Diabetes und Sport für Kinder und Jugendliche: Das sollten Sie wissen

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Diabetes und Sport für Kinder und Jugendliche: Das sollten Sie wissen

Angst vor Bewegung und Sport sollten Kinder und Jugendliche mit Diabetes nicht haben, auch wenn durch die körperliche Aktivität das Risiko für Unterzuckerungen steigt. Gut Bescheid wissen sollten Kinder und Jugendliche und auch ihre Eltern aber sehr wohl – über das, was im Körper passiert, über Zielwerte und das Vorgehen bei der jeweiligen Therapieform.

Sportliche Betätigung hat positive Auswirkungen auf den Körper: Sport fördert die körperliche Fitness, hat positive Effekte auf Glukose- und Fettwerte und reduziert den Tagesbedarf an Insulin. Darüber hinaus weiß man, dass körperliche Aktivität die Lebensqualität positiv beeinflusst, nicht nur bei Menschen mit Typ-1-Diabetes. Im Alter zwischen 6 und 18 Jahren wird eine körperliche Betätigung von mindestens 60 Minuten pro Tag empfohlen

.

Neben all den genannten Effekten führt die körperliche Betätigung zu einer bedeutenden Veränderung des Stoffwechsels: Der Körper reagiert sensibler auf das Insulin, so dass die Glukose schneller in die Zellen aufgenommen wird und die Gefahr von Hypoglykämien steigt. Auch Hyperglykämien, also Überzuckerungen, können in bestimmten Situationen auftreten. Damit Kinder und Jugendliche mit Diabetes nicht aus Angst vor Glukoseschwankungen zu Hause bleiben und nicht mehr in den Sportverein gehen, stellt das Thema „Sport“ eine wichtige Schulungseinheit dar.

Im Folgenden werden einige Empfehlungen und Tipps gegeben – die jedoch keine individuelle Beratung ersetzen. Insbesondere sportlich sehr aktive Kinder oder Leistungssportler sollten immer eine auf sie abgestimmte Beratung und Empfehlung erhalten.

Was passiert im Körper?

Sportliche Aktivität bei Menschen ohne Diabetes:

Bei körperlicher Aktivität reduziert ein gesunder Körper die Insulinabgabe aus der Bauchspeicheldrüse automatisch. Steht weniger Insulin zur Verfügung, produziert die Leber mehr Glukose und gibt diese ins Blut ab. Dadurch steht den Muskelzellen in Phasen des höheren Energiebedarfs, wie er z. B. durch Sport entsteht, mehr Glukose zur Verfügung. Die Muskelaktivität führt außerdem zu einer erhöhten Insulinempfindlichkeit, so dass bereits geringe Mengen an Insulin ausreichen, um die Glukose in die Muskelzellen aufzunehmen.

Nach Beendigung der körperlichen Betätigung müssen die Speicher der Muskeln wieder aufgefüllt werden, so dass auch einige Stunden nach der körperlichen Belastung noch vermehrt Glukose aus dem Blut aufgenommen und in der Folge weniger Insulin benötigt wird.

Sportliche Aktivität bei Menschen mit Diabetes:

Bei Menschen mit Diabetes findet keine automatische Insulinreduktion statt. Einmal verabreichtes Insulin verbleibt im Körper und entfaltet dort seine Wirkung. Dies hat zur Folge, dass die Glukosebildung in der Leber gehemmt und keine zusätzliche Glukose in die Blutbahn ausgeschüttet wird. Die Glukose und das Insulin gelangen zu den Muskelzellen in der gleichen Konzentration wie unter Normalbedingungen, d. h. ohne sportliche Betätigung. Da die Muskelzellen jedoch durch die körperliche Aktivität sehr empfindlich auf Insulin reagieren, nehmen sie viel Glukose auf, der Glukosespiegel im Blut sinkt, und es droht eine Unterzuckerung. Nach Beendigung der sportlichen Einheit besteht aufgrund des Muskelauffülleffekts die Gefahr eine Unterzuckerung.

Für die Prävention von Hypoglykämien werden folgende grundsätzliche Empfehlungen für den Sport gegeben:

  • Körperliche Aktivitäten, die länger als 30 Minuten dauern, bedürfen einer Reduktion des Insulins oder einer zusätzlichen Einnahme von Kohlenhydraten.
  • Der Glukosewert muss regelmäßig vor, während und nach dem Sport überprüft werden, mindestens stündlich.
  • Vor und während des Sports sollte ein Glukosewert zwischen 126 - 180 mg/dl (7 - 10 mmol/l) als Zielwert angestrebt werden. (Für Kinder, die nur sehr selten Sport machen und ein höheres Hypoglykämierisiko haben, können auch Werte zwischen 145 - 198 mg/dl (8 - 11 mmol/l) bzw. 162 - 216 mg/dl (9 - 12 mmol/l) angestrebt werden. Dies sollte individuell evaluiert und festgelegt werden.)
  • Mittels Glukosesensoren, die über Hypo-und Hyperglykämiealarmfunktionen verfügen, ist die Kontrolle der Glukosewerte während des Sports relativ einfach geworden. Die Grenzen sollten bei körperlicher Aktivität angepasst werden; 100 mg/dl (5,6 mmol/l) wird als Hypoglykämiealarm und 180 mg/dl (10 mmol/l) als Hyperglykämiealarm empfohlen.
  • Bei einem Glukosewert von ≥ 250 mg/dl (  14 mmol/l) muss eine Ketonmessung im Blut erfolgen. Sollte der Ketonwert > 0,6 mmol/l betragen, darf kein Sport begonnen werden.

Wie erreicht man diese Ziele?

Diese Glukoseziele können einerseits durch eine Reduktion der Insulinzufuhr, andererseits durch die Aufnahme zusätzlicher Kohlenhydrate erreicht werden (Tab. 1). Letzteres sollte möglichst sparsam eingesetzt werden, um nicht eine unnötig erhöhte Kohlenhydratzufuhr zu erreichen.

Glukosewert mg/dl (mmol/l) Konsequenz
< 90 <5 Aufnahme von 10 - 20g Kohlenhydraten, sportliche Aktivität ggf. verschieben
90 - 124 5 - 6,9 Aufnahme von 10 - 20g Kohlenhydraten
126 - 180 7 - 10 Keine Kohlenhydrataufnahme notwendig, Sport kann stattfinden
182 - 252 10,1 - 14 Keine Kohlenhydrataufnahme notwendig, Sport kann stattfinden
> 252 > 14 Ketone im Blut messen, wenn Keton ≥ 0,6 mmol/l: kein Sport

Tabelle 1 : Glukosekonzentrationen vor dem Start einer körperlichen Aktivität: Empfehlungen zur Kohlenhydrataufnahme.

Bei der Anpassung des Insulins wird zwischen geplanten und nicht geplanten körperlichen Aktivitäten unterschieden. Zu den geplanten Aktivitäten gehört z. B. das terminierte Fußballtraining am Nachmittag, während ungeplante Aktivitäten z. B. eine spontane Fahrradtour oder der Besuch im Schwimmbad am Sonntagnachmittag sein könnten.

Vorgehen bei geplanter sportlicher Aktivität

Bei geplanter sportlicher Aktivität (über 30 Minuten Dauer) kann die Insulintherapie rechtzeitig und VORHER auf die anstehende verstärkte Bewegung abgestimmt werden.

Empfehlungen für die intensivierte Spritzentherapie

  • Findet der Sport bis zu zwei Stunden nach der letzten Mahlzeit statt, also innerhalb der Wirkzeit des Mahlzeiteninsulins, sollte das Mahlzeiteninsulin um 25 - 50 % reduziert werden.
  • Findet der Sport außerhalb der Wirkung des Essens-/Mahlzeiteninsulins statt, sollte das Basalinsulin um 25 - 50 % reduziert werden.
  • Hält die sportliche Aktivität für eine Dauer von mehr als 2 Stunden an, sollten sowohl das Essens- als auch das Basalinsulin reduziert werden.

