Meine COVID-19-Infektion in Südkorea

6 Minuten

© Nathalie Bauer
Meine COVID-19-Infektion in Südkorea

Eine Corona-Infektion kann – unabhängig davon, wo man sich aufhält, – anstrengend und kräftezehrend sein. Mitte März wurde Nathalie Bauers Angst, sich in Südkorea mit dem Virus anzustecken, leider zur Realität. Wie es ihr dabei erging und wie sich ihr Diabetes dabei verhielt, erzählt sie in einem Beitrag in der Blood Sugar Lounge, den Sie hier leicht geändert lesen können.

Steckbrief

Name: Nathalie Bauer
Alter: 27 Jahre
Diabetes seit: 9. Oktober 2018
Therapie: selbstgebauter Loop
Beruf: MBA-/Master-of-Science-Studentin
Hobby: Mit Freunden/Freundinnen leckere Cafés und Restaurants in Seoul entdecken und dabei den Diabetes herausfordern
Lebensmotto: “Donut give up”
Kontakt: glucosedumpling@gmail.com

Alles begann an einem Sonntagmittag mit Halsweh und Husten, wie ich es vorher noch nicht erlebt hatte. Normalerweise kündigt sich eine Erkältung bei mir immer zuerst mit einer verstopften Nase und/oder Husten an, in den seltensten Fällen habe ich wirkliche Halsschmerzen. Und irgendwie wusste ich an diesem Sonntagabend bereits, dass sich da etwas Ungutes ankündigt. Also gab ich direkt meinen Professoren und Professorinnen der kommenden Tage Bescheid und bat darum, online an den Vorlesungen teilnehmen zu können. Seit diesem Semester ging unsere Universität wieder zurück zu den Offline-Vorlesungen. Das bedeutet nicht nur, in einem Vorlesungssaal mit vielen anderen Studenten und Studentinnen zu sitzen, sondern auch zweimal täglich die überfüllte U-Bahn zu nehmen. Ich bin froh, dass die Menschen hier meist ohne Ausnahme ihre FFP2-Maske tragen. Das beruhigt zur Rushhour aber auch nur wenig, wenn man gemeinsam mit Hunderten von anderen Menschen in einer engen U-Bahn steht.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber in der aktuellen Situation – mit den hohen Fallzahlen – bin ich extra vorsichtig, nicht nur in Bezug auf die Menschen, die ich treffe, sondern auch, was meine eigenen Körpersignale angeht. Ich bin zwar dreifach geimpft, unterschätze eine mögliche Ansteckung aber auch nicht. In den letzten Monaten hat es einige meiner Bekannten und Freunde und Freundinnen übel erwischt. Der Großteil von ihnen ist kerngesund (keine Vorerkrankung oder anderweitig Risikopatient oder -patientin) und doch haben sie, neben der eigentlichen Infektion, nun auch mit Long-COVID zu kämpfen. Es sollte daher selbstverständlich sein, dass man bei den ersten Anzeichen einen Schritt zurücktritt und doppelt so vorsichtig ist – vor allem, um andere Risikopatienten und -patientinnen zu schützen.

Negativ, negativ und nochmal negativ

Zum Zeitpunkt, als ich die ersten Symptome wahrnahm, hatte die koreanische Regierung bereits die kostenlosen PCR-Tests für die “normale” Bevölkerung abgeschafft. Es waren weiterhin Antigen-Tests möglich, welche allerdings an den Testzentren unter Aufsicht selbst durchgeführt werden mussten. Im Vergleich zu dem Test, welchen man zu Hause machen kann, war hier der einzige Unterschied, dass man ein offizielles Ergebnis erhielt, welches man zu diesem Zeitpunkt z. B. für den Besuch im Krankenhaus oder Fitness-Studio benötigte (sollte man nicht geimpft sein). Da ich jedoch den Kontakt zu anderen vermeiden wollte, holte ich mir in der Apotheke drei Test-Kits. Daraufhin folgten zwei negative Test-Ergebnisse. Meine Symptome sprachen allerdings für ein anderes Ergebnis – meine Kopfschmerzen wurden stärker, Gliederschmerzen und Schwierigkeiten beim Atmen kamen hinzu.

