DIAlog 10 – die Gewinner

4 Minuten

Community-Beitrag
DIAlog 10 – die Gewinner

„Heeey“, begrüßte ich den Diabetes und ließ mich neben ihm aufs Sofa fallen.

„Oh je“, antwortete der Diabetes nur.

„Weißt du, ich hab’ nachgedacht“, fuhr ich unbeirrt fort.

„Oh je“, wiederholte der Diabetes.

„Und ich glaube, du hast gewonnen.“

„Oh – warte, ich hab’ was?“ Jetzt hatte ich es geschafft, sein Interesse zu wecken.

„Du hast gewonnen. Herzlichen Glückwunsch oder so.“

„Cool, cool.“ Der Diabetes nickte vor sich hin. „Aber was hab’ ich gewonnen?“

Ich gestikulierte mit der Hand zwischen uns beiden hin und her. „Dieses Spiel zwischen uns. Du, der immer wieder neue Möglichkeiten findet, mir das Leben schwer zu machen, und ich, die versucht, so zu tun, als hätte trotzdem immer ich das Sagen. Aber jetzt nicht mehr.“

Der Diabetes kniff die Augen zusammen und sah mich kritisch an. „Woher der plötzliche Sinneswandel?“

„Game over“ – der Diabetes als Endgegner?

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, ich hatte lange dieses Bild im Kopf, dass mit dem Diabetes umgehen zu können sowas wie eine Selbstverständlichkeit ist. Schaffen ja genug, kann ja also nicht so schwer sein, richtig? Das machte mich, die es nicht hinbekam, automatisch zur Versagerin.

Eines der ersten Dinge, die ich damals bei meiner Diagnose gesagt bekommen hatte, war: Du kannst trotzdem alles noch machen! Und das stimmt, aber es ist auch falsch zugleich. Dass du mich nicht in meinem Leben beeinflusst, ist eine Illusion. Eine tröstliche, keine Frage, und definitiv die bessere fürs Selbstbewusstsein. Dir immer schön in den Hintern treten und sich nie durch dich abhalten lassen, richtig?

Aber ich bin keine Superheldin. Und wenn ich dann zum zweiten Mal in der Nacht unterzuckert im Bett liege, mit einem Tetra Pak Saft in der Hand und der sicheren Gewissheit, dass mich am Morgen der „Hypokater“ des Jahrzehnts erwarten wird, obwohl ich ja eigentlich so viel zu tun habe und alles andere bräuchte als einen Kopf voll Watte – dann werde ich meine übrige, mickrige Gehirnkapazität nicht damit verschwenden, mir einzureden, dass ich ja trotzdem alles schaffen kann.

Quelle: Huda Said

Es geht nicht darum, wegen dir zu verzichten oder Angst zu haben. Wenn ich einen Marathon laufen möchte (was nie passieren wird), dann laufe ich einen Marathon, und wenn ich Köchin hätte werden wollen, dann wäre ich auch Köchin geworden. Die Kohlenhydratexplosion namens Schokokuchen-meiner-Mutter gönne ich mir immerhin auch oft genug. Es geht nicht darum, von dir bestimmen zu lassen, was ich mache und was ich nicht mache. Aber es geht darum, dich als das anzuerkennen, was du nun mal auch bist: ein Hindernis, eine Hürde, Ballast.

„Du musst nicht alles schaffen.“

Oft genug überwindbar – wenn mir mein Ziel wichtig ist, dann trage ich diese zusätzliche Last egal wie weit. Aber dann dauert der Weg vielleicht auch länger, braucht mehr Pausen.

Und wenn ich es nicht schaffe, gut, dann halt dieses Mal nicht.

Dann werde ich mir selbst eine Umarmung geben und mir eingestehen, dass du diesmal gewonnen hast – und das ist frustrierend, nervig und okay.

Denn genau das hätte ich mir damals neben dem ganzen „Du kannst trotzdem noch alles machen“ gewünscht. Jemand, der mir sagt: Aber es ist in Ordnung, nicht immer alles zu schaffen.

Und das hat absolut nichts damit zu tun, wie stark man selber ist, sondern nur damit, wie unglaublich anstrengend du manchmal bist. Denn weißt du was? Dann gewinnst du halt manchmal. Aber jeden einzelnen Moment dazwischen, in dem ich es schaffe, nicht meine Wand oder das gesamte Universum anzuschreien, da bin ich diejenige, die nie verliert.“

Quelle: Huda Said

Ich ließ mich tiefer ins Sofa sinken und warf dem Diabetes ein Grinsen zu.

Der hingegen zog nur die Augenbrauen zusammen: „Ich bin so verwirrt. Soll ich mich jetzt freuen, dass ich gewonnen habe, oder nicht?“

„Bewundere einfach nur die Metapher“, winkte ich ab.

Der Diabetes verdrehte die Augen, sprang dann vom Sofa und verließ den Raum, wahrscheinlich auf dem Weg, die nächste Dämlichkeit anzustellen.

Ohne Wegbeschreibung angekommen

Ich sah ihm hinterher und dachte daran, wie gerne ich damals eine Anleitung gehabt hätte. Eine Schritt-für-Schritt-Erklärung, wie man mit Diabetes klarkommt. Und jetzt saß ich hier und hatte das Gefühl: Irgendwie hab’ ich diesen Punkt trotzdem erreicht. Aber ein Tutorial könnte ich selbst jetzt nicht geben. Ich habe keine Ahnung, was am Ende der ausschlaggebende Faktor war. Die DIAloge zu schreiben, die Diabetes-Community kennenzulernen, oder einfach nur ein Schalter, der plötzlich betätigt wurde? Ich weiß nur, dass ich damals, vor mittlerweile gut eineinhalb Jahren, das Angebot der Blood Sugar Lounge fast abgelehnt hätte. Ich sprach so gut wie nie über Diabetes, geschweige denn kam es mir in den Sinn, meine Gefühle dem gegenüber im Internet zu veröffentlichen. Es ist unglaublich persönlich, zeigt eine Unsicherheit und eine Verletzlichkeit, die ich lieber ganz tief begraben würde.

Aber ich hab’ letztens meine ersten Artikel nochmal gelesen und konnte nicht anders, als mich kurz stolz zu fühlen. Ich hab’ nicht gelernt, den Diabetes zu lieben. Und ehrlicherweise bezweifle ich auch, dass dies jemals geschehen wird. Aber ich glaube, ich liebe mich selbst nun ein wenig mehr. Bin ein wenig glücklicher, in mir drin ist es friedlicher. Vielleicht ist das ein Teil der Lösung, vielleicht auch nur das Endresultat – aber es ist auf jeden Fall eine schöne Erkenntnis.


Der Weg, den Diabetes zu akzeptieren, ist nicht einfach, darüber haben bereits mehrere #BSLounge-Autor*innen berichtet:

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert