Diabetesfolgen: wichtige Eckdaten

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Diabetesfolgen: wichtige Eckdaten

100 Prozent Gewissheit gibt es nicht – aber hier nennen wir wichtige Punkte, anhand derer Sie Risiken für Folgeerkrankungen verringern können. Sehen Sie auch, welche Rolle das Wohlbefinden spielt.

Ein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen entsteht in Abhängigkeit von der Dauer und Ausprägung einer schlechten Diabeteseinstellung. Also sind besonders diejenigen gefährdet, die lange Zeit eine schlechte Stoffwechsellage mit hohen Blutzuckerwerten und einem hohen HbA1c hatten. Hierbei spielt natürlich auch die Diabetesdauer mit eine Rolle.

Vor allem bei Typ-2-Diabetes besteht ein erhöhtes Risiko

Prinzipiell haben Patienten mit Typ-2-Diabetes ein höheres Risiko für Folgeerkrankungen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen wird der Typ-2-Diabetes häufig mit jahrelanger Verzögerung erst erkannt und dann behandelt – eine Zeit, in der sich Folgeerkrankungen entwickeln können.

Zum anderen kommen Begleiterkrankungen, die Gefäßschäden bedingen, bei Typ-2-Diabetes auch durch erbliche Faktoren oft hinzu: Typ-2-Diabetes geht oft Hand in Hand mit einem Bluthochdruck, einer Fettstoffwechselstörung und Übergewicht – diese Kombination wird auch als Metabolisches Syndrom bezeichnet; das Metabolische Syndrom führt besonders häufig zu Folgeerkrankungen, besonders zu Herz-Kreislauf-Komplikationen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen.

Darüber hinaus können in geringerem Ausmaß auch andere erbliche Faktoren mit eine Rolle spielen: Personen, die in der Familie viele Blutsverwandte mit Gefäßerkrankungen haben, haben ein erhöhtes Risiko. Außerdem gibt es natürlich Lebensstilfaktoren, die Folgeerkrankungen begünstigen oder das Risiko verstärken.

Sicher ist es in diesem Zusammenhang nicht günstig, sich nicht um den Diabetes zu kümmern, zu selten Blutzuckerkontrollen durchzuführen sowie die Behandlung anzupassen und zu verbessern – und zu selten HbA1c-Kon­trollen und andere Vorsorgeuntersuchungen vorzunehmen (siehe unten). Daher ist es essentiell, dass Patienten gut geschult sind und eigenverantwortlich sich im Alltag um die Diabeteseinstellung kümmern können.

Wichtig: Schulung und Gesundheitspass

Schulung bedeutet natürlich nicht nur reine Wissensvermittlung. Es kommt durch Schulungen auch darauf an, dass ein Patient auf Dauer motiviert wird, einen gesunden Lebensstil und eine konsequente Behandlung umzusetzen. Wichtig ist dabei, dass mit dem Arzt konkrete Therapieziele für den Stoffwechsel, den Blutdruck und den Lebensstil vereinbart werden – und vereinbart wird, in welchem Zeitraum diese Ziele erreicht sein sollten. Diese Ziele sollten unbedingt im Gesundheitspass Diabetes (s. u.) festgehalten werden.

Dem Lebensstil kommt beim Risiko für Folgeerkrankungen und Komplikationen eine sehr große und entscheidende Rolle zu. So sind ausreichend Bewegung und die richtige Menge gesundes Essen maßgeblich beteiligt, dass das Risiko für Gefäßkomplikationen gesenkt wird. Ganz entscheidend ist ferner, nicht zu rauchen und den Alkoholkonsum zu reduzieren; die Schadstoffe im Tabak erhöhen zusammen mit dem Diabetes und einem hohen Blutdruck das Risiko vor allem für Herzinfarkte und Schlaganfälle sowie für Gefäßverschlüsse in den Beinen und Armen sehr drastisch.

Durch einen gesunden Lebensstil haben Sie mehr Genuss am Leben, Sie sind leistungsfähiger, aktiver und aufnahmefähiger, und der Alltag wird wieder lebendiger und abwechslungsreicher.

Vorsorgeuntersuchungen, die ein frühes Stadium anzeigen können

Außer der selbst durchgeführten regelmäßigen Stoffwechselkontrolle (und ggf. Blutdruckkontrolle) sind Vorsorgeuntersuchungen sehr wichtig, um Folgeerkrankungen schon früh zu entdecken. Vor allem die Folgeerkrankungen der kleinen Gefäße verursachen in den Anfangsstadien kaum körperliche Beschwerden. Daher ist es wichtig, regelmäßig technische Untersuchungen und Laboruntersuchungen vorzunehmen, um Anfangsstadien von Komplikationen zu erkennen und dann auch rechtzeitig behandeln zu können.