“Ich dachte, ich werde sterben”

Am Dienstag wurden meine Symptome dann richtig schlimm. Während mein Test weiterhin negativ war, gingen nun auch die Zuckerwerte durch die Decke. Mein gesamter Körper tat nur noch weh, ich bekam kaum Luft und am Abend stieg auch meine Körpertemperatur. Der selbstgebaute Loop, den ich seit circa Dezember 2021 verwende, kam auch nicht mehr hinterher. Im 30-Minuten-Intervall stieg meine Temperatur Hand in Hand mit meinem Zuckerwert. Ich versuchte zu schlafen, doch selbst das war nicht möglich. Also lag ich in meinem Bett, allein in meiner Wohnung, in einem fremden Land und wusste nicht mehr weiter. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft, um meinen Freunden und Freundinnen Bescheid zu geben. Sie wussten zwar, dass ich mit Symptomen zu Hause war, allerdings war deren letzter Stand, dass ich weder Fieber noch Atemprobleme hatte. Beides kam innerhalb weniger Stunden und verschlimmerte sich in wenigen Minuten.

Dann wurde es offiziell

Da meine Gliederschmerzen am Donnerstag etwas besser wurden, entschied ich mich, zu einer Ärztin zu gehen. Hier in Südkorea bieten verschiedene Praxen eine Corona-Sprechstunde an, bei welcher man auch einen Antigen-Test machen kann (der von der Ärztin durchgeführt wird). Also suchte ich mir eine Praxis in meiner Nähe aus, setzte die Maske auf und verließ das erste Mal seit fünf Tagen das Haus. Auf dem Weg dorthin musste ich mehrere Pausen einlegen und mich ausruhen – beängstigend, wie das Virus meinen Körper innerhalb weniger Stunden so verändert hatte. Von der Assistentin wurde ich in ein kleines Zimmer geführt, in dem sich nur ein Tisch, eine Liege und ein großer Luftfilter befanden. Da ich so einen ähnlichen bei mir in der Wohnung habe, wusste ich genau, was die angezeigten Farben bedeuteten. Von Blau (beste Qualität) hin zu Grün (in Ordnung) zu Orange (verschlechterte Qualität) bis hin zu Rot (sehr schlechte Qualität) – das Gerät zeigte einmal die gesamte Farbpalette an, nachdem ich nur wenige Minuten im Zimmer gesessen hatte. Der Luftfilter war in der Diagnosestellung wohl schneller als jeder Antigen-Test.

Dank Übersetzer-Apps und meinen Grundkenntnissen in Koreanisch lief die Verständigung mit der Ärztin besser als erwartet. Sie fragte die typischen Symptome ab und führte dann den Test durch. Das Teststäbchen erinnerte mich an eines der dünnen, langen Stäbchen, die ich bisher nur von PCR-Tests kannte (durch die Nase, einmal komplett in den Rachen). Das Test-Ergebnis war bereits nach wenigen Sekunden klar und deutlich sichtbar – ich war positiv.

Ich bekam eine Unmenge an Tabletten

Nachdem auch die Ärztin mein positives Test-Ergebnis gesehen hatte, stellte sie mir eine Bescheinigung über das Ergebnis sowie ein Rezept aus. Ich bezahlte (dank meiner Krankenversicherung) umgerechnet nur 4 Euro und machte mich auf zur Apotheke. Dort erhielt ich ohne Zuzahlung eine Unmenge an Tabletten, was anscheinend zur Standard-Medikation hier zählt: von Schmerztabletten und Hustensaft über Magenschutz bis hin zum Antibiotikum. Letzteres machte mich dann doch etwas stutzig. Da ich weiß, dass koreanische Ärzte und Ärztinnen gern vorbeugend Antibiotika verschreiben, hatte ich damit schon gerechnet. Ich hielt kurz Rücksprache mit einer Freundin, die in Deutschland als Gesundheitspflegerin tätig ist und auch auf der Corona-Station gearbeitet hat, und entschied mich dann “auf eigene Gefahr” gegen die Einnahme des Antibiotikums.

“Wie viel wiegen Sie? Ich benötige Ihren BMI.”

