besuchen.

Viele Unterstützer sind nötig. …

… damit Kinder mit Diabetes die Schule sicher besuchen können.

Zur weiteren Lektüre

Autorin:

Prof. Dr. Karin Lange
Leiterin Medizinische Psychologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover

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