“Ich habe die Erkrankung verschwiegen”

11 Minuten

© diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe
“Ich habe die Erkrankung verschwiegen”

Ein Interview mit Laura Karasek – einigen bekannt aus dem Fernsehen und aus anderen Medien, Typ-1-Diabetes, seit sie 13 Jahre alt ist, Tochter von Literaturkritiker Hellmuth Karasek – erreichte uns über das Unternehmen Abbott. Als Testimonial – also Werbebotschafterin – des Unternehmens möchte Laura Karasek dazu beitragen, die chronische Krankheit Diabetes mehr in die Mitte der Gesellschaft holen, heißt es im Vorspann. Im Interview geht es dann um Diabetes, einmal auch um das Glukosemesssystem FreeStyle Libre 3 – und ganz viel um Selbstzweifel, Gleichberechtigung, das Leben in der Öffentlichkeit.

Das Leben von Laura Karasek hat einen Touch von „Leben auf der Überholspur“. In ihrer Vergangenheit hat die gebürtige Hamburgerin viele Extreme gelebt: Aufgewachsen ist sie in einem kulturell geprägten Elternhaus mit dem bekannten Literaturkritiker Hellmuth Karasek als Vater und der Theaterkritikerin Armgard Seegers als Mutter. Nach jugendlichen Exzessen studierte sie Jura und arbeitete sechs Jahre als Rechtsanwältin in einer großen Frankfurter Wirtschaftskanzlei. Inzwischen ist die 39-Jährige erfolgreiche Buchautorin, Fernsehmoderatorin, Investorin, Kolumnistin, Podcast-Produzentin, Mutter von Zwillingen… und eine Frau mit Typ-1-Diabetes. Als Testimonial von Abbott möchte Laura Karasek dazu beitragen, die chronische Krankheit Diabetes mehr in die Mitte der Gesellschaft holen.

Wir treffen die Wahlfrankfurterin in einem Vorort von Frankfurt in dem Haus einer Bekannten. Ihr klares, jugendliches Gesicht ist ungeschminkt, sie trägt ein schlichtes hellgraues Kleid, dazu weiße Turnschuhe und einen weiten Poncho. Gleich wird sie sich in der Maske in die Laura Karasek verwandeln, die alle kennen: perfekt gestylt, das blonde Haar in langen Locken über die Schulter gelegt, eine Sammlung an Kleidern und Schuhen auf dem Bett verteilt, die sie für das Shooting tragen wird. Am linken Oberarm ist ein kleiner Sensor zu erkennen, der sie schon lange begleitet und ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden ist. Heute soll es auch um ihre neue Rolle als Diabetes-Typ1-Botschafterin von Abbott gehen.


Mit 13 Jahren haben Sie die Diagnose erhalten. Wie war das für Sie?
Laura Karasek:
„Ich erinnere mich noch gut an diese Phase. Ich war sehr blass und dürr. Zunächst hieß es in der Schule, ich sei magersüchtig. Kurze Zeit später wurde ich mit einem Zuckerschock und Werten von über 600 ins Krankenhaus eingeliefert und bekam die Nachricht, ich müsse mich ab jetzt spritzen. Sofort ratterten alle Verbote durch meinen Kopf – nie wieder frei sein und unbeschwert leben, essen, feiern.“

Was hat das mit Ihnen gemacht?
Laura Karasek:
„Ich war trotzig. Ich wollte es nicht akzeptieren und mir von meinem Körper nicht diktieren lassen, wie ich zu leben habe. Ich habe es nicht angenommen und die Erkrankung verschwiegen. Ich wollte – damals – nicht auffallen oder anders sein als meine Freunde.“

Sie haben sich selbst mal als extrem bezeichnet. Was waren die größten Herausforderungen?
Laura Karasek:
„Ich habe mir und anderen ständig zu beweisen versucht, dass ich genauso intensiv feiern, tanzen, trinken und Spaß haben kann. Ich habe angefangen zu rauchen und Alkohol zu trinken. Ich wollte trotz dieser Krankheit unbedingt mithalten, habe dagegen gekämpft, dass sie mich einschränkt und mir ein Leben aufzwingt, das ich nicht will.“

Wie wichtig ist es, diese Krankheit anzunehmen und mit ihr zu leben und nicht gegen sie?
Laura Karasek:
„Das dauert lang – bei mir waren das bestimmt fünf, sechs Jahre. Ich war wütend auf meinem Körper und habe mit ihm gehadert. Warum zerstört er sich selbst mit dieser Autoimmunerkrankung? Warum habe gerade ich diese Krankheit? Warum kann ich nicht essen, was ich will? Warum muss ich beim Sport immer darauf achten? Es ist ein Thema, das dich ständig beschäftigt, das intensiver gepflegt werden muss als ein Bonsai. Du hast nie frei, es gibt keine Auszeit. Es begleitet dich jede Sekunde.“

Laura Karasek im Interview

„Diabetes ist keine sexy Krankheit“

Laura Karasek ist Juristin, Mutter von Zwillingen, Buchautorin, Kolumnistin, gern gesehener Interview-Gast in Talkshows, “Lebe-Frau” und auch Typ-1-Diabetikerin. In ihrem Leben hat sie viele Extreme gelebt: vom exzessiven Party-Girl zur disziplinierten Juristin. Heute versucht Karasek, für alles ein gesundes Maß zu finden.

Was hat Sie zum Umdenken bewogen?
Laura Karasek:
„Ich habe verstanden, dass ich mit meinem Körper leben muss. Dass ich nur diesen einen habe und mit ihm alt werden will. Plötzlich ging es um das Thema, sich selbst anzunehmen und zu lieben, um Selbstwahrnehmung. Den Begriff „Body Positivity“ gab es damals noch nicht. Aber die Gefühle waren ja da: Wir Frauen tun uns schwer, unseren Körper zu mögen. Und wenn der Körper noch eine Autoimmunkrankheit entwickelt, die mit Stoffwechsel und Ernährung zu tun hat, macht es das nicht gerade leichter. Das war ein langer Prozess – ich weiß nicht, ob der bei mir vollkommen abgeschlossen ist. Doch ich habe inzwischen begriffen, wie viel der Körper leistet. Ich kann nicht ständig gegen ihn kämpfen. Die Geburt meiner Kinder war für mich wirklich ein Wunder. Und sie hat mir die Augen geöffnet, was unser Körper alles kann.“

Gibt es ein Learning aus Ihrer Erkrankung?
Laura Karasek:
„In jungem Alter habe ich die Lektion lernen müssen, dass ich nicht unverwundbar bin. Nichts ist für die Ewigkeit. Seitdem befolge ich den Ansatz: „Lebe besonders intensiv. Du weißt nicht, wie lange es gut geht“. Jeder denkt das gewiss ab und zu mal, aber mit so einer Autoimmunerkrankung erlebst du das sehr drastisch. Darum bin ich der Krankheit dankbar, weil ich sehr viel mehr mitgenommen und nichts ausgelassen habe. Ich war nie ein Mensch, der viel Ruhe braucht. Schlafen fand ich langweilig.“

© Abbott

Sie haben die Erkrankung mal als Motor bezeichnet, sich nicht so schnell mit etwas zufrieden zu geben. Inwiefern?
Laura Karasek:
„Ich möchte nicht resignieren oder jammern, sondern mir meine Träume erfüllen – auch beruflich. Ich mag nichts aufschieben. Für meine Karriere habe ich mich schon auch aufgerieben. Meine körperliche Einschränkung hat mich stärker gemacht, vielleicht sogar provoziert. Ich habe bewusst gedacht: Ich kann trotz Diabetes Anwältin in einer Wirtschaftskanzlei werden. Ich kann Bücher schreiben. Fernsehsendungen moderieren. Ich wollte mich nie auf meiner Krankheit ausruhen und sie als Begrenzung empfinden, sondern stark sein. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die mit erheblich mehr Einschränkungen Phantastisches leisten.“

Warum scheint Diabetes in der Öffentlichkeit immer noch ein Tabuthema zu sein? Warum gibt es wenige Prominente, die damit in Erscheinung treten?
Laura Karasek:
„Die Erkrankung ist nach wie vor mit vielen Vorurteilen behaftet. Sie wird immer noch mit alten Menschen assoziiert, die nicht genug auf sich achtgeben, zu viel essen und sich zu wenig bewegen. Ich hatte lange die Befürchtung, dass mich der Diabetes in eine falsche Ecke stellt. Plötzlich ist man nur noch die Expertin für ein bestimmtes Erkrankungsbild. Ich wollte nicht bloß dafür gesehen werden, sondern auch für Literatur, Kultur, für Rechtsfragen, für Frauen, für Gleichberechtigung stehen. Diese Einstellung hat sich geändert. Es gibt sehr viele Menschen mit Diabetes und unzählige Menschen mit chronischen Krankheiten. Das Thema muss in unserer Gesellschaft mehr zur Sprache kommen. Ich finde schön, andere Menschen mit Diabetes zu treffen und Erfahrungen auszutauschen. Es gibt viele Dinge, die nur Menschen mit gleichen Erfahrungen verstehen können: eine Schwangerschaft mit Diabetes zum Beispiel. Es ist wichtig, dass sich niemand damit allein oder ausgeschlossen fühlt.“

Kürzlich haben Sie die Aktion von Lila Moss geliked, die sich als Topmodel mit Insulinpumpe auf dem Laufsteg gezeigt hat. Was ist in Ihnen vorgegangen?
Laura Karasek:
„Das hat mich berührt, ich hatte Tränen in den Augen. Jahrelang habe ich mich dafür geniert, dass ich Diabetes habe, hatte die Einstellung, mich bloß nicht verletzlich zu machen, weil ich das unsexy und unattraktiv fand. Ich wollte nicht, dass man meine Pumpe oder den Sensor wahrnimmt, weil solche Geräte am Körper nach „Krankheit“ aussehen. Ich wollte dieses Stigma nicht. Und plötzlich tritt eine wunderschöne junge Frau als Topmodel auf der Mailänder Fashion Week auf und präsentiert das mit Selbstverständlichkeit und Stolz. Das hat mich nachhaltig beeindruckt und getröstet. Ich hatte richtig Glücksgefühle und hab gedacht: Was für ein wichtiger Schritt!“

Lila Moss: mit der Pumpe auf dem Laufsteg
Lily Grace Moss ist die Tochter von Supermodel Kate Moss – und mittlerweile selbst Model. Sie hat Typ-1-Diabetes und hat ihre Erkrankung bei der großen “Fendi x Versace”-Show sichtbar gemacht: Die Patch-Pumpe auf ihrem linken Oberschenkel war nicht zu übersehen. Dafür bekam sie viele positive Reaktionen. Hier gibt’s die Bilder und weitere Informationen.

Sie nutzen das Glukosemesssystem FreeStyle Libre 3 des Unternehmens Abbott – der derzeit kleinste Sensor der Welt. Ist das Diabetes-Management durch den Freestyle Libre leichter geworden?
Laura Karasek:
„Der Markt für Menschen mit Diabetes hat sich in den letzten 26 Jahren unfassbar entwickelt. Ein kleiner Sensor am Körper meldet dir in Echtzeit zurück, wo du stehst, er informiert dich, wohin der Trend geht – ob nach oben oder unten. Du musst dich nicht piksen, das ist eine Verbesserung der Lebensqualität. Die größte Erleichterung ist das Monitoring mit dem Handy. Dass du die Kurve verfolgen kannst, völlig diskret. Heute ist alles damit möglich. Ich war im Amazonas, ich bin mit Haien getaucht, Helikopter geflogen. Für mich ist das größte Kompliment, wenn mir Freunde und Kollegen sagen, dass man die Erkrankung gar nicht merkt.“

Ein bisschen atemlos hört sich das Leben von Laura Karasek an. Am Tag zuvor stand sie für die „Job-Touristen“ bei Pro7 vor der Kamera. Mit Sophia Thomalla wird sie nach unserem Produktionstag spätabends noch eine neue Folge ihres Podcast „Künstliche Intelligenz“ aufnehmen. In ihrer eigenen Show bei ZDFneo „Zart am Limit“ bringt sie Prominente dazu, mit Tabuthemen, Ängsten und anderen Geheimnissen ihr Innerstes nach außen zu kehren. Laura Karasek ist als Autorin auf der Frankfurter Buchmesse genauso zu Hause wie als Gast in Talkshows, wo ihre politische Meinung gefragt ist.

