Diabetische Ketoazidose

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Diabetische Ketoazidose

Wenn zu wenig Insulin im Körper vorhanden ist, kann dies bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes zu einer Überzuckerung und im Weiteren zu einer Stoffwechselentgleisung, der diabetischen Ketoazidose, führen. Wie es zu einer Ketoazidose kommt, und wie man sie vermeiden kann, zeigt das Beispiel von Max.

Max ist 13. Gestern fühlte er sich etwas schlapp, er hatte Husten und Schüttelfrost. Vor dem Schlafengehen sah er, dass sein Glukosewert hoch war. Er gab über seine Insulinpumpe einen Korrekturbolus ab und ging schlafen. Am nächsten Morgen war Max ziemlich übel, und er musste erbrechen. Sein Vater fragte nach seinem Glukosewert, der Sensor zeigte 350 mg/dl bzw. 19,4 mmol/l. Max kontrollierte den Wert mit seinem Blutzuckermessgerät: Er lag tatsächlich bei 320 mg/dl bzw. 17,7 mmol/l. Sein Vater bat ihn, auch die Ketone im Blut zu messen, diese betrugen 2,1 mmol/l. Max gab erneut einen Bolus über seine Insulinpumpe ab. Weil der Blutzucker nicht sank, rief Max’ Vater das betreuende Diabetesteam an. Sie besprachen, dass Max sofort mit der Insulinspritze eine doppelte Korrektur verabreichen und viel trinken solle. Zudem solle der Katheter der Insulinpumpe gewechselt werden und dann der Blutzucker nach einer Stunde wieder kontrolliert werden. Max’ Vater meldete sich krank und blieb bei ihm.

Was ist eine diabetische Ketoazidose?

Das Hormon Insulin bewirkt die Aufnahme von Zucker aus dem Blut in die Zellen. Fehlt Insulin, kommt es zu einem Anstieg der Glukose im Blut, weil die Glukose nicht mehr in die Zellen kommen kann. Der Körper beginnt, Energie auf andere Weise bereitzustellen, zum Beispiel durch den Abbau von Fettreserven. Dabei fallen Ketone als “Abfallprodukte” an. Diese Abfallprodukte führen zu einer Übersäuerung des Blutes, einer Azidose.

Frühe Anzeichen einer Ketoazidose sind wie bei Max Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Eine vertiefte Atmung mit nach Apfelessig riechendem Atem kann ebenfalls auftreten. Weitere Zeichen können vermehrtes Trinken, häufiges Wasserlassen, Appetitlosigkeit und Müdigkeit sein. Besteht die Ketoazidose lange und wird nicht behandelt, kann sie lebensbedrohlich sein.

Ursachen für eine Ketoazidose

Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes kann es sowohl bei der Diagnose der Erkrankung als auch im Verlauf bei behandeltem Diabetes zu einer Ketoazidose kommen, z. B. wenn viel zu wenig Insulin im Körper vorhanden ist. Durch regelmäßiges Kontrollieren des Glukosewertes und regelmäßige Insulingaben ist das Risiko für eine Ketoazidose bei bekanntem Typ-1-Diabetes aber sehr gering.

Für einen Insulinmangel gibt es unterschiedliche Gründe:

  • Zu geringe oder fehlende Insulingabe: Durch vergessenes Spritzen/Bolen, zu niedrige Kohlenhy-dratberechnung oder Insulinabgaben in verhärtete Hautstellen (s. S. 12:”Die Haut zeigt vieles”) kann es zu einer Erhöhung des Glukosewertes kommen.
  • Krankheit oder Stress: Da vermehrt Stresshormone ausgeschüttet werden, die den Blutzucker erhöhen, benötigt der Körper in diesen Situationen mehr Insulin.
  • Technische Probleme: Ein defekter Pen oder verstopfter Katheter/abgeknickter Katheterschlauch bei Insulinpumpentherapie sollte ausgeschlossen werden.
… zum Fall: Max hatte am Vortag wahrscheinlich einen fieberhaften Infekt entwickelt. Sein Körper brauchte mehr Insulin. Die normale Korrektur vor dem Schlafengehen hat vielleicht nicht ausgereicht. Außerdem kann es zusätzlich ein Problem mit dem Katheter gegeben haben.

Wann und wie sollten Ketone gemessen werden?

Erstes Anzeichen für eine drohende Stoffwechselentgleisung sind wiederholt zu hohe Glukosewerte. Liegt der Glukosewert über mehrere Stunden über 250 mg/dl (14 mmol/l), obwohl eine Korrektur mit einem schnell wirksamen Insulin erfolgt ist, sollten Ketone gemessen werden.

Benutzt man wie Max einen Glukosesensor, ist es ratsam, bei anhaltend hohen Glukosewerten den Blutzucker zu messen, um eine Fehlfunktion des Sensors auszuschließen.

Bei Krankheit mit Fieber sowie bei Bauchschmerzen, Erbrechen oder Übelkeit sollten immer Ketone gemessen werden.

Die Höhe des Ketonspiegels kann man im Urin oder im Blut messen. Die Messung mit Urinstreifen ist ungenauer. Die Messung im Blut funktioniert einfach wie das Messen des Blutzuckers über Teststreifen mit einem Ketonmessgerät. Ketone im Blut über 0,6 mmol/l sind zu hoch.

