DIAlog 5 – der Besuch

3 Minuten

© Kirchheim
Community-Beitrag
DIAlog 5 – der Besuch

„Ich möchte dich gerne meinen Eltern vorstellen.“

Der Diabetes starrt mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

„Uhm…“, stottert er herum, „aber wir sind doch noch lange nicht mit der Renovierung fertig. Du kannst hier unmöglich jemanden einladen. Guck mal, ups…“ Und schon fiel eine Vase neben ihm krachend zu Boden.

Tatsache ist, dass ich ihm noch nicht mal großartig widersprechen konnte. Es sieht hier wirklich nicht gemütlich aus.

Der Diabetes fuhr fort: „Ich kapiere es außerdem nicht. Deine Eltern wissen doch schon seit Anfang an, dass es mich gibt.“

Den Diabetes und die Schuld verstecken

„Natürlich tun sie das, aber sie kennen dich nicht. Es ist so, als ob dich jemand fragen würde, wie das Gebäude aussieht, in dem du lebst, und du zeichnest ihm ein Nikolaushaus auf.“

Einfach den Diabetes herunterspielen. Mich nicht beschweren. Symptome von Über- oder Unterzuckerungen so sorgfältig verstecken, dass ich fast schon ausblenden konnte, wie schlecht es mir dabei eigentlich ging. Nicht darüber sprechen, ihm einfach keinen Raum geben. Schneller das Thema wechseln, als mein Blutzucker nach dem Besuch beim Weihnachtsmarkt in die Höhe schießen konnte.

Warnschild: Diabetes anwesend
Quelle: Huda Said

Meistens schob ich es darauf, dass ich meinen Eltern keine Sorgen machen wollte. Dass sie ja schon genug ertragen mussten. Aber vor allem fürchtete ich mich vor Schuldzuweisungen.

„Weißt du, ich kann es total verstehen. Du hast da dein Kind und es ist krank. Doch es kann trotzdem ein ziemlich gutes Leben führen, wenn es aufpasst und sein Medikament nimmt. Was macht das Kind stattdessen? Schmeißt dir förmlich eine Kriegserklärung entgegen.“ Ich warf dem Diabetes einen scharfen Seitenblick zu, aber der hob nur verteidigend die Hände.

„Ich kann verstehen, dass sie sich hilflos gefühlt haben und dass sie vielleicht wütend waren. Ich meine, ich habe mir selber Vorwürfe gemacht. Ich war mir doch allem bewusst. Aber ich glaube, was mich damals am meisten gestört hat, war das Gefühl, sie enttäuscht zu haben.“

Ausnahmsweise sagt der Diabetes daraufhin nichts und so schweigen wir ein wenig gemeinsam.

Wir beide wissen nicht, ob man in so einer Situation etwas richtig machen kann, ob es nicht vorherbestimmt ist, überfordert zu sein. Eltern bleiben nun mal auch Eltern.

Zeit für Besuch

Als ich mich kurz gesammelt habe, spreche ich weiter: „Du hast damals einfach die Tür eingetreten und bist hineinmarschiert. Also dachte ich, das Beste wäre, genau diese Tür zweimal abzuschließen und noch drei Bretter davorzunageln. Wenn du nicht verschwinden willst, muss dich zumindest niemand außer mir sehen. Aber – und nimm mir das jetzt nicht übel – alleine bist du am schwierigsten zu ertragen. Darum werde ich nicht darauf warten, bis hier alles perfekt ist. Jeder kann selbst entscheiden, ob er sich bei diesem Anblick kreischend umdreht und wegrennt oder ob er einfach mit anpackt.“ Ich grinse ihn an und nach kurzem Zögern kommt ein Lächeln zurück. Der Diabetes würde die neue Aufmerksamkeit voll und ganz ausnutzen.

Die geöffnete Tür zum Diabetes und was sich dahinter verbirgt
Quelle: Huda Said

„Alles klar, es ist Zeit für Besuch“, gibt er endlich nach.

Und so versuche ich es. Ich erzähle von meinen Ängsten, meinem Frust, meinen Niederlagen. Von meinen Hoffnungen, meinen Zielen, meinen Erfolgen. Von den Gesprächen mit meinem Diabetes und dass mir das Hypobarcamp im vergangenen Oktober das Gefühl gab, etwas gefunden zu haben, was ich all die Jahre lang gebraucht hätte. Mal meinen Eltern, mal Freunden, mal auch einfach nur einer mysteriösen Ansammlung an Menschen, die sich irgendwie Blood Sugar Lounge nennt.

Ich erzähle davon, dass es noch lange nicht okay ist. Aber es ist okay, davon zu erzählen.

Ähnliche Beiträge

Körper und Seele ganzheitlich betrachten: Diabetes und Depression begünstigen sich gegenseitig

Menschen, die sich hilflos und antriebslos fühlen, haben mehr Schwierigkeiten in der Diabetes-Therapie. Mit den Glukosewerten steigt nicht nur das Risiko für eine Depression, sondern auch das Sterberisiko. Menschen mit Diabetes in schwierigen Lebenssituationen sind daher eine Hochrisikogruppe, die mehr Aufmerksamkeit benötigt.

4 Minuten

„Manchmal hat’s mit Zucker nichts zu tun“

Das Leben besteht aus so viel mehr als Diabetes – gerade bei Kindern und Jugendlichen. Mit ihrem Buch „Manchmal hat’s mit Zucker nichts zu tun“ hat Dr. med. Katja Schaaf ein flammendes Plädoyer für eine ganzheitliche Perspektive geschrieben: auf den noch jungen Menschen, auf das Familiensystem, auf den Alltag einer Dia-Familie in all seiner Komplexität.

< 1 minute

Community-Beitrag

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert