Heilt tiefste Wunden: Fischhaut

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Heilt tiefste Wunden: Fischhaut

Trotz überzeugenden Erfolgen bei der Behandlung des Diabetischen Fußes setzt sich eine innovative Methode nicht in der Breite durch. Warum das so ist? Das fragt sich unser Kolumnist Hans Lauber, der das Verfahren ausführlich vorstellt.

Starke Nerven braucht, wer diese Fotos betrachtet: Sie zeigen sehr tiefe und komplexe Wunden, wie sie vor allem bei Diabetes entstehen können. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen alten Mann, der am 21. Juni 2021 in die Kölner Uniklinik kam. Bei dem Patienten musste bereits bis auf die Ferse der Fuß amputiert werden – und es drohte fast unweigerlich der Verlust des kompletten Unterschenkels ab dem Knie. Dieses Schicksal wollte der Oberarzt der Poliklinik für Gefäßchirurgie Dr. med. Tran Tong Trinh dem Patienten ersparen – und er nahm den Kampf mit der schwärenden Wunde auf.

Fast hoffnungsloser Fall: Bis auf den Knochen reichende Wunde

Knapp drei Monate später konnten sich Arzt und Patient über erste Erfolge freuen: Ein Großteil der offenen Wunde war im Prozess des Abheilens – und das ist einem seit längerem bekannten Verfahren zu verdanken, das aber nur selten angewandt wird, nämlich einer Wundauflage mit präparierter Haut vom isländischen Kabeljau. Einmal pro Woche legte der erfahrene Arzt die von lebenden Zellen gereinigte, von Krankheitskeimen befreite Fischhaut in die Wunde – zu sehen an den kleinen gelben Stellen, die auch deutlich nach Fisch riechen.

Hoffnung keimt auf: Die Wunde ist deutlich im Abheilen

Tiefes Aufatmen nach 24 Wochen am 22. November 2021: Der „Last Endpoint“ ist erreicht. Die Wunde ist vollständig geschlossen, der Unterschenkel ist gerettet – und auch jetzt nach bald drei Monaten ist der Patient ohne Beschwerden und sagt dankbar und erleichtert: „Plötzlich hatte ich nicht mehr das Gefühl, krank zu sein“. Ein kleines Wunder, denn jedes Jahr gibt es in Deutschland vor allem als Folge von nicht oder schlecht heilenden Wunden bei Diabetes um die 20 000 Amputationen, trotz meistens gut eingestellten Blutzuckerwerten.

Ein kleines Wunder: Die Wunde ist vollständig abgeheilt

Zu verdanken ist das Wunder einem Produkt der isländischen Firma Kerecis, welche diese dezellularisierte Matrix aus Fischhaut herstellt. Warum sich die Kabeljauhaut so ideal zur Wundheilung eignet, zeigt mir Dr. Trinh an einer Grafik: So ähneln sich vom Kollagen (also den Strukturproteinen des Bindegewebes) über das Fibronektin (ein Gewebe regenerierendes Protein) bis hin zu den Proteoglykanen (dienen der Stabilisierung der Zellen) die Matrix-Moleküle von Fisch- und Menschenhaut auf verblüffende Weise. Aber nicht nur das: Die Fischhaut ist reich an Omega-3-Fetten, die im Körper in Stoffe umgewandelt werden, welche Entzündungen dämpfen, Bakterien abtöten und die Wundheilung befördern – und das sehr viel nachhaltiger als andere Hautersatzstoffe, zu denen auch präparierte Schweinedärme gehören.

Teurer als Gold: Präparierte Fischhaut der Firma Kerecis

Klingt alles sehr überzeugend. Klingt nach einer Erfolgsgeschichte. Ist es aber leider nicht, denn die Methode hat einen entscheidenden Nachteil: „Sie ist rund 50 Prozent teurer als die herkömmlichen Verfahren“, sagt Prof. Bernhard Dorweiler, Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie an der Uniklinik Köln. Der Arzt muss es wissen, denn er hat zusammen mit Dr. Trinh bereits 2016 in der Mainzer Uniklinik als Erster in Deutschland damit Wunden geheilt. Und die beiden haben zusammen mit gefäßchirurgischen Zentren in Hamburg und Karlsruhe die erste umfassende Studie zu diesem Heilverfahren verfasst, die 2018 veröffentlicht worden ist. Dabei wurden 25 Problemwunden behandelt, von denen viele teilweise über Wochen mit konventionellen Methoden erfolglos therapiert wurden. Nicht nur heilten die Wunden sehr gut, sondern die Patienten konnten sich auch über deutlich geringere Wundschmerzen freuen. Ermutigende Ergebnisse, die auch Chefarzt Prof. Diethelm Tschöpe vom Diabeteszentrum Bad Oeynhausen bestätigen kann.