Kaum war ich zu Hause angekommen, erhielt ich eine SMS mit der Bestätigung meines positiven Test-Ergebnisses, einer offiziellen Bescheinigung vom Gesundheitsamt und einen Anruf von diesem. Am anderen Ende der Telefonleitung war zunächst eine Dame, welche versuchte, auf Koreanisch mit mir zu sprechen. Ich teilte ihr dann mit, dass ich zwar etwas Koreanisch verstehe, bei medizinischen Anliegen jedoch gern mit jemandem sprechen möchte, der auch Englisch versteht. Sie legte auf und keine fünf Minuten später hatte ich eine englischsprachige Ärztin am Telefon. Sie ging mit mir verschiedene Fragen durch: ob ich bereits einen Tag hatte, an dem es besonders schlimm war, ob ich alleine wohne und wie viel ich denn wiege. Ich war geschockt. Ich wiege mich selbst so gut wie nie und konnte ihr daher auch keine klare Antwort geben. Sie bat mehrfach um Entschuldigung, dass sie das fragen musste, allerdings seien sie sehr am Body-Mass-Index (BMI) der Infizierten interessiert. Zu Beginn der Pandemie wurden nicht nur Risikopatienten mit Vorerkrankungen in “Corona-Krankenhäuser” gebracht, sondern auch Menschen mit einem BMI, welcher über dem Normalbereich lag. Danach fragte sie mich, ob ich eine chronische Erkrankung hätte – was ich natürlich bejahte. Ich erklärte ihr, dass ich mit Typ-1-Diabetes lebe, woraufhin sie sich versicherte, dass ich bisher gut mit dem Diabetes-Management klarkomme und diesbezüglich keine ärztliche Betreuung benötige.

Nach unserem Telefonat schickte mir die Ärztin nochmal alle wichtigen Informationen, inklusive Adressen und Handy-Nummern von Krankenhäusern und Praxen in meiner Nähe, per Nachricht. Da sie wusste, dass ich Deutsche bin, schickte sie es mir sogar auf Deutsch! Damit hatte ich nicht gerechnet und freute mich darüber, dass sie so aufmerksam war.

Der Loop war mein größter Supporter

In einem Land, in welchem Englisch kaum gesprochen wird, das Gesundheitssystem ebenfalls überlastet mit den steigenden Zahlen ist, musste ich mich für insgesamt knapp zwei Wochen selbst isolieren und versorgen. Während die offizielle Quarantänezeit nur sieben Tage beträgt, isolierte ich mich jedoch direkt bei den ersten Anzeichen und auch nach der offiziellen Quarantäne blieb ich noch ein paar Tage zu Hause und vermied Kontakt. Zum Glück konnte ich meine Lebensmittel online bestellen und bekam regelmäßige Check-ups vom Gesundheitsamt via einer Messenger-App.

Ich muss sagen, dass ich zeitweise den Diabetes sogar vergessen hatte, da ich ganz andere “Baustellen” in meinem Körper hatte (die Kopf- und Gliederschmerzen, der Husten und die Atem-Probleme). Da ich auch keinen Hunger und somit kaum etwas gegessen hatte, musste ich mich nicht um Bolus-Abgaben oder Ähnliches kümmern. Erst, als meine Insulin-Patrone leer war und die Pumpe einen Alarm gab, bemerkte ich, dass ich trotz dessen, dass ich nichts/kaum gegessen hatte, sehr viel Insulin benötigte. Meine Pumpe war schneller leer als zuvor, obwohl ich immer gern und nicht wenige Kohlenhydrate zu mir nehme. Das Protokoll zeigte mir, dass der Loop meistens auf 400 Prozent lief – die Basalrate war also vierfach so hoch eingestellt wie zuvor.

Marathon oder zehn Treppenstufen?

Knapp fünf Wochen nach meiner Erkrankung ging es mir körperlich wieder sehr gut. Ich hatte allerdings eine längere Zeit noch mit Atem-Problemen zu kämpfen. Ein normaler Treppenabsatz fühlte sich für mich an wie ein Marathonlauf und ich musste mich nach kleinsten Anstrengungen ausruhen. Meinen Diabetes hatte ich dank des selbstgebauten Loops meistens sehr gut unter Kontrolle, nur mein Insulin-Bedarf hatte sich vervierfacht. Obwohl hier in Seoul Millionen von Menschen leben und ich zu einer Zeit infiziert war, in welcher die Zahlen komplett durch die Decke gingen (über 200 000 Neuinfektionen pro Tag), hatte das Gesundheitsamt dennoch die Kontrolle nicht verloren und sich sogar persönlich (via Telefon) um mich gekümmert.

Übrigens: Das Gesundheitsamt bietet eine kostenlose Desinfektion der Wohnung nach überstandener Quarantänezeit an! Die Viren überleben zwar nicht allzu lange auf Oberflächen, aber dass es diesen Service (kostenlos) gibt, finde ich super!

Ich hoffe, dass diese Pandemie bald vorübergeht und nicht noch mehr Menschenleben gefährdet werden.

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (10) Seite 38-41

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