Keine Achterbahn durch Unterzucker?

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Keine Achterbahn durch Unterzucker?

Das Gehirn ist auf Zucker als Energiequelle angewiesen. Sinkt der Blutzuckerspiegel zu stark, reagiert der Körper auf diesen Energie-Mangel mit Stress-Symptomen wie Schwitzen, Herzrasen und Zittern. Fällt der Wert noch weiter, kommen z. B. Sehstörungen, Verwirrtheit und torkeliger Gang dazu.

Bei wem können Unterzuckerungen auftreten?

Von einer Hypoglykämie spricht man bei Menschen mit Diabetes, wenn der Blutzuckerwert unter 70 mg/dl bzw. 3,9 mmol/l liegt. Eine schwere Hypoglykämie liegt vor, wenn zum Behandeln der Hypoglykämie Hilfe von Dritten erforderlich ist. Im schlimmsten Fall kann eine schwere Unterzuckerung sogar lebensbedrohlich werden.

Tipp: Die App "HypoBuddy", entwickelt vom Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM) und dem Unternehmen Lilly, beinhaltet u. a. eine SOS-Funktion, die akustisch auf den akuten Notfall einer Unterzuckerung aufmerksam macht. Sie enthält außerdem eine personalisierte Notfallkarte und die Möglichkeit, den aktuellen Standort mit einem Notfall-Netzwerk zu teilen.

Unterzuckerungen können im Rahmen einer Diabetestherapie auftreten, wenn die Behandlung mit Insulin erfolgt oder mit Medikamenten, die das Ausschütten von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse unabhängig vom Blutzuckerwert anregen (z. B. Sulfonylharnstoffe). Meist sind es leichte Unterzuckerungen, die gut zu managen sind. Aber sie sollten nicht ignoriert werden und das Ziel ist, sie zu verhindern. Menschen mit Diabetes sollten deshalb gut geschult sein, wie sie Unterzuckerungen rechtzeitig erkennen, schnell und wirksam gegensteuern können – und eben möglichst verhindern.

Tipp:Zum Behandeln einer Hypoglykämie sind Light-Getränke nicht geeignet, weil sie keinen Zucker enthalten. Auch zum Beispiel auf Schokolade sollte man sich als schneller "Hypo-Helfer" nicht verlassen, denn der enthaltene Zucker gelangt wegen des hohen Fettgehalts der Schokolade nicht schnell genug ins Blut.

Warum können Unterzuckerungen auftreten?

Eine Unterzuckerung kann z. B. auftreten, wenn die Dosierung der Medikamente (Insulin oder der genannten Tabletten) nicht stimmt, wenn zu wenige Kohlenhydrate im Verhältnis zur Insulin- oder Tabletten-Dosis gegessen oder getrunken wurden oder wenn man sich körperlich betätigt. Auch durch eine veränderte Aufnahme des Insulins zum Beispiel bei starker Wärme oder durch eine bessere Wirkung zum Beispiel durch Reduktion des Körpergewichts können Unterzuckerungen entstehen. Ein weiterer Risikofaktor ist zum Beispiel Alkohol-Konsum, der verhindert, dass die Leber ihre Zuckervorräte freigibt, wenn die Blutzuckerwerte fallen.

Wie oft und wann Unterzuckerungen auftreten, ist sehr unterschiedlich. Manche haben eher selten welche und auch nur leichte, bei anderen treten wiederholt auch schwere Unterzuckerungen auf. Auf jeden Fall sollte man über aufgetretene Unterzuckerungen mit seiner Ärztin oder seinem Arzt sprechen und bei Bedarf die Therapie anpassen.

Unterzuckerungen in der Nacht

Ein besonderes Problem sind Unterzuckerungen in der Nacht. Vermutlich bleiben viele nächtliche Unterzuckerungen unbemerkt, sodass auch die Behandlungsteams davon nichts mitbekommen und entsprechend Anpassungen der Therapie mit den Menschen mit Diabetes nicht besprechen können. Aber die Unterzuckerungen in der Nacht können zu Beeinträchtigungen auch am folgenden Tag führen. Denn sie können u. a. den Schlaf stören, kognitive Leistungen negativ beeinflussen oder mit Kopfschmerzen einhergehen. Ein weiteres Problem ist, dass häufige und länger andauernde Hypoglykämien zu einer schlechteren hormonellen Gegenregulation bei niedrigen Glukosewerten führen können und dass das Wahrnehmen von niedrigen Glukosewerten schlechter werden oder gar nicht mehr vorhanden sein kann. Hohe Glukosewerte morgens durch die eingetretene Gegenregulation nachts können ein Hinweis auf nächtliche Unterzuckerungen sein.

Tipp:Besteht der Verdacht, dass nachts Unterzuckerungen auftreten, könnte eine gelegentliche Blutzuckermessung gegen 3 Uhr Aufschluss geben. Hilfreich ist in solchen Fällen auch ein System zum kontinuierlichen Glukose-Monitoring (CGM), bei dem die Glukosewerte ständig erfasst werden und die mit Alarmen bei niedrigen Werten warnen.