Schon in den 1990er Jahren wurde der Gesundheitspass Diabetes entwickelt, um dies zu erleichtern und um die Untersuchungsbefunde zu dokumentieren sowie den Austausch zwischen Patienten und Behandlern zu erleichtern. In dem Pass enthalten sind die international abgestimmten Mindestmaßnahmen zur Vorbeugung und Erkennung von Folgeerkrankungen – und es werden auch die individuellen Therapieziele dokumentiert. Einmal im Quartal sollten die Eintragungen im Gesundheitspass Diabetes aktualisiert werden.

Es folgen nun die wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen und die Empfehlungen zur Häufigkeit ihrer Durchführung. Im Einzelfall (z. B. bei schon bestehenden Erkrankungen) können nach Absprache mit dem behandelnden Arzt auch andere Untersuchungsintervalle als die hier angegebenen sinnvoll oder notwendig sein:

Alle 3 Monate sollten diese Untersuchungen durchgeführt werden

HbA1c durch Blutentnahme: Der HbA1c-Wert ist das „Blutzuckergedächtnis“ bzw. ein guter Verlaufsmesswert für die durchschnittliche Blutzuckerstoffwechsellage der ungefähr letzten 3 Monate. Als allgemeines Therapieziel gilt ein HbA1c-Wert zwischen 6,5 und 7,5 Prozent (in anderer, internationaler und standardisierter Angabe 48 und 58 mmol/mol), sofern dieses Therapieziel ohne eine besondere Gefahr von Unterzuckerungen erreicht werden kann.
Womöglich (zum Beispiel bei Wahrnehmungsstörungen von Unterzuckerungen u. a.) sind andere, individuelle Therapieziele sinnvoll und mit dem Arzt und Behandlungsteam abzusprechen.

Blutglukose: Hier sollte ein Laborwert (Bestimmung durch exakte Methode im Labor, nicht mittels Teststreifen) durch Blutentnahme ermittelt werden. Durch die gleichzeitige Labor-Blut­entnahme und Messung mit dem eigenen Gerät kann so auch die Messgenauigkeit des eigenen Blutzuckermessgeräts ggf. überprüft werden.
Ferner sollte dokumentiert werden, wie oft Blutzuckerselbstkontrollen pro Woche durchschnittlich durchgeführt werden. Ebenso sollte die Zahl der im letzten Quartal eventuell aufgetretenen Unterzuckerungen (Hypoglyk­ämien) dokumentiert werden. Hierbei sollte auch dokumentiert werden, ob diese „schwer“ oder „leicht“ waren, d. h. ob Fremdhilfe (bei schweren Hypoglykämien) zur Behandlung notwendig war oder nicht.

Blutdruck: Dieser sollte im Sitzen oder Liegen gemessen werden, nach mindestens 5 Minuten in Ruhe. Ziel nach Leitlinien einer guten Blutdruckeinstellung ist ein Blutdruck unter 140/85 mmHg. Auch hier können individuell andere Zielwerte sinnvoll sein.

Einmal pro Quartal sollten auch das Körpergewicht oder der Taillenumfang, die Inspektion der Injektionsstellen (bei Insulintherapie oder einer anderen Spritzentherapie) und der Raucherstatus dokumentiert werden.

1-mal jährliche Untersuchungen

Albumin im Urin: Dies ist ein wichtiger Messwert für einen beginnenden Schaden der Nierenfilter, der in diesem Stadium keine Beschwerden macht. Er wird auch Mikroalbuminausscheidung genannt. Er zeigt allerdings nicht an, wie viel der Nierenfunktion noch erhalten ist; hierzu sind weitere Urin- und Blutuntersuchungen notwendig (Kreatinin, Harnstoff, glomeruläre Filtrationsrate (eGFR), sprich Wert für die noch bestehende Nierenfunktion).
Bei Typ-1-Diabetes sollte dieser Test ab dem 5. Jahr der Diagnosestellung jährlich durchgeführt werden, bei Typ-2-Diabetes jährlich ab Diagnosestellung. Bei Entdeckung eines frühen Nierenschadens ist eine Behandlung mit einem nierenschützenden und blutdruckregulierendem Medikament notwendig (z. B. ACE-Hemmer, s. o.).

Blutfette: Die Blutfette beeinflussen maßgeblich das Gefäßrisiko. Es sollten die folgenden Blutfette gemessen werden: Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin (LDL: Low Density Lipoprotein), HDL-Cholesterin (HDL: High Density Lipoprotein) und die Triglyzeride. Ein erhöhter LDL-Cholesterinwert wird besonders mit einem hohen Risiko für Gefäßschäden, Herzinfarkte und Schlaganfälle in Verbindung gebracht.
Als Zielwerte gelten: LDL-Cholesterin unter 100 mg/dl, bei Herzproblemen nach Möglichkeit unter 70 mg/dl. Für das HDL-Cholesterin: Männer über 40 mg/dl, Frauen über 50 mg/dl. Und für die Triglyzeride: unter 150 mg/dl. Sind die LDL-Cholesterinwerte über diesen Zielen, sollte eine Therapie mit einem Cholesterinsenker, vorzugsweise einem Statin erfolgen.

Fußuntersuchung: Hierbei sollte untersucht werden, ob Druckfehlbelastungen, Durchblutungsstörungen oder Nervenschädigungen bestehen. Es sollten die Füße genau untersucht und dabei die Fußpulse getastet und die Nerven mit einem Vibrationstest mit der Stimmgabel untersucht werden.
Bei Typ-1-Diabetes sollte dieser Test ab dem 5. Jahr nach der Diagnosestellung jährlich durchgeführt werden, bei Typ-2-Diabetes jährlich ab Diagnosestellung. Bei beginnenden Nervenstörungen oder Durchblutungsstörungen können auch Vorbeugemaßnahmen zum Verhindern eines Dia­betischen Fußsyndroms eingeleitet werden. Diese betreffen u. a. auch die Anpassung des Schuhwerks.

Vollständige körperliche Untersuchung: Einmal jährlich im Rahmen der allgemeinen Vorsorge mit Abhören des Herzens und der Lunge, Abtasten der Bauchorgane, Reflexprüfung und Überprüfung der Pulse an Halsschlagadern, Beinen und Armen.

Augenuntersuchung: Die Untersuchung der Netzhaut durch Spiegelung bei durch Augentropfen weitgestellten Pupillen zeigt, ob Netzhautschäden vorliegen. Auch die anderen Augenabschnitte (Glaskörper, Linse, Augen­innendruck) werden genau untersucht.
Diese Untersuchung soll bei bislang noch nicht entdeckter Augenerkrankung alle 2 Jahre durchgeführt werden (bei Typ-1-Diabetes als Ausgangsbefund bei Diagnosestellung und dann ab 5 Jahre danach), bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren (Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Nierenerkrankung, Übergewicht, Rauchen) einmal jährlich. Bei schon bestehender Augenerkrankung erfolgen die Kontrolluntersuchungen je nach Notwendigkeit in engeren Zeiträumen.

EKG (Elektrokardiogramm): Diese Untersuchung gibt Aufschluss über den Herzrhythmus und über mögliche Durchblutungsstörungen des Herzmuskels. Aussagekräftiger als das EKG in Ruhe ist ein Belastungs-EKG, bei dem auf einem Fahrrad oder Laufband unter körperlicher Belastung das EKG abgeleitet wird.

Wohlbefinden: Auch dies sollte einmal jährlich abgefragt und dokumentiert werden. Denn vom Wohlbefinden hängt auch ab, wie gut man in der Lage ist, den Diabetes zu managen. Ein schlechteres Wohlbefinden kann auch Hinweise auf andere Erkrankungen geben. Bei schon bestehender Herzerkrankung oder Bluthochdruck ist auch eine einmal jährliche Untersuchung des Herzens mit Ultraschall („Herzecho“) sinnvoll.

Kann jeder vorbeugen durch gute Werte?

Prinzipiell kann jeder durch gute Werte Folgeerkrankungen vorbeugen. Wie bereits erwähnt, gibt es sogar ein „metabolisches Gedächtnis“ oder Stoffwechselgedächtnis, das bei einer guten Einstellung langfristig noch gute Wirkung zeigt und das Risiko für Folgeerkrankungen vermindert. Umgekehrt ist es nie zu spät, durch eine Verbesserung der Einstellung bereits bestehende Folgeerkrankungen in ihrem Verlauf aufzuhalten oder sogar zu bessern.

Insofern ist es wirklich wichtig, dass Behandlungsziele für Blutzuckerwerte, HbA1c, Blutdruck, Blutfette, Gewicht etc. vereinbart und letztendlich erreicht werden. Aber es sind nicht nur die Werte an sich entscheidend, sondern auch ein gesunder Lebensstil und der Wille, den Diabetes im Griff zu haben.

Es ist sicher manchmal schwer, diesbezüglich immer „am Ball“ zu bleiben – besonders in schwierigen Lebenssituationen, in denen plötzlich andere Dinge wichtiger werden als der Diabetes. Hier hilft es, sich schon im Vorfeld zu überlegen, wie solche Situationen zeitig erkannt werden können und wer gegebenenfalls Hilfestellungen geben kann, sich wieder besser um den Diabetes und die Gesundheit zu kümmern.

Schwerpunkt „Diabetes-Folgen vermeiden“

von Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Medizinische Klinik IV, Universitätsklinikum Tübingen,
Otfried-Müller-Str. 10, 72076 Tübingen,
Tel.: 0 70 71/29-8 20 93, Fax: 0 70 71/29-50 04,
E-Mail: baptist.gallwitz@med.uni-tuebingen.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (1) Seite 20-23

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