Fußballer Vidal lässt seinen Sohn in Turin behandeln

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Fußballer Vidal lässt seinen Sohn in Turin behandeln

Der an Typ-1-Diabetes erkrankte Sohn von Bayern-Star Arturo Vidal wird sich in Turin einer neuartigen Behandlungsmethode unterziehen – diese Meldung wird derzeit auf vielen Internetseiten verbreitet, sogar von einer Heilung des Diabetes ist die Rede. Wir haben dazu einen Experten befragt, den Kinderdiabetologen und Diabetesforscher Professor Dr. Thomas Danne aus Hannover: Was ist dran an den Hoffnungen auf die „künstliche Bauchspeicheldrüse“?

Alonso Arturo Vidal ist sechs Jahre alt und hat Typ-1-Diabetes; sein Vater ist Arturo Vidal, Mittelfeldspieler beim FC Bayern München. Der Junge wird sich einer “neuartigen Behandlung” unterziehen – so stand es gestern in der Münchner Abendzeitung und auf verschiedenen Internet-Portalen.

Bekannt geworden ist dies durch einen Twitter-Beitrag von Vidal am 5. September. Darin schreibt er vom „ersten Experiment weltweit für die künstliche Bauchspeicheldrüse“. Sein Sohn soll in Italien in einer Turiner Klinik behandelt werden. Ein „Auf geht’s Krieger!“ gibt Vidal seinem Sohn via Twitter noch mit auf den Weg.

Mögliche Heilung des Typ-1-Diabetes?

In der Münchner Abendzeitung ist außerdem von einer „möglichen Heilung der Krankheit“ die Rede. Mit der künstlichen Bauchspeicheldrüse ist aber kein Organ gemeint, das an Diabetes erkrankten Menschen eingepflanzt werden kann und das dann die Produktion von Insulin im Körper übernimmt.

Es ist vielmehr so, dass eine künstliche Bauchspeicheldrüse heutzutage besteht aus

  • einer Insulinpumpe
  • einem Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung
  • einem Blutzuckermessgerät zur Kalibrierung des Sensors und
  • einem Computerprogramm (Algorithmus), das die Pumpe automatisch steuert.

Alle diese Geräte können über Funkwellen miteinander kommunizieren, es wird daher auch von einem „closed loop“ (geschlossenes System) gesprochen. Wenn die Zusammenarbeit zwischen den Geräten gut funktioniert, wäre die künstliche Bauchspeicheldrüse/closed loop natürlich eine große Erleichterung und Verbesserung in der Behandlung des Diabetes. Aber auch ein solch großer Fortschritt ist nicht gleichzusetzen mit einer Heilung.

Forschung in verschiedenen Gruppen weltweit

Weltweit gibt es verschiedene Forschergruppen, die an der künstlichen Bauchspeicheldrüse/dem closed loop arbeiten – darunter eine italienische Gruppe, die von Claudio Cobelli (Padua) geleitet wird. Studien dieser italienischen Gruppe finden in verschiedenen Kliniken statt, darunter ist auch das Turiner Krankenhaus, in dem der Sohn von Arturo Vidal behandelt wird.

Weit fortgeschritten in der Forschung um die künstliche Bauchspeicheldrüse ist das DREAM-Konsortium, das aus Forschern aus Ljubljana/Slovenien um Professor Battelino, aus Tel Aviv/Israel um Professor Philipp und aus Hannover/Deutschland um Professor Danne und Professor Kordonouri besteht. Über die Fortschritte, die diese Gruppe von Wissenschaftlern bisher gemacht hat, wurde schon mehrmals im Diabetes-Eltern-Journal berichtet.

Professor Danne, Kinderdiabetologe und Chefarzt am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin „Auf der Bult“ (Hannover), außerdem Chefredakteur des Diabetes-Eltern-Journals, weiß mehr über das Projekt in Italien und erklärt im Interview, wie weit die Forschung an der künstlichen Bauchspeicheldrüse bereits fortgeschritten ist. .


Herr Professor Danne, was ist das für ein Projekt, das in Italien läuft und das durch die Teilnahme von Alonso Arturo Vidal, Sohn des Fußballstars Arturo Vidal vom FC Bayern München, jetzt so viel Aufmerksamkeit bekommt?