Ein geregelter Tagesablauf? Eher einer, der keinem typischen Muster folgt. Die Laufrunde direkt nach dem Aufstehen jeden Morgen sei die einzige verlässliche Konstante, gibt sie zu. Und Zeit für ihre Kinder, mit denen sie abends liest und Theater spielt. Sie lacht, als ob das Alles gar nichts wäre. Ist das nicht Stress pur? „Ich mag meine Rastlosigkeit, mein Getrieben-Sein. Nicht, um mir selbst ständig etwas zu beweisen, sondern weil ich in Bewegung ruhiger bin als im Leerlauf“, gesteht sie. Für sie sei Ruhe mit drei Dingen verbunden: mit Büchern, die sie auch spät nachts noch lese und ohne die sie nicht einschlafen könne. Sport sei ebenfalls ein wichtiger Ausgleich. „Aber an erster Stelle steht meine Familie, mein Mann, meine Kinder“, sagt sie. „Mit ihnen habe ich ein Gefühl von Angekommen-Sein.“

© Abbott

Wie nehmen Ihre Kinder Ihr bewegtes Leben wahr?
Laura Karasek:
„Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Kinder aufrichtige Zuwendung zu schätzen wissen. Vielleicht ist die Zeit sogar kostbarer, wenn man nicht ständig verfügbar ist. Meine Mutter war auch immer berufstätig, sie war Vorbild für mich. Wenn meine Mutter aus dem Büro kam, hat sie sich auf uns eingelassen. So ist es auch bei uns. Wenn ich mit den Kindern zu Hause bin, bin ich eben voll da – dann spielen wir oder ich lese ihnen vor. Aber wenn ich arbeite, bin ich eben dort: arbeiten. Ich wäre als Vollzeitmutter nicht glücklich geworden.“

Laura Karasek setzt sich unermüdlich für Feminismus und Gleichberechtigung ein. Kürzlich wurde sie von der bekannten Unternehmerin und Speakerin Tijen Onaran gefragt, ob sie an einer Investorinnen-Runde teilnehmen wolle. Ziel der Finanzierung sei, das Berliner StartUp Nevernot zu unterstützen, das unter anderem besonders weiche Tampons herstellt. Ein Invest von Frauen für Frauen und eine Frage der Notwendigkeit, sich in einer männerdominierten Welt gegenseitig zu stärken, findet Karasek.

Sie äußern sich häufig zu Mental Load und Gleichberechtigung. Warum?
Laura Karasek:
„Weil es noch viel zu tun gibt. Ich persönlich kann mich nicht beklagen, in meiner Ehe ist es vollkommen ausgeglichen. Aber ich beobachte im Freundes- und Bekanntenkreis, dass praktisch alle Frauen in Teilzeit arbeiten, sobald Kinder da sind. In Interviews werde ich oft gefragt, wie ich meine Arbeit mit meinen Kindern hinbekomme. „Wer ist denn dann bei deinen Kindern?“, wurde Annalena Baerbock im Wahlkampf ständig gefragt. Männer müssen sich nie rechtfertigen, auch wenn sie acht Kinder haben. Dahinter steht eine Erwartungshaltung, die bei einer Frau Stress auslösen muss. Sie ist in der Regel diejenige, die an Kindergeburtstage denkt, die Geschenke für Angehörige kauft, Reisen bucht. Das ist der „Mental Load“.

Auch wenn sich im Gegensatz zu prekären Verhältnissen im Ausland, wo Mädchen von der Schulbildung ausgeschlossen sind und zwangsverheiratet werden, bei uns viel getan hat, gibt es für Frauen auch hier noch viele Hürden: Altersarmut zum Beispiel. Frauen können weniger investieren, weil sie schwerer an Kapital herankommen. Wenn sie Firmen gründen, haben sie es schwerer. Es gibt nach wie vor Gender-Pay-Gap und Data-Gap. Dass viele Medikamente oder auch technische Gadgets nur an Männern getestet werden, gehört dazu, Medikamente für Herzerkrankungen zum Beispiel oder Airbags. Nein, wir haben noch keine Gleichberechtigung!“

Die diskussionsfreudige Streitkultur hat Laura Karasek ihren Eltern zu verdanken. Im Hamburger Stadtteil Eppendorf aufgewachsen, gehört die internationale Kulturszene zur kindlichen Prägung im Elternhaus. Bekannte Regisseure wie Helmut Dietl und Bernd Eichinger sind genauso zu Gast wie die Gottschalks, Jauchs, Giovanni di Lorenzo oder Marcel Reich-Ranicki – der andere berühmte Literaturkritiker, mit dem Vater Hellmuth Karasek jahrelang im Literarischen Quartett stritt. Laura Karasek hat ihren Vater als Menschen in Erinnerung, der trotz seiner Belesenheit mit intellektuellen Snobs wenig anfangen kann. Der sie überall mitnimmt und ihr die Welt von allen Seiten zeigt: Als Kind hält sie die Oscars von Billy Wilder in der Hand, als Jugendliche begleitet sie ihre Eltern regelmäßig zu Filmfesten, Konzerten und Premieren: „Es wurde immer diskutiert, über Bücher, über Feuilleton, über Filme und Theater“, erinnert sie sich.

Nach dem Tod ihres Vaters zieht es die studierte Juristin, die sechs Jahre in einer Wirtschaftskanzlei als Spezialistin für Prozessführung arbeitet, auf die Bühne: „Ich hätte das Gefühl gehabt, etwas zu verpassen“, so Laura Karasek heute. Inzwischen seit über zwei Jahren im Scheinwerferlicht, empfindet sie die Branche immer noch als neu und sich häufig als Außenseiterin. Da schwingen viele Selbstzweifel und Unsicherheiten mit.

Die vielen Selbstzweifel, woher kommen sie? Wie passen sie zu Ihrer Willensstärke?
Laura Karasek:
„Jeder Mensch, der sich auf eine Bühne stellt, hat immer auch einen Defekt“, hat das Oliver Masucci, der Hautdarsteller der „Schachnovelle“ beim Filmpreis kürzlich so treffend ausgedrückt. Dahinter steht die Sehnsucht nach Anerkennung. Es liegt in der Natur dieses Berufs, Menschen hervorzubringen, die davon abhängig sind, geliebt zu werden, Applaus zu bekommen. Unsere Arbeit ist schwerer messbar, sie ist ja kein Handwerk. Ich habe oft Zweifel, ob ich gut genug bin. Sind die anderen lustiger, klüger? Bin ich peinlich, rede ich Unsinn? Ich nehme mir Kritik zu Herzen. Je mehr man von sich preisgibt, desto angreifbarer macht man sich auch. Wer auf der Bühne steht oder Bücher schreibt, muss damit rechnen, positiv oder negativ rezensiert zu werden. Darüber nicht gekränkt zu sein, das finde ich sehr schwer. Da erlebe ich Momente von Traurigkeit und Verunsicherung.“

Wenn man Ihnen auf den Kanälen folgt, wirken Sie aber nicht so…
Laura Karasek:
„Ich kann mich schnell in so eine Form von Selbstzerfleischung reinsteigern. Manchmal denke ich ja schon, dass jemand mich nicht mag, nur weil er nicht innerhalb von fünf Minuten auf meine WhatsApp-Nachricht reagiert. Ich nehme mir Dinge sehr zu Herzen. Bemerkungen, Rezensionen, eine mittelmäßige Quote zum Beispiel… Vielleicht ist es notwendig, sich selbst immer wieder in Frage zu stellen. Hinter dieser Mischung aus Selbstzweifeln und dem Gefühl von Größenwahn steckt ja auch ein kleines Ego, die Unsicherheit, ob man es „richtig“ gemacht hat. Ob man gescheit oder töricht war. Ich liege oft nachts wach und muss mich bei meinen Freunden absichern, wie ich gewirkt habe. Mich überfordert die Branche manchmal. Du hast Angst vor einem Shitstorm, Angst, etwas nicht zu wissen. Und dann denken die anderen – inklusive Dir selbst – du seist eine Mogelpackung.“