Technologischer Fortschritt hilft

Studien haben mittlerweile gezeigt, dass CGM-Systeme die Zahl an Hypoglykämien insgesamt reduzieren können. Auch schwere Hypoglykämien konnten durch die Nutzung von CGM-Systemen verhindert werden. Diese digitalen Helfer gelten heute als ein effektives Mittel zum Verhindern von Hypoglykämien. Systeme zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID-Systeme), bei denen ein Algorithmus die jeweils benötigte Insulindosis anhand der Glukoseverläufe fortlaufend berechnet und über die Insulinpumpe abgibt, haben die Therapie weiter vorangebracht. Verschwunden sind Hypoglykämien aber auch durch CGM- und AID-Systeme nicht.

Studie: Glukagon auch "vorbeugend" einsetzen

Interessante Ansätze verfolgen Forschende, wenn es um das Verhindern von Unterzuckerungen oder deren Behandlung geht. Dazu gab es eine Studie mit einem ungewöhnlichen Ansatz.

Die Forschenden verglichen den Verzehr von zusätzlichen Kohlenhydraten zum Beheben leichter Hypoglykämien und alternativ die Gabe des Wirkstoffs Dasiglucagon zum Vorbeugen und Behandeln. Dasiglucagon ist ein neues, lösliches Glukagon-Analogon, das kürzlich in den USA für die Notfall-Behandlung von schweren Hypoglykämien unter dem Handelsnamen Zegalogue zugelassen wurde und mit einem wiederverwendbaren Pen ins Unterhautfettgewebe gespritzt wird.

In der Studie untersucht wurden besonders die potenziell mit Unterzuckerungen verbundenen Effekte Gewichtszunahme und überschießender Anstieg der Glukosewerte – beides durch die Aufnahme von zusätzlichen Kohlenhydraten. Alle 24 Teilnehmenden der Studie waren Erwachsene mit Typ-1-Diabetes länger als zwei Jahre, Insulinpumpe und CGM-System, aber ohne Kopplung von Pumpe und CGM-System. Sie absolvierten einen zweiwöchigen Zeitraum, in dem Kohlenhydrate zum Behandeln von leichten Unterzuckerungen aufgenommen wurden, sowie einen zweiwöchigen Zeitraum, in dem sie sich Dasiglucagon spritzten. In beiden Zeiträumen führten sie ihr Leben wie gewohnt.

Im Dasiglucagon-Zeitraum verwendeten die Teilnehmenden den Wirkstoff Dasiglucagon in fester Dosis, aber nach eigenem Ermessen zur Behandlung und Vorbeugung von leichten Hypoglykämien. Ein Glukosewert, ab wann eine Unterzuckerung vorlag, war nicht definiert. Es gab eine Ausnahme: Sank der Glukosewert unter 40 mg/dl bzw. 2,2 mmol/l, sollten die Teilnehmenden auf jeden Fall schnell wirkende Kohlenhydrate zu sich nehmen. Dasiglucagon wurde in der Studie etwa zur Hälfte zum Behandeln und zur Hälfte zum Vorbeugen einer Unterzuckerung eingesetzt – wie im Zeitraum mit Kohlenhydrat-Aufnahme ebenfalls etwa die Hälfte zum Vorbeugen und die Hälfte zum Behandeln verzehrt wurden.

Effekte von Dasiglucagon in der Studie:

Schneller raus aus den tiefen Glukosewerten

Im Vergleich der beiden Zeiträume ergab sich in Bezug auf die Glukosewerte ein Vorteil von Dasiglucagon: Die Zeit im Zielbereich (70 – 180 mg/dl bzw. 3,9 – 10,0 mmol/l) lag 2,4 Prozent höher, es gab weniger Werte unter und über dem Zielbereich. Auch die Zeit, bis die zu niedrigen Werte wieder in den Normalbereich angestiegen waren, war unter Dasiglucagon fünf Minuten kürzer als mit der Aufnahme von Kohlenhydraten. Zum Vorbeugen von Hypoglykämien eignete sich die Injektion ebenfalls besser. Keinen Unterschied gab es hingegen beim übermäßigen Anstieg der Glukosewerte nach einer Unterzuckerung: Dieser trat in beiden Zeiträumen in 43 Prozent der Fälle auf.

Gesundheitsrisiko Gewichtszunahme

Wie beschrieben, ist eins der Risiken wiederholter Unterzuckerungen und ihrer Behandlung eine Zunahme des Körpergewichts. In dieser Studie zeigte sich, dass die Menge an Notfall-Kohlenhydraten unter Dasiglucagon um 20 Gramm niedriger lag als ohne die Spritze. Dieses Mehr an Kohlenhydraten, um eine Unterzuckerung zu behandeln, kann das Körpergewicht erhöhen, was wiederum das Risiko u. a. für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Die Forschenden halten aber weitere Untersuchungen für notwendig, zumal der Einsatz von Dasiglucagon zum Vorbeugen und Behandeln leichter Hypoglykämien, wie in der Studie geschehen, eigentlich nicht vorgesehen ist.


Sabine Mack

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