„Einkehr am Gleis“: Großer Bahnhof

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„Einkehr am Gleis“: Großer Bahnhof

Das Echt Essen-Gasthaus im Mai: Aufhorchen lässt Christian Dierich am Bodensee. Im eleganten Restaurant kocht er raffiniert, höchst bekömmlich und regional.

Wo früher der Bahnhof von Markelfingen bei Radolfzell stand, locken heute Hotel und Einkehr am Gleis. Während viele Hotels am See in die Jahre gekommen sind, ist das 2017 eingeweihte, am beliebten Bodenseeradweg liegende „Radhotel“ ein modernes Haus mit schönen, zweckmäßigen Zimmern, denen Eichenholz ein warmes Ambiente verleiht. Im ersten Stock nächtigen preiswert in Mehrbettzimmern mit Duschen und WC auf dem Flur Radfahrer, Wanderer und Familien. Im 2. Stock warten geschmackvolle Doppelzimmer, die einzeln belegt werden können, auf Gäste.

Dezente Eleganz: „Einkehr am Gleis“

Stilsicher und puristisch eingerichtet ist das Restaurant „Einkehr am Gleis“, von wo sich gut die an- und abfahrenden Züge nach Konstanz und Radolfzell beobachten lassen. Die schönen Holztische brauchen keine Tischdecken, aber es gibt kunstvoll gefaltete Stoffservietten. Viel Glas und Stahl schaffen ein großzügiges Ambiente und obwohl der raffiniert gefließte Boden aus Stein ist, entsteht dank den Hartfaserplatten an der Decke keine hallige Akustik, und es lässt sich gut unterhalten.

Inhaber des modernen Restaurants ist Florian Repnik, der langjährigen Lesern meiner Kolumnen noch aus dem wenige Kilometer entfernten, legendären Restaurant „Gottfried“ der Familie Neidhart bekannt ist, wo er viele Jahre den Service geleitet hat. Das Gottfried ist Geschichte, die „Einkehr“ ist die moderne Variante der Gottfried-Prinzipien: Große Gastlichkeit und große Küche. Florian Repnik ist der rare Typ von Gastgeber, der mitdenkt, der weiß, wo er etwas sagen muss, wo er sich zurücknehmen kann. Fast allein bewältigt er den Service – eine große Leistung. Denn schon wenige Monate nach der Eröffnung ist der Zuspruch gewaltig, müssen teilweise Gäste abgewiesen werden.

Auf dem Weg nach oben: Christian Dierich, Florian Repnik

Dass der Geheimtipp so schnell zum Gästemagnet geworden ist, liegt auch an der Küche von Christian Dierich. Geboren in Brandenburg, lernte er sein Handwerk in einem renommierten gutbürgerlichen Restaurant in der Nähe von Gummersbach. Danach war er unter anderem in der „Bleiche“ im Spreewald, einem der besten Wellnesshotels Deutschlands, wo er auch seine Frau kennen lernte. Anschließend kochte er drei Jahre im 2-Sterne-Restaurant „Ophelia“ in Konstanz und führte dann zwei Jahre lang das „Gottfried“ zusammen mit Klaus Neidhart zu einer letzten, großen Blüte.

„Heimatküche“ heißt mein Kochbuch, wo ich mit Klaus Neidhart unsere Küchenklassiker verfeinert und verschlankt habe. Eines der besten Rezepte ist das Gemüsegedicht „Leipziger Allerlei“, das Erbsen, Morchel, Spargeln und Flusskrebsen einen großen Auftritt beschert – und das von Christian Dierich maßgeblich mitentwickelt wurde.

Gelungener Auftakt: Bouillabaisse, Saiblingsburger, Kartoffelsalat

Ein Ausrufezeichen setzen die drei Gaumenschmeichler zu Beginn: Links in der Miniflasche eine enorm intensive Bouillabaisse von Süßwasserfischen, intensiviert mit einem Krustentierfond. Geschmackstark der Saiblingsburger mit einem sehr aromatischen Brötchen. Rechts ein feiner Kartoffelsalat mit Felchen nach Matjesart.

Vom Fenchel-Limonen-Sud umspült: Saiblingstatar

Großes kulinarisches Kino der erste Gang: Ein wohl abgeschmecktes Tatar vom Saibling in einem aromatischen Fenchel-Limonen-Sud, akzentuiert von fein-säuerlichen Apfelstückchen. In Vanille-Essig eingelegt waren Radieschen und Kohlrabi, was die Farbe in Rötliche changiert und den Geschmack angenehm sanft werden lässt. Dazu noch ein Hauch Saiblingskaviar, knackiges Fenchel- und Schafgarbenkraut – und fertig ist das 14 Euro kostende Gästeglück.

Vom kleinen, feinen Weingut Clauß aus Nack am Hochrhein bei Schaffhausen kommt der 2017er Weißburgunder mit angenehmer Säure, aber mit 13 Prozent ein wenig zu viel Alkohol für einen Sommerwein. Gastfreundlich der Preis mit 26 Euro.

Vom Krustentierfond geadelt: Saibling

Der Höhepunkt des Abends – und eine kleine Reminiszenz ans Leipziger Allerlei: Ein auf den saftigsten Punkt konfierter Saibling, gekrönt von einem Stück Hummer für 27 Euro. Obwohl der Fisch aus der Aquakultur stammt, schmeckt er wunderbar – und passt sehr gut zu den knackigen Gemüsen, wie Karotte, Kohlrabi, Zuckerschote und Zucchini, das meiste von der nahen Gemüseinsel Reichenau. Alles bindet kongenial zusammen ein Krustentierfond, der auch die darin geschwenkten breiten Nudeln zu einem süffigen Vergnügen macht. Diese Nudeln sind übrigens so ziemlich die einzigen konzentrierten Kohlenhydrate, denn in der Einkehr gibt es Brot nur auf besonderen Wunsch – und das funktioniert verblüffend gut, weil es das Essen sehr bekömmlich macht.

Stimmige Kombination: Linsen, Spargel, Zander

Auch wenn ich kein großer Freund von gebratenem Fisch bin, ist dieses Gericht in sich äußerst stimmig und schmackhaft: Karamelisierter Spargel auf fein säuerlichen Berglinsen, darüber gebratener Tiroler Schinken und dann der Zander, getoppt von einem intensiven Spargelschaum. Ein deftiges Vergnügen für 24 Euro.

Ein kräftiges Gericht, das nach einem kräftigen Wein ruft. Der 2013er Crozes Ermitage für 38 Euro ist so einer. Ein tanninstarker Syrah, der den starken Aromen locker Paroli bietet.

Angenehmes Hotel, gute Küche – und eine ideale Lage

Gnadensee heißt der Bodensee hier – und es ist wirklich ein begnadetes Fleckchen. „Hier ist´s wie früher“, sagt begeistert mein Freund Peter, der als Kind schon hier war. Noch immer tummeln sich ohne Hektik die Familien mit Kindern. Noch immer ist hier der Seezugang gratis. Vom Hotel sind es 100 Meter zum Strand mit dem glasklaren Wasser, wo es sich in Richtung der geschützten Halbinsel Mettnau schwimmen lässt. Auch oberhalb des schmucken Städtchens Markelfingen ist es schön, es gibt noch richtige Matten, alte Bäume, ein kleines Biotop – und wunderbare Aussichten auf die Mettnau und die Reichenau.

Zukunftsweisend und aromastark ist die Küche von Christian Dierich – und wenn es ihm gelingt, noch mehr Fische aus dem See zu bekommen, kann das richtig gut werden. Vom 2-Sterne-Haus „Ophelia“ einmal abgesehen, das sich bewusst in einer abgehobenen Liga positioniert, könnte er schon bald zusammen mit Markus Gruler von der „Seehalde“ (siehe Notizen weiter unten) zu den besten Köchen am See gehören.

Fazit: Ein neuer kulinarischer Stern am Bodensee, der eine Reise lohnt – am Besten mit der Bahn.

„Einkehr am Gleis“


Adresse: Unterdorfstraße 24, 78315 Radolfzell-Markelfingen

Öffnungszeiten: 12 bis 14 Uhr und ab 18 Uhr, montags ist zu. Nachmittags eine kleine Vesperkarte, gerne auch im schönen Biergarten.

Kontakt: 07732/892 72-0, www.amgleis.de


„Seehalde“: Highlights aus dem Fischeparadies

Sauber, sauberer, Bodensee. Drohte vor Jahrzehnten der See noch umzukippen, so ist er inzwischen dank aufwendigster Kläranlagen fast so sauber wie Trinkwasser – was wesentlich auch daran liegt, dass bis Stuttgart hinauf Millionen Menschen mit dem frischen Nass versorgt werden. Was gut für die Wasserqualität ist (wobei es sich trefflich streiten lässt, ob das wirklich so klinisch rein sein muss), ist schlecht für die Fische. Immer weniger gibt es davon – vor allem dann, wenn Hunderttausende ans Wasser strömen, nämlich im Sommer.

Markus Gruler aber kriegt immer Fische. Der Koch von der „Seehalde“ hat sich über viele Jahre ein enges Netzwerk an Fischern geschaffen – und er nimmt auch dann Fisch ab, wenn er nicht so nachgefragt ist, etwa im späten Herbst. Der erfahrene Koch, der selbst fischt, bekommt manchmal auch rare Ware, die selten oder nie auf der Karte steht – und ich hatte das Glück, bei meinem jüngsten Besuch einige dieser Trouvaillen genießen zu dürfen.

Variationen vom Rotauge

Es muss nicht immer Edelfisch sein. Das Rotauge, auch Plötze genannt, ist ein Karpfenfisch. Links als Matjes, in der Mitte gebeizt und dann als Tatar. Auch hier mit eingelegten Radieschen, Apfel und Pumpernickel – und ganz raffiniert: Erfrischendes Gel von der Essiggurke.

Großartig auch als Amuse Bouche ein geräucherter Bodenseeaal mit Kernöl.

Niedertemperatur gegarte Seeforelle

Einer der besten Fische aus dem See – und eine der besten Zubereitungen, nämlich Niedertemperatur gegart. Mit Erbsen, plus Wasabi und Soja, was zarte fernöstliche Noten beisteuert.

Sandfelchen konfiert

Ein seltener Fisch, der aber köstlich schmeckt, vor allem, wenn er wie hier in Butter konfiert wird, meine liebste Zubereitungsart. Getrockneter grober Senf, über die feine Rieslingsauce gestreut, steuert eine dezente Schärfe bei. Mairübchen und Frühlingslauch schmecken zart – und die gebratene Hechtleber ist noch einmal ein kleines Highlight.

Kopf und Schwanz vom Wels

Das essen nur wenige: Wels, der weit über einen Meter groß werden kann, und der vor allem aus schlammigen Flüssen schnell modrig riecht. Meiner war aus dem Bodensee, schmeckte herzhaft, vor allem die bissfesten Bäckchen. Dazu frisch geriebener Meerrettich, braune Butter, etwas Gemüse – ein Fest!

Sehnsuchtsort: Blick von der Restaurant-Terrasse

Einzigartig am Ufer liegt die „Seehalde“, alle Zimmer gehen zum See – und die prächtige Terrasse ist auch über dem Wasser. Mehr Lage geht nicht und so sind Hotel und Restaurant immer ausgebucht – vor allem auch deshalb, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis großartig ist. Aber auch weil Bruder und Miteigentümer Thomas Gruler über eine formidable Weinkarte und einen klugen Weinverstand verfügt. Ein Stück Paradies auf Erden.

www.seehalde.de


ECHT ESSENheißt der Blog, in dem ich seit zehn Jahren jeden Monat mindestens ein Gasthaus vorstelle. Wichtiges Auswahlkriterium: Herkunft der Produkte.



von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Internet: www.lauber-methode.de

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