Ein relativ junger Kongress etabliert sich

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Ein relativ junger Kongress etabliert sich

Mittlerweile über 2.000 Teilnehmer

Im Jahr 2008 fand der erste ATTD-Kongress in Prag statt mit damals etwas über 750 Teilnehmern. Zwei Diabetologen, Moshe Phillip (Israel) und Tadej Battelino (Slowenien), hatten diesen ins Leben gerufen, organisiert und geleitet. Mittlerweile sind es über 2.000 Teilnehmer; davon sind ca. 30 % der Anwesenden der Industrie zuzuordnen.

In Deutschland ist dieser Anteil sogar noch deutlich höher: Von den 110 Teilnehmern aus Deutschland kommen nur etwa 10 % aus der Ärzteschaft, die anderen 90 % aus Unternehmen und Forschungsinstituten. Der Erfolg der Veranstalter hat unterschiedliche Ursachen. Die aktive Einbindung der Industrie ist dabei ein Aspekt, welcher dem Charakter der Veranstaltung als Diabetestechnologiemeeting Rechnung trägt.

Zahlenmäßig stärkste Delegation aus den USA

Auf jeden Fall ist dafür auch verantwortlich, dass zahlreiche namhafte Referenten teilnehmen, insbesondere auch aus den USA (die interessanterweise die größte Teilnehmerzahl stellten). Die zahlenmäßige Stärke der Delegation aus den USA zeigte sich auch in dem hohen Anteil an Vorträgen: 46 %. Die Ursache dafür liegt eindeutig in dem hohen Stellenwert der Diabetestechnologie in Übersee, was u. a. darin zum Ausdruck kommt, dass seit ca. 15 Jahren jährlich wissenschaftliche Treffen zu diesem Thema stattfinden.

Auf dem diesjährigen ATTD-Kongress gab es 38 Workshops und wissenschaftliche Sitzungen, außerdem 289 Poster, die teilweise als

ATTD

Intuitive Insulinpumpe

Ausgestellt wurden einerseits bewährte Produkte wie die Insulinpumpen der Unternehmen Medtronic, Roche und Animas oder die Systeme zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) von Medtronic, DexCom und Abbott. Gezeigt wurde aber auch eine Reihe von zukünftig zu erwartenden Geräten.

So zeigte das amerikanische Unternehmen Tandem Diabetes Care die Insulinpumpe t:slim, die sich in den USA, nicht jedoch in Europa auf dem Markt befindet. Bei diesem Gerät erfolgt die Bedienung über ein Touchscreen-Display. Entscheidend sind dabei die intuitive Menüführung und die Sicherheit in Bezug auf ungewollte Bedienung.

Insulinpumpe mit Füllstation und CGM-Prototyp

Das Unternehmen Roche präsentierte seine weiterentwickelte Insulinpumpe Accu-Chek Insight. Sie basiert auf dem Prinzip der Accu-Chek Combo und soll diese ablösen. Sie weist eine verbesserte intuitive Fernbedienung auf. Neu ist eine Füllstation für Insulinampullen. Weiterhin vorgestellt wurde der sich in der Entwicklung befindende Prototyp eines CGM-Systems, bei welchem neben der enzymatischen Reaktion über das Enzym Glukoseoxidase das Koenzym Flavin-Adenin-Dinukleotid zum Einsatz gelangt.

In Untersuchungen mit Prototypen wurde im Vergleich zu Blutzuckermessgeräten eine MARD (mean absolute relative difference) unter 10 % erreicht. Wann das System zur Verfügung stehen wird, wurde nicht kommuniziert. Alle Produkte ordnen sich ein in das Konzept eines personalisierten Diabetesmanagementsystems, welches auf den Workshops des Unternehmens vorgestellt wurde.

