Intelligente Schuheinlage soll Diabetiker-Füße schützen

3 Minuten

Intelligente Schuheinlage soll Diabetiker-Füße schützen

Mediziner der Magdeburger Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie haben zusammen mit den Firmen ifak System und OrthoFit Schuhtechnik GmbH in Magdeburg eine intelligente Einlegesohle entwickelt. Sie soll künftig langjährige Diabetiker vor schlecht heilenden Fußwunden und Amputationen bewahren.

Das Fühlen ist eine oft unterschätzte Sinnesleistung des Menschen. Es entzieht sich meist der bewussten Wahrnehmung. Wer beispielsweise zu lange an einer Stelle steht, wechselt ganz automatisch die Hauptbelastung von einem Fuß auf den anderen. Ähnliches geschieht im Sitzen und im Liegen. So vermeidet der Körper Druckdauerbelastungen, die zu Gewebeschäden bis hin zu offenen Wunden führen können.

Zur Wahrnehmung der Dauerdruckbelastung dient das Warnsystem der peripheren Nervenbahnen, die in der Hautoberfläche enden. Sie führen bis in die kleine Zehenspitze und sorgen außerdem dafür, dass Menschen sensibel auf Berührungen (Kitzeln) reagieren.

Druck- und Temperatursignale nicht mehr richtig übertragen

Chronische Krankheiten wie der Diabetes mellitus führen mit den Jahren zu immer mehr Unterbrechungen der peripheren Nervenbahnen. Die mikroskopisch kleinen Zuckerkristalle schädigen die feinen Nervenbahnen und lassen sie absterben.

„Dadurch können Druck- und Temperatursignale nicht mehr von der Haut bis in das Gehirn und zurück übertragen werden“, sagt Prof. Dr. Peter Mertens, Direktor der Magdeburger Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie. „Nach durchschnittlich einem Jahrzehnt treten bei etwa der Hälfte der Diabetiker derartige periphere Nervenschäden auf.“

Zur Wahrnehmungsstörung kommt die Wundheilungsstörung

Die Betroffenen merken beim Stehen oder Gehen nicht, dass sie Fußzehen, die Ferse oder einen anderen Teil des Fußes zu stark belasten. Deshalb entlasten sie den Fuß oft nicht oder viel zu spät. Im schlimmsten Fall entsteht so ein tiefes Geschwür, ohne dass der Patient es spürt. Ein Sandkorn oder eine kleine Unebenheit im Schuh, die einige Stunden unbemerkt bleiben, können mitunter der Grund für schwerwiegende Gewebezerstörungen und offene Wunden sein.

Hinzu kommt die meist schlechte Wundheilung bei langjährigen Diabetikern. „Es braucht mitunter viele Monate intensiver Pflege und Klinikaufenthalte, bis ein Geschwür ausgeheilt ist. Und nicht immer gelingt es“, sagt Diabetologin Dr. Silke Klose, Oberärztin an der Universitätsklinik. Allein in Deutschland gibt es jährlich rund 45.000 Amputationen, weil die Diabetes-Folgen zu spät erkannt werden.

In der Orthopädieschuhtechnik wird dieses Patientenklientel bisher mit einer sogenannten diabetesadaptierten Fußbettung versorgt. Zur Konstruktion dieser speziellen Einlagen werden über dünne Meßsohlen die unter der Fußsohle enstehenden Druckverhältnisse „im Gang“ gemessen, was in der Diabetesversorgung Standard ist.

„Ziel ist eine individuell maßgefertigte, druckausgleichende Fußbettung“, so Orthopädie-Schuhmachermeister Volker Herbst von der Magdeburger Firma OrthoFit Schuhtechnik GmbH. Doch trotz bestmöglicher Versorgung mit orthopädieschuhtechnischen Hilfsmitteln und täglicher Fußkontrolle können Geschwüre entstehen.

Temperatursensoren in der Sohle sollen es besser machen

Anfang des 21. Jahrhunderts gab es erste Berichte von Forschern aus den USA, wonach regelmäßige Temperaturmessungen an den Füßen von Diabetikern Hinweise auf mögliche Gefahrenstellen für die Entstehung von Geschwüren liefern können. Schon sieben Tage vor der Ausbildung eines Geschwürs stieg die Temperatur an, im Schnitt um 4°C. Durch eine Entlastung des betroffenen Fußes war dann die Ausbildung eines Geschwürs vermeidbar.

Das war die Initialzündung für einen neuartigen technischen Ansatz, gemeinsam entwickelt von den Magdeburger Firmen ifak System und OrthoFit Schuhtechnik GmbH mit Medizinern der Magdeburger Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie.

Messungen werden per Funk-App aufs Smartphone übermittelt

„In diese neu konstruierte intelligente Einlegesohle wurden außer Drucksensoren zusätzlich auch acht Temperatursensoren in gefährdete Fußsohlenregionen integriert“, erklärt Dipl.-Ing. Fred Samland von der ifak system GmbH. Alle Sensormessungen werden von Computerchips in der Einlegesohle analysiert und per Funk-App auf ein Smartphone (muss beim Patienten vorhanden sein) übertragen.

„Das Display ist denkbar einfach gehalten, um Interpretationsfehler zu vermeiden“, so Dipl.-Ing. Thorsten Szczepanski, Geschäftsführer der ifak system GmbH. Im Prinzip funktioniert es wie eine Straßenampel. Grün signalisiert, alles ist noch im normalen Bereich. Gelb ist ein erster Hinweis, dass der Patient die Belastung ändern sollte. Im roten Bereich ertönt zusätzlich ein Warnton oder ein Vibrationsalarm.

„Bei roter Anzeige sollte die Fußbelastung verändert werden, damit die Gewebedurchblutung verbessert wird“, so Prof. Mertens. „Bei Anstieg der Fußtemperatur soll der Fuß ganz entlastet und auf ein beginnendes Geschwür hin durch den Patienten untersucht werden. Eine Vorstellung bei dem betreuenden Arzt wäre dann der nächste Schritt.“

Tests ergaben eine 95-prozentige Zuverlässigekeit

Bislang haben die Forscher das neuartige Warnsystem an zwanzig Patienten im Stehen getestet. Dabei erwies sich die „intelligente Einlegesohle“ zu 95 Prozent als zuverlässig. Bereits nach 20 bis 30 Minuten signalisieren die Sensoren einen Temperaturabfall an der gefährdeten Stelle und fordern durch die gelbe Ampel zu einer Verhaltensänderung auf.

In den kommenden Monaten wollen die Magdeburger Wissenschaftler 30 neue Patienten mit einer peripheren Nervenbahnstörung und ebenso viele Vergleichspersonen ohne diese Schädigung in eine klinische Studie integrieren.

Für die weitere Zukunft ist vorgesehen, dass Diabetes-Patienten die intelligente Einlegesohle auch mit nach Hause nehmen können. Das Ziel ist, auf diese Weise das Verhalten von Patienten mit Diabetes zur Vermeidung von Geschwüren zu trainieren.


Quelle: Pressemitteilung des Universitätsklinikums Magdeburg

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert