Nationaler Diabetesplan kommt!

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Nationaler Diabetesplan kommt!

Freitag, 11. Juli, Camp-D-Pressekonferenz (siehe “Aktuell”): Prof. Dr. Thomas Danne aus Hannover schildert den Journalisten den Nationalen Diabetesplan, über den in diesem Moment der Bundesrat in Berlin entscheide. Plötzlich klingelt sein Smartphone. Er geht ran, nickt, legt auf: Die Mehrheit der Bundesländer habe sich für den Plan entschieden. Danne: “Gänsehaut!”

Für die Umsetzung des Nationalen Diabetesplans hatte das Gremium in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause gestimmt. Die Initiative dazu hatten Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Thüringen angestoßen.

„Ein besonderer, ja fast historischer Tag!“

“Für die deutsche Diabetologie ist heute ein besonderer, ja fast historischer Tag, weil wir einen Meinungsbildungsprozess auf Bundesebene angestoßen haben. Gleichwohl wissen wir, dass wir noch nicht ganz am Ziel zur Etablierung eines Nationalen Diabetesplans angekommen sind. Nun ist die Bundesregierung gefragt”, kommentierte Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, die Entscheidung.

Auch bei einer Pressekonferenz in Berlin, die im Nachgang des UN-Gipfels zu nichtübertragbaren Krankheiten in New York stattfand und von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sowie diabetesDE ausgerichtet wurde (siehe Kasten am Ende des Beitrages), stand der Plan im Fokus.

“Wir brauchen nationale Ziele, um das globale Ziel zu erreichen: vorzeitige Todesfälle durch chronische Krankheiten bis 2025 um 25 Prozent zu reduzieren”, erklärte Dr. Stefanie Gerlach, Leiterin Gesundheitspolitik, diabetetesDE. Zu dieser politischen Deklaration des 1. UN-Gipfels, der 2011 stattfand, habe sich die Bundesregierung schon vor 3 Jahren bekannt.

3 Menschen pro Stunde sterben an Diabetes in Deutschland

An Diabetes sterben heute aber noch immer 3 Menschen pro Stunde in Deutschland. Jährlich gibt es 40 000 Amputationen, 2 000 Neuerblindungen und 2 300 Diabetespatienten, die an die Dialyse müssen. Die Zahl der Menschen mit Diabetes, vor allem mit Typ-2-, aber auch mit Typ-1-Diabetes, steigt seit Jahren weiter an. Das Robert Koch-Institut geht seit Ende der 1990er Jahre von einem Zuwachs auf 38 Prozent aus, aktuell sind mehr als 6 Mio. Deutsche an Diabetes erkrankt. Die direkten Krankheitskosten belaufen sich auf 48 Mrd. Euro pro Jahr.

“Sehr starkes Signal für Deutschland”

Bislang habe die Bundesregierung aber nicht erklärt, wie und in welchem Zeitfenster sie die Diabetes-Lawine stoppen will, so Gerlach. Dass sich die Mehrheit der Bundesländer zu dem Plan bekannt habe, mit dem sich die Regierung jetzt auseinandersetzen müsse, wertete sie als “ein sehr starkes Signal für Deutschland”.

Nach dem Willen des Bundesrats soll zum einen ein Bundespräventionsgesetz vorgelegt werden, das nachhaltig der strukturellen und finanziellen Sicherung der Prävention und Gesundheitsförderung dient; zum anderen ein Nationaler Diabetesplan, der Präventionsstrategien, Früherkennungsmaßnahmen und Vorschläge für neue Versorgungsmodelle als auch die Stärkung der Selbsthilfe konzeptionell beschreibt.

Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hat diese beiden Punkte noch um die Forderung nach Strategien ergänzt, den Zuckergehalt von Lebensmitteln transparenter zu machen und zu reduzieren (siehe Kasten am Ende des Beitrages).

Nach den Vorstellungen der Diabetesorganisationen in Deutschland sollte der Plan 5 Handlungsfelder umfassen:

  1. Primärprävention,
  2. Früherkennung des Typ-2-Diabetes,
  3. Epidemiologie, Aufbau eines epidemiologisch-klinischen Diabetesregisters,
  4. Versorgungsforschung, Versorgungsstrukturen, Qualitätssicherung,
  5. Patienteninformation, Schulung und Empowerment.

Reaktionen auf die Neuigkeiten zum Plan gab es auch von Diabetesberater-Seite: Diabetes sei eine “komplexe und differente Erkrankung, die von den Patienten eine Menge abverlangt”, sagte Elisabeth Schnellbächer, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD). Diabetesberater und -assistenten könnten “zum Patientenempowerment und einem verbesserten Selbstmanagement deutlich mehr beitragen, wenn ein Nationaler Diabetesplan die Weichen dafür stellen würde”, ist sie sich sicher.

Dass an dem UN-Gipfeltreffen keine deutsche Regierungsdelegation teilgenommen hat, bedauerte Dr. Dietrich Garlichs, Geschäftsführer von diabetesDE öffentlich. Die Bundesregierung ließe damit die Chance aus, “von internationalen Erfahrungen zu lernen”, erklärte er.

“Deutschland war weder sichtbar noch hörbar.” Beiträge und Mitdiskussionen erfolgten ausschließlich durch DDG (Garlichs) und diabetesDE (Gerlach). Dabei liegt Deutschland in der Prävention von Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes deutlich hinter den internationalen Entwicklungen zurück.

Dramatischer WHO-Appell

Die Chefin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Margaret Chan erinnerte in New York in einem dramatischen Appell daran, dass die Epidemie von Übergewicht seit 3 Jahrzehnten immer schlimmer statt besser werde. Sie forderte zu einem drastischen Paradigmenwechsel auf: “Wir denken immer noch zu sehr in Krankheiten statt in der Verhinderung von Krankheiten.”

Daher beschloss die UN-Generalversammlung, dass die Staaten bis zum kommenden Jahr nationale Ziele entwickeln und nationale Pläne aufstellen sollen, um die vorzeitige Sterblichkeit durch chronische Krankheiten bis 2025 um ein Viertel zu senken.

Den Ländern werden außerdem sektorenübergreifende Koordinierungsmechanismen empfohlen und die Einrichtung einer verantwortlichen Zuständigkeit auf hoher politischer Ebene. “Wir fordern seit langem einen Bundesbeauftragten für Diabetes und Adipositas, der in der Umsetzung eines Nationalen Diabetesplans eine wichtige Rolle einnehmen würde”, ergänzte Stefanie Gerlach.

Etliche Staaten wurden bereits gegen die Diabetes-Epidemie aktiv

Viele Länder sind inzwischen bevölkerungsweit aktiv geworden, um die Risikofaktoren dieser Krankheiten, die mehr als 80 Prozent aller Todesfälle verursachen, zu reduzieren. Mehrere südamerikanische Länder haben z. B. mit der Brotindustrie vereinbart, den Salzgehalt stufenweise zu reduzieren. Argentinien hat es sogar geschafft, diesen in 4 Jahren um ein Viertel zu senken. Brasilien hat sich das Ziel gesetzt, Salz in Lebensmitteln um 30 Prozent in 5 Jahren zu verringern, Kanada will dieses Ziel bis 2016 erreichen.

Südafrika hat entsprechende gesetzliche Regelungen beschlossen. Etliche Länder setzen auf verschiedene Formen der Zucker-Fett-Steuer (u. a. Frankreich, Finnland, Mexiko, Ungarn). Andere Staaten und Provinzen verbieten an Kinder gerichtete Fernsehwerbung (u. a. Norwegen, Schweden, Quebec) oder alle Formen der Tabakwerbung einschließlich des Sponsorings (z. B. Australien).

Forderung: Ungesunde Lebensmittel besteuern!

Die Einführung einer Zucker-Fett-Steuer auf verarbeitete Lebensmittel schlugen die DDG und diabetesDE denn auch bei dem UN-Gipfeltreffen vor. “Die Besteuerung ungesunder Lebensmittel ist nachweislich geeignet, gesundheitsbewusstes Verhalten zu erleichtern”, sagte Garlichs.

Beste Beispiele seien Alkopops und Zigaretten. Die alkoholhaltigen Süßgetränke sind durch eine steuerbedingte Preissteigerung fast komplett vom Markt verschwunden, und der Zigarettenkonsum von Jugendlichen hat sich durch eine höhere Tabaksteuer in den letzten 10 Jahren halbiert.

„Ziel: Weltmeister in Prävention”“

“Nach der Fußball-Weltmeisterschaft sollte unser nächstes Ziel sein, Weltmeister in Krankheitsverhinderung und Prävention zu werden”, sagte Dr. Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin, die im Juli und im Nachgang des UN-Gipfels in New York zu nichtübertragbaren Krankheiten stattfand. Im Fokus stand die Frage: “Globaler Kampf gegen Diabetes – wo ist jetzt die Bundesregierung gefordert?”

DDG fodert Zucker-Fett-Steuer

“Übergewicht gehört neben Bewegungsmangel zu den wichtigsten vermeidbaren Risikofaktoren für erhöhte Blutzucker- und Blutdruckwerte”, sagte Privatdozent Dr. Erhard Siegel, DDG-Präsident. Für eine erfolgreiche Diabetesprävention seien “verhältnis-, nicht verhaltenspräventive Maßnahmen” erforderlich. Während sich die Verhaltensprävention bislang als wenig wirkungsvoll erwiesen hat – sie zielt auf Änderungen des Lebensstils ab –, setzt die Verhältnisprävention bei neuen Rahmenbedingungen an. “Daher sprechen wir uns auch für die Einführung einer Zucker- und Fett-Steuer sowie eine klare Nährwertkennzeichnung mit Angabe der Kalorienanzahl aus.”

Der Deutsche Diabetiker Bund (DDB) lehnt die Forderung nach einer höheren Mehrwertsteuer auf süße und fettige Lebensmittel (“Zucker-Fett-Steuer”) ab. Ziel müsse vielmehr eine ausgewogene Ernährung sein, “zu der Zucker und Fett in einem ausgewogenen Umfang genauso dazugehören”, so der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler.


von Angela Monecke
Redakteurin und Diplom-Politologin, Hauptstadt-Korrespondentin des Diabetes-Journals

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0,
Fax: (0 61 31) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (9) Seite 54-56

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