Thematische Schwerpunkte

Daten per Funk an Server

Cellnovo stellte erneut seine Insulinpumpe vor, die in ausgewählten Zentren in Großbritannien verfügbar ist. Von der Größe her ähnelt sie einer Patch-Pump, wird allerdings mit einem kurzen Infusionsset verbunden. Die Fernbedienung ist mit einem Touchscreen-Display ausgestattet und beinhaltet alle Funktionen der Pumpenbedienung; sie ist in der Lage, die Daten wie ein Mobiltelefon an einen Server zu übertragen.

Insulinpumpe bei hohem Insulinbedarf

Das Schweizer Unternehmen Debiotech stellte zwei Varianten einer Patch-Pump vor. Die Juwel Pump T1 lässt sich mit 500 Einheiten, die Juwel Pump T2 mit 800 Einheiten Insulin befüllen. Letztere ist für Patienten mit hohem Insulinbedarf vorgesehen. Die Pumpen kommunizieren mit dem Steuergerät JewelCOM, welches ein farbiges Touchscreen und ein Blutzuckermessgerät enthält. Die Gerätevarianten haben noch keine CE-Kennzeichnung.

Konstante Basalrate

Dagegen hat die Insulinpumpe PaQ des Unternehmens CeQur eine CE-Kennzeichnung. Dabei handelt es sich um eine einfache Pumpe mit einer konstanten Basalrate, die nur bei Typ-2-Diabetikern eingesetzt werden wird. Für unterschiedliche Basalraten gibt es unterschiedlich konfigurierte Pumpen (konstante Abgabe von 16, 20, 24, 32, 40, 50 oder 60 Einheiten/24 Stunden). Das Insulin befindet sich in einem elastischen Reservoir. Durch Drücken auf die Pumpe wird ein Bolus abgegeben (pro Druck 2 Einheiten).


"Virtual Pancreas"

Neben den am Stand gezeigten, auf dem Markt befindlichen Produkten stellte das Unternehmen Medtronic in einem gesonderten Raum in einer Ausstellung namens "Virtual Pancreas" die bisherige und zukünftige Entwicklung zum Closed-Loop-System dar.

Das beinhaltete eine zu erwartende Insulinpumpe mit einer vorausschauenden Abschaltung der Insulinabgabe bei Gefahr einer Hypoglykämie

Beim ORS handelt es sich um die Kombination von einem elektrochemischen Glukosesensor mit einem optischen Sensorprinzip. Letzteres eröffnet die Möglichkeit, den Sensor ohne Kalibrieren zu nutzen, was nicht nur Fehler bei dieser Prozedur ausschließt, sondern auch einen Teil der üblichen Blutzuckermessungen verzichtbar werden ließe. Alle Entwicklungen haben das Closed-Loop-System selbst zum Ziel.

Punktuell interstitiell Glukose messen

Weiterhin ist das FreeStyle Flash von Abbott zu erwähnen. Dafür wurde ein spezieller Glukosesensor entwickelt, auf der Basis der Technologie vom FreeStyle Navigator. Er wird wie üblich ins Unterhautfettgewebe insertiert, gibt aber nicht kontinuierlich Daten an einen Monitor ab. Wird ein Handgerät an den Sensor gehalten, zeigt dieses die Glukosewerte der letzten acht Stunden an.

Der Sensor wird werkseitig vorkalibriert sein, muss also nicht vom Patienten kalibriert werden. Er wird damit zunächst ein Konkurrenzprodukt für die Blutzuckermessung darstellen, wobei zu beachten ist, dass es sich damit um Messungen in der interstitiellen Flüssigkeit handelt.

Wie moderne Konsumgüter

Beim ATTD-Kongress war eine gewisse Auswahl an Insulinpumpen zu sehen, die noch nicht auf dem Markt verfügbar sind. Weltweit gibt es weitere innovative Lösungen. Gemeinsam ist allen, dass sie sich zunehmend an moderne Konsumgüter wie Smartphones u. ä. anlehnen. Das betrifft auch Softwarelösungen wie Apps. Zwei Bemerkungen dazu:

Hypoglykämien verändern Gehirnstruktur

T. Battelino berichtete über Studien, in denen untersucht wurde, ob Hypoglykämien die Struktur des Gehirns verändern können (z. B. Antenor-Dorsey JAV et al., Diabetes 2013; 62: 581 – 589). So verringern häufige schwere Hypoglykämien die weiße Substanz im Gehirn, also jenen Anteil des zentralen Nervensystems, der überwiegend aus Nervenfasern besteht. Das kann die kognitiven Funktionen verschlechtern. Auch über Störungen bei der Entwicklung des Hippocampus wurde berichtet.