Empfehlungen für die Pumpentherapie

Es gibt 3 Möglichkeiten:

  • Absenkung der Basalrate um 25 - 50 % durch Einstellen der „temporären Basalrate“ ab 1 bis 2 Stunden vor Beginn, für die gesamte Dauer und evtl. für 1 bis 2 Stunden im Anschluss an die Aktivität oder
  • Ablegen der Pumpe für den gesamten Zeitraum der sportlichen Aktivität für maximal 2 Stunden oder
  • Temporäres Glukoseziel auf 150 mg/dl (8,3 mmol/l) ab 1 bis 2 Stunden vor und während des Sports erhöhen.
  • Außerdem sollte der Bolus für die letzte Mahlzeit – wie bei der Spritzentherapie – um 25 - 50 % ­reduziert werden, wenn der Sport innerhalb von 2 Stunden nach dieser Mahlzeit startet.

Vorgehen bei ungeplanter sportlicher Aktivität

Bei ungeplanter sportlicher Aktivität kann keine vorherige Insulinreduktion stattfinden. Dies betrifft insbesondere die Reduktion des Insulins bei der Spritzentherapie. In solch einem Fall muss mit zusätzlichen Kohlenhydratgaben gearbeitet werden. Dabei kann für jede Stunde Sport die Gabe von 10 - 20 g zusätzlicher Kohlenhydrate notwendig werden. Bei der Pumpentherapie kann auch auf spontane Aktivitäten reagiert werden, indem direkt zu Beginn des Sports die Basalrate reduziert oder die Pumpe abgekoppelt wird.

Während des Sports kann insbesondere bei Ausdauersportarten der Glukosewert absinken und eine zusätzliche Gabe von Kohlenhydraten notwendig werden. In diesem Fall wird die Gabe von 10 - 15 g Kohlenhydraten für 30 Minuten Ausdauertraining empfohlen.

Dosisanpassung nach dem Sport: Wie schon beschrieben, muss man nach der körperlichen Belastung mit dem Muskelauffülleffekt rechnen. Es empfiehlt sich somit, auch im Anschluss an den Sport sowohl das Mahlzeiteninsulin als auch das Basalinsulin bei nachmittags oder abends stattfindenden sportlichen Belastungen um 20 - 30 % zu reduzieren. Bei der Pumpentherapie kann auch hier wieder die temporäre Basalrate gut eingesetzt werden, indem man sie z. B: für 2 bis 4 Stunden (maximal bis zu 6 Stunden) um 20 - 30 % reduziert einstellt.

Sonderfall: AID

Bei der sensorunterstützten Insulinpumpentherapie der neuesten Generation, den automatischen Insulindosierungssystemen (AID) –z. B. Hybrid-Closed-Loop-System von Medtronic oder Control IQ der t:slim- Pumpe – gibt es eine Funktion, die sich „temporäres Ziel“ nennt und das Glukoseziel bei 150 mg/dl (8,3 mmol/l) setzt bzw. eine sogenannte Aktivitätsfunktion, bei der das Ziel auf 140 - 160 mg/dl (7,8 - 8,9 mmol/l) festgelegt ist. Durch Anpassung der Insulinabgabe auf ein höher definiertes Ziel werden bei diesen Systemen Hypoglykämien während körperlicher Aktivitäten erfolgreich verhindert.

Alle hier genannten Regeln und Empfehlungen sind nur als Richtwerte zu sehen. Die jeweiligen Glukosegrenzwerte, Insulinreduktionen und Kohlenhydrataufnahmen müssen individuell auf den Einzelnen/die Einzelne durch Erprobung und Sammeln von Erfahrung abgestimmt und festgelegt werden.

Fazit


  • Jedes Kind sollte 60 Minuten/Tag Sport treiben, auch Kinder mit Typ-1-Diabetes.
  • Auch mit Diabetes können Kinder sich regelmäßig körperlich betätigen.
  • Glukosesensoren bieten zusätzliche Sicherheitsvorteile.
  • Regelmäßige, stündliche Glukosekontrollen während der körperlichen Betätigung werden empfohlen.
  • Vor, während und nach dem Sport sollte das Insulin reduziert werden.
  • Die zusätzliche Aufnahme von Kohlenhydraten ist ggf. notwendig.
  • Der individuelle Insulin-und Kohlenhydratbedarf muss ausgetestet werden.

Autor:

Dr. med. Nicolin Datz
Oberärztin Pädiatrie III
Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche „Auf der Bult“
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover
E-Mail: datz@hka.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 12 (3) Seite 24-26

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