Professor Thomas Danne: Solche Projekte laufen ja nicht nur in Italien, sondern an vielen verschiedenen Orten weltweit. Grundsätzlich geht es darum, eine Insulinpumpe automatisch zu steuern, und zwar mit den Werten, die ein in der Haut gelegter Glukosesensor misst. Damit das klappt, muss eine entsprechend entwickelte Computersteuerung dafür sorgen, dass die Pumpe direkt aus diesen Daten gesteuert wird, ohne dass der Patient selbst eingreifen muss.

Ist das dasselbe Forschungsprojekt, an dem Sie auch beteiligt sind und worüber wir schon verschiedentlich im Diabetes-Eltern-Journal berichtet haben?

Danne: Man muss das sportlich sehen, das ist ja das Schöne in der Wissenschaft: Es arbeiten verschiedene Gruppen mit verschiedenen Ansätzen an dieser künstlichen Bauchspeicheldrüse. Da gibt es die Gruppe in Italien, dann das DREAM-Konsortium, in dem ich mitarbeite, zusammen mit Professor Philipp aus Israel und Professor Battelino aus Slowenien. Es gibt aber auch eine Gruppe in Boston, die einen etwas anderen Ansatz hat und nicht nur Insulin, sondern auch Glukagon verwendet. Auch in Kanada und Australien gibt es Versuche, den Weg zum Ziel zu finden.

Und für wie aussichtsreich halten Sie den Versuch, den die Italiener machen?

Danne: Nun, ich denke, natürlich ist jeder Wissenschaftler immer überzeugt, dass er den einzig richtigen und am weitesten entwickelten Vorschlag hat. Die Italiener verwenden einen Dexcom-Glukosesensor, eine Omnipod-Pumpe und auch teilweise Systeme der Firma Roche. Ich weiß jetzt nicht genau, welches Geräte sie bei dem aktuellen System verwenden. Sie haben zusätzlich auch noch ein besonderes Steuergerät, das Prof. Kovatchev aus den USA entwickelt hat. Das läuft auf einem Handy, wo letztendlich die ganze Steuerung drauf ist. Bis jetzt haben wir nur Ergebnisse gesehen von einigen wenigen Erwachsenen. Das ist unter semifreien Bedingungen gelaufen, das heißt, die Studienteilnehmer sind im Hotel unter Bewachung gewesen.

Andere Forschungsgruppen sind schon so weit, dass die Studienteilnehmer das System schon über längere Zeit zu Hause ausprobiert haben – darüber gibt es schon publizierte Daten aus sechswöchigen Versuchen unter häuslichen Bedingungen.
Was die italienische Gruppe bisher veröffentlicht hat, schien alles noch nicht ganz so weit zu sein, aber vielleicht ist jetzt der aktuelle Versuch weiter. Besser werden wir darüber Bescheid wissen im Frühjahr beim ATTD-Kongress in Mailand (ATTD: Advanced Technologies and Treatments for Diabetes) , wo üblicherweise alle Gruppen zeigen, wie weit sie jetzt gerade sind.

Wie kommt es, dass der Sohn von Arturo Vidal an dieser Studie teilnimmt?

Danne: Ich nehme an, dass die Familie Vidal letztendlich über die Zeit, in der Arturo Vidal für Turin gespielt hat, den Kontakt mit der dortigen Diabetologie aufgenommen hat und deshalb den weiten Weg nach Turin fährt, obwohl er Versuche natürlich auch hier in Deutschland hätte haben können.

Aber es ist doch auf jeden Fall so, dass es erst einmal eine Studie ist und das System noch nicht dafür gedacht ist, dauerhaft eingesetzt zu werden …

Danne: Nein, dauerhaft sicherlich nicht, das ist mit Sicherheit eine Studie.
Im April diesen Jahres hat die Firma DreaMed eine strategische Zusammenarbeit mit der Firma Medtronic bekanntgegeben, mit dem Ziel den CE-zertifizierten DREAM-Algorithmus des DREAM-Konsortiums in die nächste Generation der Medtronic-Pumpen zu übertragen.

Und dieses System wird derzeit getestet?

Danne: Genau, die Tests laufen im Moment. Ich denke, es wird sicherlich noch zwei Jahre dauern, bis das System tatsächlich Marktreife hat.

Vielen Dank für das Gespräch!


Interview: Nicole Finkenauer-Ganz

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