Nach chirurgischem Eingriff: Probleme nicht behoben!

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Nach chirurgischem Eingriff: Probleme nicht behoben!

Nach einem chirurgischen Eingriff zur Behandlung der Adipositas geht die Therapie eigentlich erst richtig los. Patienten benötigen Unterstützung in vielerlei Hinsicht – “multidisziplinär” sozusagen. In vielen Regionen Deutschlands gibt es eine adäquate Unterstützung noch nicht. Wir sagen Ihnen, worauf Sie selbst achten können.

Die Adipositas-Chirurgie, besser metabolische Chirurgie, erfordert in jedem Fall eine lebenslange Nachbetreuung: ärztlich, ernährungsmedizinisch, bewegungstherapeutisch und häufig auch psychologisch, um den Therapieerfolg zu sichern und schwerwiegende Komplikationen des chirurgischen Eingriffs zu vermeiden.

Im Prinzip gelten damit für alle operierten Patienten die Grundregeln eines multidisziplinären Ansatzes lebenslang weiter, der bereits für die Genehmigung des Eingriffs seitens der Krankenkassen gefordert und vom Patienten nachzuweisen ist.

Nachsorgeprogramme sind bisher die Ausnahme

Dies sollte im Idealfall durch ein strukturiertes Nachsorgeprogramm erfolgen, das bisher leider nur in wenigen Regionen Deutschlands verfügbar ist – und auch dort nur von wenigen gesetzlichen Krankenkassen (teil)finanziert wird (z. B. DOC WEIGHT). Bis zu einer gesetzlichen Regelung sind alle Betroffenen deshalb auf eine enge regionale Zusammenarbeit angewiesen zwischen Hausarzt, chirurgischem Zentrum, Ernährungsberatern, Bewegungstherapeuten und Psychologen.

Vielfach bewährt hat sich die Anbindung an spezialisierte Adipositas-Zentren und ernährungsmedizinische Praxen. Hilfe bieten auch die Adipositas-Selbsthilfegruppen, die es in vielen Regionen gibt (www.adipositasverband.de).

Bereits vor der Operation müssen durch gezielte Laboruntersuchungen hormonelle Erkrankungen und Mangelzustände diagnostiziert und ausgeglichen werden; der häufig erhöhte Blutdruck muss medikamentös exakt eingestellt werden, um das Operationsrisiko so klein wie möglich zu halten.

Gemeinsam ist allen operativen Verfahren, dass sie zu einer verminderten Kalorienaufnahme führen – und abhängig vom gewählten Operationsverfahren auch zu einer verminderten Aufnahme von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Auch die veränderte Aufnahme von Medikamenten ist nach der Operation zu beachten.

Nach OP: Langsam essen, oft kauen, viel trinken

Grundsätzlich erfolgt der Ernährungsaufbau nach der Operation in drei Stufen:

  • 1. Woche: flüssige Kost,
  • 2. bis 4. Woche: pürierte Kost,
  • ab 5. Woche: feste Nahrung.

Hierbei sind erfahrungsgemäß folgende Regeln hilfreich: langsam essen, häufig kauen, Essen und Trinken in der Anfangsphase immer trennen, zwischen den Mahlzeiten häufig trinken (ca. 200 ml/Stunde, 1,5 bis 2 l/Tag): geeignet sind ungesüßte Kräuter- und Früchtetees und stilles Wasser, nur bedingt geeignet sind Light- oder Zero-Getränke.

Zuerst Fleisch/Fisch, dann Gemüse

Wenn möglich sollte beim Essen erst der Eiweißträger wie Fisch, Fleisch, Quark gegessen werden, dann Gemüse, Salat und Früchte, abschließend Körnerprodukte/Kohlenhydrate wie Nudeln, Reis oder Kartoffeln. Empfehlenswert sind drei Mahlzeiten pro Tag, möglichst keine Zwischenmahlzeiten und umgehende Beendigung des Essens bei Erreichen des Sättigungsgefühls.

Beim Magenband empfiehlt sich der Verzicht auf faserige Lebensmittel wie Spargel, Rindfleisch, Staudensellerie und Rhabarber und es empfiehlt sich sehr häufiges Kauen.

Langsam und in kleinen Portionen essen

Beim Schlauchmagen sollte die Nahrung langsam und in kleinen Portionen zugeführt werden, um Erbrechen und Magendehnung zu vermeiden: Nach der Operation werden faserige Lebensmittel wie Rindfleisch und Spargel oft schlecht vertragen.

Auch beim Magen-Bypass sollte die Ernährung in kleinen Portionen und langsam erfolgen; bei Blähungen und Durchfall nach dem Genuss von Milchprodukten sollte man Sojaprodukte und fermentierte Milchprodukte (Kefir, Buttermilch) bevorzugen. Wenn es zu Schwindel, Schweißausbrüchen und Kreislaufproblemen kommt im Anschluss an die Nahrungsaufnahme (Dumping-Syndrom), ist eine spezielle Ernährungsberatung nötig.

Literaturtipps
Claudia Paul: Ernährung vor und nach bariatrischen Operationen: Ein Ratgeber für Betroffene mit umfangreichem Rezeptteil. Papst Science Publishers, 2014. ISBN: 9783899679397. Preis: 20,00 €

Ernährung im Kontext der bariatrischen Chirurgievon Mario Hellbardt (Herausgeber) Internet:Expertengruppe Metabolische Chirurgie: http://www.expertengruppe-mbc.de

Verfahren wie Magenband und Schlauchmagen (Sleeve) führen zu einer drastischen Verminderung der Nahrungsmenge unter weitgehender Beibehaltung der normalen Verdauung; kombinierte Verfahren wie Magen-Bypass und die biliopankreatische Diversion sorgen dafür, dass vor allem Fette deutlich weniger aufgenommen werden (Malabsorption).

