Ich bin behindert!

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Community-Beitrag
Ich bin behindert!

Ich bin behindert und gehe offen damit um. Grund, mich für meine körperliche Behinderung zu schämen? Nein! Und ich möchte andere gerne unterstützen und motivieren, dass sie sich für ihre Behinderung (ganz egal welcher Art oder Grad) nicht schämen. Gemeinsam können wir etwas bewirken!

Nachteilsausgleich = Vorteil?

„Das ist ja unfair. Du bekommst mehr Urlaubstage, Steuernachlass und bist vor einer Kündigung im Job besser geschützt!“ Tatsächlich sind das alles Aussagen, die mir in meiner kurzen „Diabetes-Karriere“ nicht nur einmal begegnet sind. Und ehrlich gesagt wusste ich anfangs auch nicht genau, wie ich damit umgehen oder was ich darauf antworten sollte. Auch hier hat mir der Austausch innerhalb der Community sehr geholfen. Denn durch die Gespräche mit anderen behinderten Menschen wurde mir klar: Das ist gar kein „Vorteil“. Es hat einen wichtigen Grund, warum es offiziell „Nachteilsausgleich“ heißt.

Eine deutsche Klinik in Seoul – Nathalies Anlaufstelle für den Diabetes. (Quelle: Nathalie Bauer)

Von 2 auf 10+

Als Mensch mit Diabetes hat man ganz andere Verpflichtungen als ein gesunder Mensch. Wenn ich zuvor einmal im Jahr zur Vorsorge bei der Zahnärztin war, so sind es heute mindestens zwei Besuche pro Jahr. Ebenso sitze ich in der Regel alle drei Monate entweder bei der Hausärztin oder bei der Diabetologin. Da sind wir schon bei sechs Terminen. Vergessen wir jetzt nicht die Augenärztin, Frauenärztin und die Termine bei der Podologie. Mit den zusätzlichen Urlaubstagen, welche mir durch den Schwerbehindertenausweis gewährt werden, decke ich Termine wie diese ab. Denn in den seltensten Fällen schafft man es, am Morgen zur Zahnärztin, nach dem Mittagessen zur Diabetologin und am Abend noch zur Podologie zu gehen – oder kennt ihr dafür einen Geheimtrick? 😉

Was steckt dahinter?

Wieso das Wort „Behinderung“ oder der Ausdruck „behindert sein“ so eine negative Assoziation hat, oder immer noch als Beleidigung verwendet wird, ist ein Thema für sich. Dazu könnte man ganze Bücher schreiben, was hier aber nicht meine Absicht ist.
Mir geht es mehr darum, darüber zu schreiben, warum wir uns selbst dafür schämen, „behindert zu sein“. Betrachten wir es nämlich von einer ganz sachlichen Perspektive, sind wir schlichtweg behindert. Ich als Mensch mit Typ-1-Diabetes produziere selbst kein Insulin mehr. Meine Bauchspeicheldrüse ist somit in Hinsicht auf diese Hormonproduktion behindert.
Mindert diese Behinderung meinen Wert als Mensch? Auf keinen Fall!

Ein Mensch mit Sehschwäche ist sehbehindert, ein Mensch mit gebrochenem Bein ist gehbehindert. Müssen sie sich dafür schämen? Nein!
Und nur, weil man unsere körperliche Behinderung vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennen kann, sollte man sie nicht weniger ernst nehmen oder „runterreden“.

Nicht nur Nathalie fuhr an dem Tag Achterbahn – auch ihr Diabetes. 😉 (Quelle: Nathalie Bauer)

Grund zum Schämen? Fehlanzeige!

Für mich ist es keineswegs ein Grund zum Schämen oder Verheimlichen.
Ja, mit einem Schwerbehindertenausweis können leider auch Nachteile kommen. Daher ist es eine individuelle Entscheidung, ob man sich für oder gegen diesen Ausweis entscheidet. Letztendlich finde ich aber, dass wir uns dafür einsetzen müssen, dass eine Behinderung nicht direkt mit negativen Bildern assoziiert und gewertet wird. Und da spreche ich nicht nur von Menschen mit Behinderung, sondern von allen – alle sollten sich gegen Vorurteile und Diskriminierung starkmachen!

Behindert sein und sich behindert fühlen sind zwei verschiedene Dinge

Mittlerweile würde ich sagen, dass ich meinen Diabetes soweit gut im Griff habe, dass er mich im Alltag nur selten behindert. In unangenehmen Situationen (beispielsweise einer Unterzuckerung während einer Präsentation oder Klausur) weiß ich mittlerweile, wie ich damit am besten umgehen muss. Aber damit spiele ich die Krankheit nicht runter, nein. Ich weiß, wie ich in den meisten Situationen reagieren muss, dass es nicht gefährlich wird. Daher würde ich sagen, der Diabetes behindert mich im alltäglichen Leben manchmal mehr, manchmal weniger.

Ändert das etwas an meiner Behinderung? Nein. Meine Bauchspeicheldrüse produziert heute noch genauso wenig Insulin wie gestern. Auch wenn gestern ein stressfreierer Diabetes-Tag war und es heute wieder drunter und drüber geht.

Reservoirwechsel in der Öffentlichkeit – kein Problem! (Quelle: Nathalie Bauer)

Der Schwerbehindertenausweis gibt mir zusätzlich eine Stütze im Alltag. Besonders weil man den Diabetes nicht sehen kann, gibt er mir das Gefühl, dass ich einen „Beleg für meine Behinderung“ habe. Klingt total schwachsinnig, aber in der aktuellen Gesellschaft (in welcher eine Behinderung noch so negativ gesehen und behandelt wird) gibt er mir Sicherheit.

Wie seht ihr das? Habt ihr einen Schwerbehindertenausweis? Was verbindet ihr mit dem Begriff „Behinderung“?


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