„Echte Einkehr“: Stevia – Süße ohne Reue?

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„Echte Einkehr“: Stevia – Süße ohne Reue?

Lauber’s Echte Einkehr präsentiert: Fünf Rezepte, die zeigen, wie vielfältig sich Stevia nutzen lässt; als Blätter, als Sud, als Konzentrat – und mit Honig.

„Ein empfehlenswertes Süßungsmittel und ein interessanter Ansatz zur Verbesserung der Stoffwechselsituation“, schrieb Prof. Dr. Hubert Kolb in „Schlemmen wie ein Diabetiker“ im Jahr 2004 über Stevia. Damals war die Pflanze, die heute in aller Munde ist, noch nicht zugelassen. Doch der Düsseldorfer Diabetes-Forscher war so begeistert von den Vorzügen, dass wir uns entschlossen, sie den Lesern vorzustellen.

Die Ersten waren wir, die in einer anerkannten Publikation wissenschaftlich begründet darlegten, dass Stevia nicht nur süßt, ohne dick zu machen, sondern die Stevia rebaudiana ist auch ganz besonders für den Stoffwechsel des Diabetikers geeignet. Denn das süße Kraut regt sanft die Insulinproduktion an – und es lässt das Hormon besser wirken. Immer wieder habe ich in meinen Kochshows, in Vorträgen für die Heilpflanze geworben – und rechne es mir mit als Verdienst an, dass Stevia nun endlich zugelassen wurde.

Wächst gut bei uns: Stevia auf meinem Balkon

Einer peinliche Posse einer geballten Lobbymacht aus Zuckerindustrie und Süßstoffherstellern ist es zu „verdanken“, dass ein Stoff, den Abermillionen in Japan und Südamerika seit Jahrzehnten ohne Probleme konsumieren, bei uns verboten war. Dass offiziell nicht die ganze Pflanze, sondern nur die Auszüge, das Steviosid, zugelassen wurde, ist ein letztes lachhaftes Aufzucken der Lobbyisten – und zeigt, welche abstruse Abneigungen immer noch dem „Echten“ gegenüber bestehen. Aber es ist kein Problem, die Pflanze überall zu kaufen – und zu nutzen.

Stevia verführt zum Süßmodus
Ist Stevia nun also der lang ersehnte Genuss ohne Reue? Leider nicht. Die Erwartungen an die grüne Süße sind hoch. Zu hoch. Und es sind die falschen Erwartungen. Nichts lieben Diabetiker sehnsüchtiger als Zucker – und viele denken nun, sie können Zucker einfach gegen Stevia austauschen. Und schon ist die Welt wieder in Ordnung. Ist sie nicht. Denn dann bleiben die Leute im verhängnisvollen „Süßmodus“, bleiben süß-süchtig – und unterscheiden irgendwann nicht mehr zwischen Stevia-Süße und Zucker-Süße. Und plötzlich siegt dann doch wieder der dick machende Industriezucker.

Ironie am Rande: Es war wohl der Druck der amerikanischen Süßbrausen-Produzenten, der für die weitgehende Freigabe von Stevia in Europa gesorgt hat. Die merken nämlich so langsam, dass das Geschäft mit den dick machenden, Diabetes auslösenden Getränken von Restriktionen bedroht ist, Stichwort „Sweet Tax“.

Drei Anwendungen von Stevia
Wer jemals ein Stevia-Blättchen langsam gekaut hat, glaubt, er hätte eine Zuckerfabrik verschluckt. Denn die Süßwirkung ist rund 20 bis 30 Mal stärker als bei Industriezucker. Damit zu kochen, ist nicht ganz einfach, weshalb ich neben den natürlichen Stevia-Blättern auch eine zweite Anwendung empfehle, den

Stevia-Sud: Der wird so hergestellt: Auf 100 ml Wasser eine Tasse (ebenfalls mit einem Fassungsvermögen von 100 ml) frische Steviablätter geben. Das Wasser aufkochen, die frischen Stevia-Blätter dazugeben, das Ganze bei kleiner Hitze circa 2 Minuten leise köcheln. Danach abgießen.

