Die Integration der Apotheker bei der Beratung Jugendlicher

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Die Integration der Apotheker bei der Beratung Jugendlicher

In der DIADEMA-Studie war es das Ziel, den “öffentlichen Apotheker” in das multidisziplinäre diabetische Team zu integrieren. So sollte Jugendlichen geholfen werden, sich selbst besser und stärker zu managen. Therapietreue sollte erhöht werden, um so aktuelle Probleme besser und zeitnah zu lösen und Diabetesfolgen vorzubeugen. Hier nun das Ergebnis.

Bosnien-Herzogowina und Deutschland sind zwei Länder, die in ihrem Gesundheitswesen und ihrer Versorgungsrealität sehr unterschiedlich sind. In einem Punkt sind sie sich aber sehr ähnlich: In beiden Ländern leben Jugendliche mit Typ-1-Diabetes – und in beiden Ländern sind die Therapieergebnisse in dem Alter recht bescheiden und unterscheiden sich kaum voneinander.

Die Zeit der Pubertät ist eine große Herausforderung

Typ-1-Diabetes zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. In Deutschland leben heute 30.000 Jugendliche mit dieser Erkrankung, die Tendenz ist steigend. Gerade die Zeit der Pubertät ist eine große Herausforderung für Kinder und ihre Eltern, denn aufgrund der physiologischen Veränderungen sind Insulinmengen und Blutzuckerwerte schwer einstellbar. Es kommt hinzu, dass die Jugendlichen sich von den Eltern lösen und selbständig werden wollen, was die Einstellung zusätzlich erschwert.

Das Nichteinhalten der komplexen Insulintherapie in der Pubertät und eine schlechte Stoffwechseleinstellung über Jahre hinweg kann zu schweren Folgen führen: diabetische Retinopathie mit dem Risiko der Erblindung, diabetische Nephropathie mit dem Risiko des Nierenversagens und diabetische Neuropathie mit dem Diabetischem Fußsyndrom. Weltweit erleiden mehr als 50 Prozent der Kinder mindestens eine Diabetes-Folgeerkrankung, wenn sie das Erwachsenenalter erreicht haben.

Bereits dies ist alarmierend – der Anlass für diese Studie war aber vielmehr eine eigene persönliche Erfahrung in Sarajewo: Eine Schulfreundin, Jahrgang 1977, die mit 2 Jahren an Typ-1-Diabetes erkrankt war und sich in der Zeit der Pubertät geweigert hatte, Insulin vorschriftsmäßig zu spritzen, entwickelte 20 Jahre später eine Retinopathie und ist heute erblindet. Dies gilt es mit allen Kräften zu verhindern.

Apotheker in die Versorgung und Betreeung integrieren

Wie könnte hier eine bessere Betreuung organisiert werden? Dies war für mich die entscheidende Frage, der ich mit einer Studie nachgehen wollte (zusammen mit der Universität Düsseldorf, Klinische Pharmazie): Die DIADEMA-Studie hatte zum Ziel, den öffentlichen Apotheker in das multidisziplinäre diabetische Team zu integrieren, um den Jugendlichen zu helfen, das Selbstmanagement ihrer Erkrankung stärker zu übernehmen, die Therapietreue zu erhöhen, um so die aktuellen Probleme besser und zeitnah zu lösen und Folgeerkrankungen vorzubeugen.

Verschiedene Personen und Berufsgruppen, eine niedrige Kontaktschwelle (die Apotheke um die Ecke) sollten mehr Möglichkeiten bringen für Gespräche sowie eine größere Offenheit (zuhören und dann auch handeln).

Die Teams setzen sich zusammen aus den Diabetologen und Diabetesberaterinnen der Pädiatrischen Klinik in Sarajewo und der Helios Klinik Krefeld, einer Apothekerin in Sarajewo und Apothekern aus Krefeld und Umgebung. Die jugendlichen Patienten besuchten Klinik und Apotheke monatlich oder hatten Telefonkontakt. Sie wurden nach Leitlinien beraten über Einsatz von Insulin und Blutzuckerselbstkontrollen, Vorbeugung von akuten und langfristigen Komplikationen, Ernährung und körperliche Aktivität.

Anhand individueller Stresssituationen wurden Problemfelder identifiziert und Lösungen gemeinsam überlegt und vereinbart. Die Ergebnisse, neue Zielvorgaben und aktuelle Untersuchungsergebnisse wurden zeitnah im multidisziplinären Team ausgetauscht.