Mangelerscheinungen entgegenwirken

Typisch bei Patienten nach dem Eingriff sind Nebenwirkungen wie verminderte Aufnahme von Vitaminen, Mineralstoffen (vor allem Eisen) und Spurenelementen; der betroffene muss diese lebenslang und auf eigene Kosten ergänzend zur Nahrung aufnehmen. In einzelnen Fällen ist die Gabe von Eisen durch Infusionen notwendig.

Ca. 30 Prozent der Patienten, die sich einem kombinierten oder malabsorptiven (Ausschaltung eines Dünndarmabschnittes) Verfahren unterziehen, erleiden ohne Nahrungsergänzung einen Vitamin-B12-Mangel, der durch lebenslange Injektionen des Vitamins unter die Haut behoben werden muss.

Durch die Umgehung des Dünndarms werden gleichzeitig weniger Vitamin B1, Eisen und Kalzium ins Blut aufgenommen; die verminderte Fettaufnahme führt zur Reduktion der Aufnahme fettlöslicher Vitamine (A, D, E und K); in seltenen Fällen kommt es nach der Operation zu Fettstühlen, die aber meist gut beherrscht werden können – indem man Nahrungsfette ersetzt durch die besser aufnehmbaren mittelkettigen Triglyzeride (MCT-Fette) und die Verabreichung von Bauchspeicheldrüsen-Enzympräparaten.

Gelegentlich kommt es zu Eiweißmangelzuständen, die eine entsprechende Nahrungsumstellung und -ergänzung erforderlich machen. Hochwertige Eiweißkombinationen sind z. B. Quark oder Ei mit Kartoffeln, Milch und Käse mit Kartoffeln, Joghurt oder Milch mit Getreideflocken, Käsebrot, Milch oder Ei mit Nudeln und Kichererbsen mit Spinat.

Fatal: Nichtbeachtung der Kontrolluntersuchungen

Bei Nichtbeachtung und fehlenden Kontrolluntersuchungen drohen u. a. Blutarmut und Osteoporose mit späteren Wirbelbrüchen.Vorbeugend wird allen operierten Patienten die Einnahme eines Multivitaminpräparats mit Mineralien und Spurenelementen empfohlen, bei malabsorptiven Verfahren zusätzlich die Einnahme von Vitamin D und Kalzium (keine Erstattung durch die Krankenkassen) in Abhängigkeit von den Laborkontrollen.

Für alle Patienten ist zur Erhaltung der Muskelmasse und vor allem zur Osteoporose-Vorsorge in jedem Fall ein begleitendes Bewegungskonzept erforderlich, das aufgrund der meist bestehenden Begleiterkrankungen unterstützt werden kann über die Verordnung von Rehasport nach § 43 SGB V.

Ein besonderes Problem ist die Neigung der Patienten zur Gallensteinbildung durch die rasche Gewichtsabnahme: Sie beträgt ca. 35 Prozent innerhalb der ersten 6 Monate nach einer Magenbypass-Operation. In den meisten Zentren wird deshalb entweder die 6-monatige Einnahme von Ursodesoxycholsäure (keine Erstattung durch die Krankenkassen) oder die prophylaktische Gallenblasen-Entfernung praktiziert.

Besonderheiten bei Menschen mit Diabetes

Vor der Operation wird obligatorisch die meist vorhandene Metformin-Therapie und die gegebenenfalls vorhandene ASS-Einnahme beendet; bei den meisten insulinbehandelten Patienten kann bereits am 1. Tag nach der Operation die Insulintherapie abgesetzt (Diabetesremission) oder aber die Insulindosis drastisch reduziert werden. Auch die Weiterführung einer zuvor bestehenden Sulfonylharnstoff-Therapie ist fast immer entbehrlich, zumal hierdurch die Neigung zu Unterzuckerungen nach dem Eingriff drastisch erhöht ist.

Die Fortführung von oder der Wiederbeginn mit anderen, modernen Therapeutika wie Inkretinen oder Gliflozinen erfolgt in Abhängigkeit von Blutzuckermessungen, den HbA1c-Kontrollen und dem Erfolg der Gewichtsreduktion in den ersten zwei Jahren nach der Operation.

Zusammenfassung

Alle chirurgischen Eingriffe zur Beeinflussung von Gewicht und Stoffwechsel bedürfen einer sorgfältigen Patientenauswahl, eines multimodalen Behandlungskonzepts und einer stringenten Nachsorge mit Ergänzung von Nahrungsstoffen.

Besonderes Gewicht ist hierbei zu legen auf die Stärkung der Motivation zur nachhaltigen Gewichtsstabilisierung und das Rückfallmanagement. Hierzu wäre nach dem aufwendigen Genehmigungsverfahren konsequenterweise eine Finanzierung durch alle gesetzlichen Krankenkassen z. B. durch einen Vertrag zur integrierten Versorgung (§ 140a SGB V) erforderlich.

Schwerpunkt Adipositas-Chirurgie

von Dr. med. Jörg Simon | Internist, Diabetologe, Sportmediziner, Präventivmediziner
Gemeinschaftspraxis Unterm Heilig Kreuz // Unterm Heilig Kreuz 9 // 36037 Fulda // Tel.: 06 61/25 03 50 // E-Mail: info@schwerpunkt-praxis.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (5) Seite 26-29

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