… zum Fall: Max war nach der Korrektur abends eingeschlafen. Die Alarme seines Sensors hörte er vielleicht nicht oder sie waren ausgeschaltet. Deshalb bemerkte er erst morgens, dass sein Glukosewert weiter zu hoch war. In dieser Situation (schon länger hoher Glukosewert, Unwohlsein mit Übelkeit und Erbrechen) war es genau richtig, Ketone im Blut zu messen. Mit 2,1 mmol/l war der Wert viel zu hoch.

Ketoazidose: Wie behandeln?

Am besten hat man ein Schema zum Vorgehen bei erhöhten Glukosewerten und erhöhten Ketonwerten bei sich, um schnell richtig handeln zu können. In unserem Diabeteszentrum unterscheiden wir das Vorgehen bei einer Insulinpumpentherapie von dem Vorgehen bei einer Pentherapie. Ein grundlegendes Schema zum Vorgehen bei einer Ketoazidose finden Sie auf Seite 31 (“Zum Aufbewahren”).

Generell gilt, wenn Ketone erhöht sind: Viel trinken (Wasser, ungesüßten Tee), keine Bewegung und nicht einschlafen, wenn man allein ist.

Vorgehen bei einer Pentherapie

Glukosewert über mehrere Stunden über 250 mg/dl bzw. über 14 mmol/l und
a) Ketone 0 bis 0,5 mmol/l: Korrektur bei der nächsten Mahlzeit bzw. sofortige Korrektur, wenn die letzte Insulingabe über 2 Stunden (schnelles Essensinsulin) bzw. über 4 Stunden (Normalinsulin) her ist. Kontrolle des Glukosewertes nach 1 Stunde.
b) Ketone 0,6 mmol/l bis 1,5 mmol/l: Korrektur nach Insulinplan.
c) Ketone 1,5 mmol/l bis 3 mmol/l: doppelte Korrektur.
Bei b und c: Stündliche Kontrolle des Glukosewertes (bis < 200 mg/dl bzw. < 11 mmol/l) und 2-stündliche Kontrolle der Ketone. Rücksprache mit dem Diabetesteam, wenn Glukose-/Ketonwert nicht sinkt.

Vorgehen bei einer Pumpentherapie

Wenn der Glukosewert über mehrere Stunden über 250 mg/dl bzw. über 14 mmol/l liegt, soll Korrekturinsulin nach Vorschlag der Pumpe abgeben werden. Nach 1 Stunde den Glukosewert kontrollieren. Bei weiterhin erhöhtem Glukosewert Blutzucker und Ketone messen und einen neuen Katheter setzen. Weiteres Vorgehen je nach Ketonwert:
a) Ketone 0 bis 0,5 mmol/l: Korrekturinsulin alle 2 Stunden nach Vorschlag der Pumpe abgeben. Kontrolle des Glukosewertes nach 1 Stunde.
b) Ketone 0,6 mmol/l bis 1,5 mmol/l: Korrektur mit Spritze oder Pen laut Plan.
c) Ketone 1,5 mmol/l bis 3 mmol/l: Doppelte Korrektur mit Spritze oder Pen.
Bei b und c: Stündliche Kontrolle des Glukosewertes (bis < 200 mg/dl bzw. < 11 mmol/l) und der Ketone, bis Ketone negativ. Rücksprache mit dem Diabetesteam, wenn Glukose-/Ketonwert nicht sinken.

Wenn es so weit kommt, dass ein Kind oder ein Jugendlicher/eine Jugendliche erbricht, muss jemand beim Kind/bei dem/der Jugendlichen bleiben, und es muss das Diabetesteam um Rat gefragt werden. Kann durch regelmäßige Insulingaben keine Senkung des Glukosewertes und der Ketone erreicht werden, ist eine Vorstellung im Krankenhaus notwendig. Hier wird entschieden, ob eine Insulin- und Flüssigkeitsgabe über die Vene erfolgen muss.

Bei Bewusstseinsveränderung wie Schläfrigkeit oder einer vertieften Atmung sollten Eltern den Rettungsdienst rufen!

… und so ging es bei Max weiter: Nach dem Setwechsel, nachdem er viel getrunken hatte und nach der doppelten Korrektur über eine Insulinspritze sanken die Glukose- und Ketonwerte langsam. Max ging es besser. Weil seine Glukosewerte auch am nächsten Tag erhöht waren, erhöhte er die temporäre Basalrate um 20 %.

Wichtig zu wissen

  • Ketone messen, wenn der Glukosewert über mehrere Stunden über 250 mg/dl bzw. über 14 mmol/l liegt.
  • Ketonmessung bei Bauchschmerzen, Erbrechen oder Übelkeit sowie bei Krankheit mit Fieber.
  • Ketoazidose vermeiden durch Befolgen eines festen Schemas bei erhöhten Glukose-/Ketonwerten.

Ausblick: Aktuell entwickeln Firmen Ketonsensoren, die wie die Glukosesensoren Ketonwerte im Gewebe messen können. Mit dieser Technologie kann man zukünftig drohende Ketoazidosen früh bemerken und behandeln.


Autorin:
Dr. Mareike Polier

Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Diabetes-Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin „Auf der Bult“
Hannover

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2022; 13 (2) Seite 8-10

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