Jugendliche: zufrieden, wohlgefühlt

Die Ergebnisse sprechen für sich: Die DIADEMA-Studie zeigt, dass mit der zusätzlichen strukturierten, pharmazeutischen Betreuung in den Apotheken eine Verbesserung des HbA1c-Wertes erreicht werden konnte und gleichzeitig die Anzahl der schweren und leichten Hypoglykämien nicht zunahm.

Auch der Test zu Zufriedenheit und Wohlbefinden der teilnehmenden Jugendlichen zeigte eine deutliche Verbesserung in beiden Ländern. Dies macht Mut, intensiver daran zu arbeiten, die Betreuung von Jugendlichen in multidisziplinären Teams von Arzt, Diabetesberaterin und Apotheker in der Regelversorgung zu organisieren.

DIADEMA: Stimmen der Beiteiligten


Der Apotheker

Apotheker H. Dieter Backes, Apotheke am Wasserturm, Meerbusch (s. Abb. 1):

„Natürlich kennt man die Jugendlichen als Patienten und Kunden der Apotheke.In aller Regel fehlen aber die Möglichkeiten, sich langfristig intensiver auszutauschen und auf spezielle Dinge und Fragen einzugehen. Dies war in der DIADEMA-Studie anders: Auf die Gespräche mit den Jugendlichen wurde man durch die Informationen aus der Klinikambulanz mit Blutwerten, anderen Parametern und klinischen Einschätzungen umfassend vorbereitet. Hierdurch hatte man ein fundiertes Bild des gegenwärtigen Gesundheitszustandes.

Zu Beginn des Gesprächs wurde das Blutzuckertagebuch auf der App gemeinsam durchgesehen und besprochen. Bereits dadurch ergaben sich Anknüpfungspunkte, um gezielt konkrete Probleme und Situationen des Alltags zu besprechen. Die Jugendlichen sind durch die Kliniken bereits sehr intensiv geschult, aber es treten häufig neue Probleme und Herausforderungen auf, für die es gilt, entsprechende Lösungen zu erarbeiten. Mit wachsendem Vertrauen wurde es einfacher – auch für die Jugendlichen–, über ihre Probleme und Stresssituationen offener zu sprechen.

Zusätzliche Motivation und Selbstbestätigung bestärken die Patienten darin, ihre Vorgaben konsequenter zu erfüllen und dadurch ihre Lebensqualität zu steigern. Ein Informationsaustausch und die Betreuung in dieser Form funktionieren schnell und unkompliziert in einer Apotheke des häuslichen Umfeldes. Die intensive pharmazeutische Betreuung kommt beiden Seiten zugute. Darüber hinaus war die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Diabetologen, Diabetesberatern sowie den Jugendlichen hochinteressant.

Erläuterungen zu Therapievorgaben und Umstellungen und die Anpassung an spezielle Herausforderungen helfen, die Zielvorgaben unter Einhaltung der Diabetes-Leitlinien leichter zu erreichen. Dies ist gerade im jugendlichen Lebensalter von besonderer Bedeutung. Die erzielten Ergebnisse und die Zufriedenheit der Patienten verdeutlichen, welches Potential an zusätzlichem Nutzen hier vorhanden wäre. Man sollte geeignete Rahmenbedingungen schaffen, dass möglichst viele Jugendliche mit Typ-1-Diabetes von dieser Betreuungsform profitieren können.“


Der Typ-1-Diabetiker

Joel, 17 Jahre, Teilnehmer an der DIADEMA-Studie (s. Abb. 2):

Es ist schon ein zusätzlicher Termin, zu dem man hingehen muss. Aber wenn man die Motivation hat, dann kann es einem auch wirklich etwas bringen. Normalerweise gehe ich so einmal im Monat zu den Ärzten ins Klinikum wegen der Werte und einiger Hinweise. Hier in der Apotheke fand ich es etwas entspannter. Es sind halt 4-Augen-Gespräche, bei denen ich auf den einen oder anderen Fehler durch den Apotheker aufmerksam gemacht worden bin und ihn dann ausgemerzt habe.

Ich hatte dies als Problem vorher gar nicht bewusst wahrgenommen. Wir haben bei den Treffen konkret bestimmte Situationen besprochen, mit denen ich vorher noch nicht so klargekommen bin. Dass dies dann auch mit der Ambulanz ausgetauscht wurde, hat mir doch weitergeholfen. Meine Werte waren nicht schlecht, haben sich dadurch aber noch weiter verbessert, was sicher für meine Zukunft ohne Folgeschäden wichtig ist, denn davor habe ich echt Angst.