Stevia-Pulver oder flüssige Stevia-Präparate werden aber die entscheidende Anwendung werden. Einfach deshalb, weil den Leuten das „Naturverfahren“ zu umständlich oder zu unsicher ist. Hier ist zu beachten, dass im Vergleich zum Industriezucker die Wirkung der Auszüge Steviosid und Rebaudiosid A rund 300 mal stärker ist als von Industriezucker.

Für die nachfolgenden Rezepte habe ich auch mit dem Stevia-Pulver von Canderel gearbeitet – und da entspricht einem Esslöffel Zucker im Rezept ein Esslöffel Stevia-Pulver, allerdings wiegt das Stevia-Pulver nur rund ein Zehntel des Industriezuckers. Aufgefallen ist mir, dass das Pulver neben Rebaudiosid A auch noch Maltodextrin enthält, eine Mischung verschiedener, nicht gerade Diabetes-freundlicher Zuckersorten. Aber die Menge fällt kaum ins Gewicht, das Ganze dient wohl als Füllstoff.

Wichtig zu wissen: Stevia hat einen anderen Süßgeschmack als Zucker. Es schmeckt oft leicht metallisch, weshalb es sich im Kaffee, im Tee wohl schwer durchsetzen wird. Auch wirkt es von der Geschmeidigkeit anders, weshalb es sich kaum für die Eisherstellung eignet, der Kuchen nicht so schlotzig wird.

Auch wichtig: Laut einer Information von Canderel können „Schwangere und stillende Frauen Steviol-Glykoside ohne Bedenken verzehren. Studien belegen, dass Steviol-Glykoside keine Auswirkungen auf Fortpflanzung und Entwicklung haben“.

Wie vielfältig nutzbar Stevia ist, zeigen diese Rezepte:

Ketchup mit natürlichen Stevia-Blättern. Zitronen- und Kakao-Kuchen mit Stevia von Canderel. Johannisbeer-Granité mit Stevia-Sud. Rhabarber-Dessert mit einer Mischung aus Stevia-Blättern und Honig.

Ketchup: Mit Stevia-Blättern
Ein „Klassiker“ meiner Rezepte, kreiert für „Schlemmen wie ein Diabetiker“. An sich gehört es zu meiner „Hanswurst“, der speziellen Wurst mit Bockshornklee. Aber das Ketchup passt auch sehr gut zu anderen Würsten, hier zu einer Wurst der Kölner Naturmetzgerei „Hennes“, die auch eine wunderbare Wurst mit geschroteten Kaffeebohnen herstellt.

Ketchup: Mit Stevia-Blättern

Zutaten
1 Pfund vollreife Tomaten
100 Gramm getrocknete Tomaten, in Streifen geschnitten
2 EL Olivenöl
4 cl Balsamico
4 cl Rotwein
2 Knoblauchzehen, klein gehackt
1 Schalotte, klein gehackt
5 Stevia-Blätter, in feinste Streifen geschnitten
1 Gewürznelke, 2 Piment-Körner, 1 „Zacken“ Sternanis, alles mörsern
1 Lorbeerblatt
Salz, Pfeffer (sehr gut ist Szechuan-Pfeffer), Muskat

So wird’s gemacht: Knoblauch, Schalotte im heißen Olivenöl sanft schwenken, Tomaten (auch die getrockneten) dazu. Einige Minuten rührend leicht anrösten, mit Balsamico, mit Rotwein ablöschen, die übrigen Gewürze, das Lorbeerblatt dazu, salzen, pfeffern und rund eine Stunde köcheln lassen. Erst zum Schluss die Stevia-Blätter einschwenken, rund fünf Minuten sanft einrühren und das Ketechup in Ruhe mindestens eine halbe Stunde durchziehen lassen, damit sich die sanfte Stevia-Süße entfalten kann.

Funktioneller Faktor: Ketchup ist sehr gesund, weil durch das Kochen der Tomaten der immunstärkende Farbstoff Lycopin vom Körper besser aufgenommen werden. Allerdings enthalten industrielle Ketchups teilweise bis zu 30 Prozent Zucker – was den Gesundeffekt wieder konterkariert.


Zitronenkuchen: Mit Stevia-Konzentrat und Honig
Ein Rezept von Gertrud, die seit einiger Zeit intensiv an Kuchen arbeitet, die mit möglichst wenig Zucker auskommen. Sehr gerne arbeitet sie mit Honig. Das ist zwar auch „Zucker“, aber wenigstens einer mit Geschmack. Auch nimmt sie immer sehr wenig, damit sich der feine Duft entfalten kann – hier in der Kombination mit dem Canderel-Pulver.

Zitronenkuchen: Mit Stevia-Konzentrat und Honig

Zutaten
150 Gramm geschälte, fein gemahlene Mandeln
150 Gramm geschälte, fein geriebene Pellkartoffeln
1 Bio-Zitrone: Schale fein reiben, Saft auspressen
2 Eier
150 Gramm Butter
60 ml Sahne
1 Messerspitze Vanillepulver
1 EL Canderel-Pulver
2 EL Blütenhonig
1 TL fein geriebener Ingwer

So wird’s gemacht: Eigelb mit Butter, Sahne, Honig und Canderel schaumig rühren. Kartoffeln, Mandeln, Zitronenschale, Ingwer, Vanillepulver und Zitronensaft zugeben, weiterrühren. Zum Schluss steif geschlagenes Eiweiß unter die Masse heben. Teig in Form füllen und eine halbe Stunde bei 180 Grad backen. 


Kakaokuchen: Mit Stevia-Konzentrat allein
Ebenfalls ein Rezept von Gertrud, die sehr gerne mit den natürlichen Zucker-Balancierern Kakao und Zimt sowie dem Resorptionsverzögerer Erdmandeln (heißen im Handel auch Chufass-Nüssli) experimentiert. Und als echte Markgräfler nehmen wir natürlich gerne auch einen kräftigen Schuss Kirschwasser an unsere Rezepte.

Kakaokuchen: Mit Stevia-Konzentrat allein

Zutaten
60 Gramm geröstete, 60 Gramm weiße Kakaobohnen, jeweils gemahlen
120 Gramm Mandeln, gemahlen
120 Gramm Chufass-Nüssli
1 TL Vanillepulver
40 ml Sahne
120 Gramm Butter
3 Eier: Als Eigelb und Eischnee
6 EL Canderel-Pulver
40 ml Schwarzwälder Kirschwasser

So wird’s gemacht: Butter, Sahne, Eigelb und Stevia-Pulver schaumig rühren. Mandeln, Chufass-Nüssli unterrühren, Kirschwasser und Vanille dazugeben, weiter rühren und dann Eischnee unterheben. Teig in Form geben, rund eine Stunde kühl stellen. Eine halbe Stunde bei 180 Grad backen.

Funktioneller Faktor: Kakao lässt das Insulin besser wirken, Zimt ist ein sanfter Blutzucker-Balancierer – und die Erdmandeln (Chufass-Nüssli) sorgen dafür, dass die Kohlenhydrate nicht so schnell ins Blut flutschen, so dass es keine Zuckerspitzen gibt.

Johannisbeer-Granité: Mit Stevia-Sud
Ein Rezept für ambitionierte Köche! Ich habe es von Ullrich Löffler, vom „Lamm“ in Schlat. Kreiert hat er es für einen Kochabend, den in ich diesem wunderbaren Landgasthof in der Nähe von Göppingen gegeben habe. Zum „Lamm“ gehört auch die „Manufaktur Jörg Geiger“, in der wunderbare Birnen- und Apfelschaumweine gekeltert werden. Sie werden auch in diesem Rezept verwendet. Sie können natürlich auch etwas anderes, etwa Cidre, nehmen.