Sie stellen sich im Netz mitunter absichtlich in ein Licht, das provoziert. Beim Deutschen Filmpreis etwa haben Sie gepostet, dass niemand von den Promis mit Ihnen aufs Bild wollte…
Laura Karasek:
„Ironie funktioniert leider nicht immer in Schriftform. Es ist ein Spiel mit der Wahrheit, bei dem man über sich selbst lachen kann. Alle lichten sich mit Promis ab und ich steh da allein rum. Das ist doch viel ehrlicher und lustiger, weil es uns allen manchmal so geht. Wir fühlen uns auf Partys verloren. Ich mag Selbstironie und habe kein Problem damit, mich als ein bisschen verrückt oder tollpatschig darzustellen.“

Auf Social Media wird wenig verziehen. Befürchten Sie nicht, damit harte Reaktionen hervorzurufen?
Laura Karasek:
„Man darf sich davon nicht einschüchtern lassen und zulassen, dass nur noch Belanglosigkeiten wie Infinitypools und Chia-Pudding gepostet werden, bloß um nicht anzuecken. Ich folge vielen Autorinnen und Publizisten, die sich viel politischer äußern. Die werden wirklich bedroht. Das ist schlimm. Mir ist wichtig, eine Stimme zu sein. Mein eigenes Narrativ zu entwickeln. Das ist eine große Chance. Ich zeige, wie ich etwas wahrnehme und nicht, wie ein Medium mich portraitiert haben möchte.“

© Abbott

Welche Werte sind Ihnen wichtig, die Sie gern weitergeben würden?
Laura Karasek:
„Ich habe viel über Fehlerfreundlichkeit, Mut zur Schwäche, mangelnde Selbstliebe und Nachgiebigkeit nachgedacht. Es ist sehr schwer, das zu lernen. Ich bin oft streng mit mir. Mit anderen Menschen versuche ich bewusst, nicht so radikal zu sein. Ich versuche, mir die Perspektive des anderen anzueignen und nachzuvollziehen, warum er oder sie anderer Meinung ist. Das meine ich mit Nachgiebigkeit. Ich finde auch wichtig, mit sich selbst gütig zu sein. Unsere Zeiten sind gerade extrem aggressiv. Es erfordert Haltung, sich bewusst dagegen zu entscheiden, diese Spirale mitzumachen.

In meinem Elternhaus habe ich viel von gegenseitiger Akzeptanz mitbekommen. Ich habe das mal als Erwiderungsgewissheit bezeichnet. Da war immer Liebe – trotz Meinungsverschiedenheiten. Und es war viel Selbstironie im Spiel. Es wurde über die eigenen Schwächen gelacht, sie wurden zelebriert. Das möchte ich auch an meine Kinder weitergeben: dass sie emphatisch sind, ein tiefes Verständnis dafür entwickeln, wie es anderen Menschen geht, dass sie sich für Literatur und Kultur interessieren und friedvoll durchs Leben gehen.“

Ist Älterwerden für Sie ein Thema?
Laura Karasek:
„Ich hatte aufgrund meines Diabetes schon als junger Mensch Angst vor Verletzlichkeit und Verwundbarkeit. Dass der Körper bestimmte Sachen nicht mehr kann und mitmacht. Dass man erschöpfter wird. Ich habe große Angst vor dem Sterben. Ich begegne aber in meinem Umfeld tollen älteren Menschen und ich hoffe, dass ich genauso gut mit dem Älterwerden umgehen kann wie sie – mit so viel Leichtigkeit und Gelassenheit. Viele sagen mir, es wird alles entspannter und befreiter. Noch habe ich dieses Gefühl, unter Strom zu stehen und etwas zu verpassen. Schöne Aussichten, wenn der Druck irgendwann nachlassen sollte.“


Quelle: Abbott | Redaktion

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