Die Diabetesberaterin

Diabetesberaterin Verena Nemitz, Kinder und Jugendmedizin, Helios Klinik, Krefeld (s. Abb. 3):

Als Diabetesberaterin arbeite ich schon lange mit Kindern und Jugendlichen. Als die Studienanfrage kam, hatte ich gerade meine Weiterbildung zur Studienassistentin abgeschlossen. Da war es sehr interessant und eine Herausforderung, für die Patienten mehrere Ansprechpartner zu gewinnen, die ein offenes Ohr für sie zeigen und mit denen man sich austauschen kann. Wenn man vom Typ-1-Diabetes betroffen ist, ist dies oft eine Barriere, man fühlt sich oft allein als Jugendlicher, unverstanden und bevormundet.

Vertrauensvoll über Probleme mit Menschen zu reden, die Hintergrundwissen haben, wie Apotheker, hat die Jugendlichen offener gemacht – offener für ein Gespräch über ihre Situation. Sie waren auch dann bei uns in der Ambulanz selbstbewusster und kommunikativer. Spannend waren auch die Studientreffen, wo ein intensiver Austausch stattfand zu Therapiekonzepten und wo Fachfragen zu technischen Details wie Messgeräten und Auswertungsprotokollen geklärt werden konnten. Davon haben dann auch wieder die Patienten profitiert.

Die mit den Apothekern gemeinsam formulierten Ziele für uns Betreuer, aber auch mit den Patienten bei den Treffen, haben wichtige, auch nachhaltige Veränderungen ausgelöst, was uns alle überrascht hat. Mich hat besonders gefreut, dass die Langzeitwerte sich bei einigen Jugendlichen deutlich verbesserten und dies auch nach Ende der Studie so geblieben ist. Dies macht Mut, das gemeinsame Programm erfolgreich fortzusetzen.


Die Diabetologin

Diabetologin Petra Müller, Diabetesambulanz, Helios Kinderklinik, Krefeld (s. Abb. 4):

Das war schon spannend, in einer solchen Konstellation die Betreuung von Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes zu organisieren, so etwas hat es nach meiner Kenntnis noch nicht gegeben. Der Vorteil liegt sicher darin, dass die Jugendlichen nicht nur zu uns kommen, sondern bei der Einlösung der Rezepte auch mit dem Apotheker sprechen und von ihm betreut werden können. Viele kleine und große Fehler und Fragen konnten so von verschiedenen Seiten angegangen werden.

Die schnelle Information zwischen Apotheke, Diabetesberaterin und Diabetologin verhalf uns allen zu mehr Einblick in die Situation und das Verhalten der Jugendlichen. Dass man diese Fortschritte bei vielen auch an den HbA1c-Werten direkt ablesen konnte, habe ich so nicht erwartet. Viele Jugendliche sind erst durch diese Studie darauf aufmerksam geworden, dass sie in den Apotheken kompetente Ansprechpartner haben, die ihnen in Kooperation mit den Behandlern praktisch um die Ecke schnell und effektiv weiterhelfen können.

Dies ist besonders in diesem Alter sehr wichtig, da man meist nicht mehr auf die Eltern hört oder hören will, sich aber doch unabhängige Hilfen ohne disziplinarische Maßnahmen oder Vorbehalte wünscht. Es ist einfach eine Tatsache: Wenn an der Betreuung verschiedene Personen beteiligt sind, die fachlich und sozial kompetent sind (wie Diabetesberaterinnen oder Apotheker), werden den Jugendlichen andere Wege eröffnet, eine eigenständigere Einstellung zu ihrer Erkrankung zu finden. Sie hören mehr zu und beachten diese Ratschläge mehr.

Jugendliche müssen sich und ihre Möglichkeiten ausprobieren, brauchen aber auch den Sicherheitsgurt, um für sich Grenzen und Möglichkeiten abzuschätzen. Diese Erfahrung ist bei vielen Jugendlichen angekommen und wird auf längere Sicht auch so bleiben. Diese Kooperation hat uns neue Erkenntnisse gebracht und die Betreuung, aber auch die Ergebnisse der Therapie definitiv nachhaltig verbessert.


Schwerpunkt Versorgung von Jugendlichen

von Emina Obarcanin, Sarajewo

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (9) Seite 22-26

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