Johannisbeer-Granité: Mit Stevia-Sud

Zutaten
100 g schwarze Johannisbeeren
100 ml Wasser
2 cl Destillat von der schwarzen Johannisbeere (aus der Manufaktur Jörg Geiger)
30 ml Stevia-Sud (hier müssen Sie mit der Menge ein wenig „spielen“, je nachdem, wie süß die Johannisbeeren sind)
50 ml Birnenschaumwein (aus der Manufaktur Jörg Geiger)
50 ml Schaumwein aus Schillers Apfel (aus der Manufaktur Jörg Geiger)
1 Blatt Gelatine

So wird’s gemacht: Die schwarzen Johannisbeeren mit Wasser und dem Destillat kochen und pürieren und durch ein feines Sieb streichen. Die Gelatine in kaltem Wasser einweichen, gut ausdrücken und in etwas heißem Johannisbeeren-Mark auflösen, den Stevia-Sud zugeben.

Die beiden Schaumweine ebenfalls in das Mark vorsichtig einrühren, damit die Kohlensäuren enthalten bleiben.

Die Masse in ein flaches Gefäß füllen und in den Gefrierschrank stellen. Wenn alles festgefroren ist, mit einem Löffel das Granité von der Oberfläche her abschaben und genießen.

Hier finden Sie meine „Echt essen“-Reportage über das „Lamm“.


Rhabarber-Dessert: Mit Stevia-Blättern und Honig
Ein einfaches Dessert, das die Süße der Stevia mit der Süße des Honigs vermählt, ohne dass der herbe Geschmack des Rhabarbers „übersüßt“ wird.

Rhabarber-Dessert: Mit Stevia-Blättern und Honig

So wird’s gemacht: 20 Esslöffel gewürfelter Rhabarber, 2 Teelöffel Blütenhonig, 10 klein gehackte Stevia-Blätter in einem kleinen Pfännchen rund 15 Minuten auf kleinster Stufe sanft ziehen lassen, damit das Knöterichgewächs seinen „Biss“ behält. Rund eine Stunde durchziehen lassen, damit die Stevia ihre Süßkraft entfalten kann.

Ideal passen dazu reife Erdbeeren, wodurch sich natürlich die Honig- und Stevia-Menge reduziert.

Funktioneller Faktor: Rhabarber ist reich an Herz schützendem Kalium, an antioxidativem Diabetes-Vitamin C. Allerdings auch „reich“ an Oxalsäure, die bei Dauergebrauch Nierensteine verursacht. Also deshalb nur im „Takt der Natur“, also im Frühling, genießen


Fazit: Stevia ist ein wichtiger Baustein der Diabetes-Prävention. Allerdings nur, wenn das Süßkraut nicht so unsinnig genutzt wird wie die zu Recht vom Markt genommenen „Diabetiker-Produkte“, wo nach dem Motto gegessen wurde: „Die sind ja gut für Diabetiker, also kann ich ganz viel davon essen“. Die Kalorien wurden da gerne vergessen.

Bei Stevia könnte diese „Logik“ so lauten: „Jetzt habe ich ja schon zwei mit Stevia gesüßte Kuchenstückchen gegessen. Da geht sicher jetzt eins, das ‘normal’ gesüßt ist“. Es geht nicht – und das zweite mit Stevia gesüßte ist auch gestrichen!

Wiedergeburt: Stevia treibt neu aus

Ein kleines Wunder: Leider ist die Stevia einjährig, kommt also im nächsten Jahr nicht wieder. Normalerweise. Deshalb staunte ich nicht schlecht, dass eine Pflanze, die ich über den Winter drinnen hatte, im Frühjahr plötzlich wieder austrieb. Sicher wird sie nicht allzu groß werden, aber die zarten Blättchen schmecken jetzt schon Stevia-süß.


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de

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