Weniger Schmerzen bedeuten weniger menschliches Leid. Nur, in solchen Kategorien wird in unserem Gesundheitssystem selten gedacht. Da dominieren ganz stark wirtschaftliche Überlegungen. Da spielt eine Rolle, dass ein Quadratzentimeter der rettenden Matrix über 20 Euro kostet, „weshalb das Material teurer als Gold ist“, so Prof. Dorweiler.

Pioniere innovativer Wundheilung: Prof. Dorweiler, Dr. Trinh

Den gesetzlichen Kassen ist das zu teuer, weshalb sie nicht zahlen – und das, obwohl die Behandlung oft sehr viel schneller und unkomplizierter funktioniert als mit herkömmlichen Wundauflagen, die oft alle zwei Tage gewechselt werden müssen. Auch ist es bei sehr tiefen Wunden, wo Sehnen, wo Knochen freiliegen, vielfach die einzig erfolgversprechende Methode – als Alternative zu einer Amputation. Auch die breit von der EU geförderte sogenannte ODIN-Studie, an der die beiden seit einem Jahr in Köln wirkenden Ärzte teilnehmen, kann diese Einschätzung wohl nicht mehr grundlegend ändern. Obwohl es genau das Ziel dieser länderübergreifenden Studie war, Daten und Fakten zu generieren, um den Kassen Argumente dafür zu liefern, die Wundheilung mit Fischhaut zu einer Standardtherapie zu machen.

Völlig anders die Situation in den USA: „Dort ist die Behandlung mit der Fischhaut der Standard“, und Prof. Dorweiler weiß auch warum: „Das Verfahren wurde massiv von der US-Army gefördert“, was wohl geholfen hat, die Heilung mit der Fischhaut in der Breite durchzusetzen. Was auch geholfen hat: Die Amerikaner haben bei ihrem Zulassungsverfahren ganz stark von den Ergebnissen der Dorweiler-Studie profitiert, die praktischerweise auf englisch publiziert wurde.

Und bei uns? „Die Methode wird bleiben“, ist Prof. Dorweiler überzeugt. Aber sie wird wahrscheinlich auf einen überschaubaren Kreis beschränkt bleiben, vor allem wohl von Privatpatienten. Wobei meine Erfahrung mit den Kassen ist, dass sich in speziellen Fällen (etwa, wenn eine Amputation droht) oft ein vertrauliches Gespräch mit dem Versicherungsträger lohnt.

Vernünftige Ansätze. Sie können allerdings nicht verhindern, dass diese schonende Form der Wundheilung bei uns nicht den Stellenwert erhält, der diesem innovativen Verfahren gebührt.

Tut gut, schmeckt gut: Konfierter Kabeljau

Omega-3-Fette aus der Fischhaut müssen mühsam und kostspielig aufbereitet werden, bevor sie ihre Wunden und Entzündungen heilende Wirkungen entfalten können. Deutlich günstiger funktioniert das mit frischem Kabeljau, der im Winter als besonders wohlschmeckender Skrei verkauft wird – und der ebenfalls Entzündungen dämpft sowie das Immunsystem stärkt, was gerade jetzt besonders wichtig ist.

So gelingt der Fisch: Den Skrei in ein Pfännchen legen, das nicht viel größer als der Fisch ist. Dann eine Mischung aus Olivenöl, Mineralwasser und Zitronensaft bis zur halben Fischhöhe angießen. Den Fisch bei 80 Grad rund 20 Minuten im Ofen ziehen und danach zehn Minuten ruhen lassen, salzen, pfeffern. Konfieren heißt diese vom berühmten Bodensee-Fischkoch Klaus Neidhart propagierte sanfte Methode, welche die Vitalstoffe schont und den Skrei glasig-saftig lässt. Bestens dazu schmecken gedünstete Champignons, die mit Omega-3-fittem Walnussöl aromatisiert werden.

Mein Kombinations-Vorschlag: Wer eine äußerliche Wundentherapie mit Kabeljauhaut bekommt, erweitert das um eine innere Genusstherapie mit konfiertem Fisch. So entfaltet sich die gesamte therapeutische Bandbreite der gesunden Fette.


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Internet: www.lauber-methode.de

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