Dass diese Beobachtungen bei Kindern und Jugendlichen gewonnen wurden, zeigt die Notwendigkeit, schwere Hypoglykämien zu vermeiden, z. B. mit den Möglichkeiten der Diabetestechnologie.

Eine solche Möglichkeit wurde im vergangenen Jahr mit der randomisierten, kontrollierten ASPIRE-In-Home-Studie gezeigt, bei welcher Patienten mit häufigen nächtlichen Hypoglykämien deutlich von der sensorunterstützten Unterbrechung der Insulinzufuhr profitierten. Verglichen wurde eine Interventionsgruppe mit zugeschalteter Hypoglykämieabschaltfunktion (LGS: low glucose suspend) mit einer Kontrollgruppe ohne LGS.

Nach drei Monaten ergab sich, dass sich bei Verwendung von LGS die AUCHypo und damit die Intensität der nächtlichen Hypoglykämie signifikant um 38 % verringerte, ebenfalls die Rate an Hypoglykämien sowohl nachts (-32 %) als auch tags (-30 %). S. Garg stellte eine Detailauswertung der Studie bezüglich der nächtlichen Hypoglykämien vor.

Es wurden Gruppen gebildet und verglichen nach der durchschnittlichen Stoffwechseleinstellung: 1. stabiles HbA1c (keine Änderung Ende vs. Beginn), 2. niedrigeres HbA1c (Abfall ≥ 0,3 % zum Ausgangswert), 3. höheres HbA1c (Anstieg ≥ 0,3 % zum Ausgangswert). Es ergaben sich keine Unterschiede in der Anzahl und der AUC zwischen den drei Gruppen. Das heißt: Unabhängig vom HbA1c verringerten sich bei der sensorunterstützten Pumpentherapie mit Hypoglykämieabschaltung grundsätzlich die nächtlichen Hypoglykämien.

Kompromiss bei Hypoglykämieabschaltschwelle

Bei der Einstellung der Hypoglykämieabschaltschwelle ist ein Kompromiss einzugehen. Wird diese zu tief eingestellt, ist die Hypoglykämie bereits eingetreten. Wird sie auf einen höheren Wert festgelegt, um die Hypoglykämie proaktiv zu vermeiden (z. B. auf 80 mg/dl bzw. 4,2 mmol/l), kann der Patient durch die öfters auftretenden Alarme gestört werden. Es wäre also wünschenswert, einen vorausschauenden Abschaltalgorithmus zur Verfügung zu haben.

Dieser als PLGM (predictive low glucose management) bezeichnete Algorithmus wurde in der von T. Danne vorgestellten PILGRIM-Studie (Feasibility Data of the Predictive Low Glucose Management Algorithm – The Pilgrim Study) getestet. Dabei wurde eine Reaktionsschwelle bei Werten von 70 oder 80 mg/dl festgelegt. Die Insulinpumpe schaltet bereits ab, wenn die Gefahr besteht, dass bei fallenden Glukosewerten der Schwellenwert in den nächsten 30 Minuten erreicht werden würde.

Wenn die Insulinabgabe gestoppt wurde und die Glukosewerte wieder ansteigen, schaltet die Insulinpumpe die Insulinzufuhr wieder zu. In der PILGRIM-Studie führten Kinder und Jugendliche nüchtern bei einem Blutzucker von 110 mg/dl bzw. 6,1 mmol/l Sport durch (Laufband, Ergometer usw.). Bei 12 von 15 schaltete der Algorithmus vor Erreichen tiefer Werte (< 63 mg/dl bzw. 3,5 mmol/l) ab. Die anderen drei Patienten lagen knapp unter 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l. Dieser Algorithmus wird in zukünftigen Pumpenmodellen von Medtronic integriert sein.


