In Ecuadorleben und reisen: Warum nicht?

4 Minuten

© Henrike Fritsch
In Ecuadorleben und reisen: Warum nicht?

12 Monate leben und arbeiten weit weg von der Heimat: Ecuador, das als Entwicklungsland gilt, ist seit September 2016 das Zuhause von Henrike (21). Hier erzählt sie ihre Geschichte.

Als ich die “weltwärts”-Zusage in den Händen hielt, war ich überglücklich: Im Rahmen des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes würde ich schon bald nach Ecuador fliegen! Also Sachen packen und los geht’s! Aber Moment, das ist ja noch was – mein Diabetes …!

Viel Vorbereitung stand an, da ich den gesamten Jahresvorrat mitnehmen musste. So galt es, Gespräche mit der Krankenkasse zu führen, mit meiner Diabetologin und bei der Fluggesellschaft mein medizinisches Sondergepäck anzumelden – jeweils ein Aufgabe – sowie ein Handgepäckstück (Kühltasche mit Insulin) werden übrigens kostenlos mitgenommen. Schon bald lieferte die Apotheke regelmäßig und Stück für Stück den Jahresbedarf meiner Diabetesutensilien nach Hause. Eine große Kühltasche musste her, die die Kühlung des Insulins über die 30-stündige Reise sicherstellte.

Jahresvorrat angelegt – das Abenteuer kann beginnen

Einen Tag vor Abreise war alles gepackt – das Abenteuer konnte beginnen. Mit drei weiteren Freiwilligen machte ich mich auf den Weg nach Puerto López, einem kleinen Fischerdorf direkt an der Küste Ecuadors. Dort angekommen, wurden wir herzlich von unseren Gastfamilien begrüßt. Eine unglaubliche Hitze schlug mir entgegen. Diese wurde fortan mein Alltag – was für mich bedeutete, das Insulin drastisch zu reduzieren und Vorsicht walten zu lassen, da dieses nun auch schneller und intensiver wirkte.

Am nächsten Tag stellten wir uns auch schon in der Schule vor, wo ich als Englischlehrerin arbeiten sollte. Momentan unterrichte ich 6 Klassen in Englisch; die 1., 4. und 5. Klasse, jeweils A und B. Zudem begleite ich die einzige Englischlehrerin der Schule in die 8. Klasse. Das Englischniveau der Schüler und auch der Lehrerin ist nur gering. Schließlich unterrichte ich noch drei weitere Klassen in Sport.

Insgesamt geht es hier etwas chaotischer zu als in Deutschland; die eher spärlich eingerichteten Klassenräume sind sehr offen und hellhörig, die Schüler melden sich kaum und laufen ständig durch die Gegend. So bin ich manchmal ziemlich aus der Puste – bzw. mein Blutzucker ziemlich im Keller. In diesen Fällen wissen meine Schüler aber Bescheid und ich setze mich hin und trinke einen Saft. Für den Notfall habe ich außerdem meine Hypokit-Spritze im Lehrerzimmer deponiert.

Man kennt nur Typ-2-Diabetes

Nach der Schule, (7 bis 12.30 Uhr) essen wir mit der Gastfamilie zu Mittag: Generell gibt es viel Reis, auch in meiner Familie; meine Gastmutter bereitet für mich jedoch etwas extra zu. Sie weiß um meinen Diabetes, aber denkt immer noch, ich hätte Typ-2-Diabetes und müsse mich deshalb eher gesünder ernähren. Mir macht das nichts aus; besonders abends möchte ich auch auf Reis verzichten, da dieser ja sehr lange wirkt und ich mir deshalb nachts einen Wecker stellen müsste, um meinen Blutzucker zu überprüfen.

Auch die anderen Menschen scheinen nur Typ-2-Diabetes zu kennen, der hier weitverbreitet ist. Ich kann mir vorstellen, dass einer der Gründe dafür die sehr kohlenhydratlastige und ungesunde Ernährung ist. Die meisten Familien, gerade an der Küste, sind sehr arm. So ist ihr Hauptnahrungsmittel Reis. Hinzu kommen jegliche Gerichte, die aus der grünen Banane gemacht werden, und viel fettiges Hähnchen.

Wenn mich vereinzelt Leute nach meinem Pflaster am Arm fragen, worunter mein Sensor verborgen ist, erzähle ich, dass ich Diabetes habe. Meist wird mir daraufhin Bedauern ausgesprochen, da ich schon so jung erkrankt sei. Oft erkläre ich ihnen dann den Unterschied zwischen Typ 1 und Typ 2 – über Typ 1 ist schlicht nichts bekannt. Schließlich versuchte der Pastor schon, mich von meinem Diabetes zu heilen, bisher leider erfolglos.

Pumpe im Haargummi verstaut

Wie sieht mein Alltag sonst so aus? Oft sind wir am Strand, um uns zu sonnen oder zu baden; beim Baden nehme ich meine Pumpe lieber ab, obwohl sie wasserfest sein sollte. Weil ich sie aber nicht am Strand lassen möchte, wo sie geklaut werden könnte, klippe ich sie mir meist ans Zopfgummi ins Haar und passe auf, dass mich niemand untertaucht. Manchmal setzen wir uns aber auch ins Café zum Kartenspielen, um der Hitze zu entfliehen. Erst abends, wenn es kühler ist, schlüpfe ich häufig in meine Laufschuhe und jogge am Strand.

In den Ferien und freien Tagen sind wir oft unterwegs. Da wir höchstens für 2 Wochen reisen, erledigt sich die Frage nach der Kühlung des Insulins: Dieses ist 4 Wochen haltbar, nachdem man es aus dem Kühlschrank genommen hat. Trotzdem habe ich immer eine kleine Frio-Kühltasche dabei, falls es zu heiß wird.

In Ecuador gibt es 4 Vegetationszonen: An der Küste und auf den Galapagos-Inseln ist es das ganze Jahr über heiß und sonnig. In den Bergen kann es tagsüber auch sehr warm sein, in den Abend- und Morgenstunden ist es eher frisch. Im Osten Ecuadors, also im Regenwaldgebiet, ist die Luftfeuchtigkeit hoch.

Zum Beispiel haben wir in den Bergen, nahe der Hauptstadt Quito, schon viele Wanderungen gemacht: Vor allem auf 3.000 m Höhe muss ich aufpassen wegen Unterzuckerungen. Also esse ich immer eine Kleinigkeit, bevor wir losgehen, reduziere die Basalrate und habe immer Traubenzucker und Saft dabei.

“… mehr als möglich …”

Insgesamt bin ich super eingestellt, aber natürlich gibt es Tage, an denen meine Zuckerkurve einer Achterbahnfahrt gleicht. Ich fühle mich dadurch, dass ich die Insulinpumpe MiniMed 640G sogar mit Sensor tragen darf, sicher und hatte noch keine einzige schwerwiegende Unterzuckerung.

Ich hoffe sehr, dass das so bleibt, da die medizinische Versorgung hier im Dorf nicht immer gewährleistet ist. Das soll keinesfalls abschreckend klingen, denn es ist mehr als möglich, auch mit Diabetes in einem Entwicklungsland zu leben und zu reisen. Ach ja –gern könnt ihr meinen ecuadorianischen Alltag und meine Reisen mit Diabetes auf meinem neuen Blog verfolgen: www.hennysdiabetesblog.blogspot.com.

Adios, Henrike Fritsch


Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (8) Seite 36-38

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