CGM erhöht Lebensqualität

J. Pickup widmete sich den Auswirkungen von CGM auf die Lebensqualität der Patienten. Dazu wurden jeweils 50 Kinder und Erwachsene in Großbritannien befragt. 87 % davon führten eine Insulinpumpentherapie (CSII) durch. 71 % trugen den Sensor mehr als 75 % der Zeit. Es zeigte sich, dass im Vergleich zur Blutzuckermessung

Die Patienten gaben überwiegend eine positive Beurteilung zu CGM ab.

Kosten sparen durch CGM

In Deutschland wird die Kostendiskussion bezüglich CGM häufig im Vergleich mit der üblichen Blutzuckermessung geführt. Dass das nicht die ganze Wahrheit ist, zeigte C. Graham. Sie stellte eine Kostenanalyse von Patienten mit Realtime-CGM und einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung vor. Die Annahmen bezogen sich auf Daten aus den USA, wo man davon ausgeht, dass ca. 20 % der Patienten mit Typ-1-Diabetes und ca. 10 % der insulinbehandelten Patienten mit Typ-2-Diabetes darunter leiden.

Kalkuliert wurde eine Rate von schweren Hypoglykämien (SH) von 2,6/Jahr bei Typ-1-Diabetikern und von 5,9/Jahr bei Typ-2-Diabetikern (mit Insulin). 21 % der Ereignisse führten zur Hospitalisierung. Man ging davon aus, dass es unter Realtime-CGM zu einer Reduktion an SH um 45 % kommt (entsprechend einer Literaturrecherche). Für die USA würde der Einsatz von Realtime-CGM bei all diesen speziellen Patienten zu einer Kosteneinsparung von einigen Milliarden US$ pro Jahr führen, unter der Annahme, dass CGM pro Jahr 5 800 US$ kostet.

Insulinpumpe im Bauch

Mehrere Vorträge bezogen sich auf die kontinuierliche intraperitoneale Insulintherapie. Diese hat den Vorteil, dass das Insulin zuerst über die Leber resorbiert wird, was näherungsweise physiologischen Verhältnissen entspricht und die Pharmakokinetik dann nahezu der des körpereigenen Insulins.

Es gibt zwei Zugänge für die intraperitoneale Insulintherapie. Der eine Ansatz ist eine subkutan implantierbare Pumpe mit peritonealem Katheter. Das Insulin wird etwa alle sechs Wochen durch medizinisches Personal transkutan in die Pumpe gefüllt. Derzeit ist mit der MiniMed MMT-2007 weltweit nur ein Typ verfügbar. Der andere Ansatz ist die Nutzung des DiaPorts von Roche. Der Port wird in die Bauchdecke eingesetzt, das innere Infusionsset in den Bauchraum über die Leber gelegt.

Von außen erfolgt der Anschluss an eine externe Insulinpumpe über ein speziell an den Port anschließbares Infusionsset. Eine Studie zeigte, dass bei intraperitonealer Insulininfusion im Closed-Loop-Modus weniger Zeit im Glukosebereich < 70 mg/dl bzw. 3,9 mmol/l und > 180 mg/dl bzw. 10,0 mmol/l verbracht wurde – mit gleichzeitiger Verbesserung der Lebensqualität.


Weitere innovative Entwicklungen

Weitere mögliche Produkte beziehen sich insbesondere auf die nicht- oder minimalinvasive Glukosemessung, unabhängig davon, ob diese punktuell oder kontinuierlich erfolgen soll. In diese Richtung geht auch die Forschung an einer weiteren Generation enzymatischer Sensoren unter Verwendung von Glukosedehydrogenase (GDH) und Koenzymen (z. B. Universität Tokio). Weiterhin vorgestellt wurden Sensoren auf der Basis von neuartigen Glukosebindungsproteinen (Becton Dickinson) zur Erreichung einer hohen Glukoseselektivität.


Fazit

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