Nein zu Eiern, Fleisch, Milch und Co – geht das?

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Nein zu Eiern, Fleisch, Milch und Co – geht das?

Immer mehr Menschen in Deutschland entscheiden sich, vegetarisch oder vegan zu essen. Oft spielen dabei neben ethischen auch gesundheitliche Gründe eine Rolle. Wie wirken sich die beiden Ernährungsweisen auf den Diabetes aus? Und ändert sich etwas an der Therapie?

Etwa 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland – also ca. 8 Millionen Menschen – leben vegetarisch (Angaben des ProVeg Deutschland, früher: Vegetarierbund Deutschland). Rein pflanzlich, also vegan, essen laut ProVeg geschätzt 1,3 Millionen Menschen hierzulande. Vegetarische und vegane Ernährungsformen sind nicht nur in Mode, sondern eine bewusste Entscheidung. Manch einer verspricht sich davon eine Verbesserung oder gar Heilung diverser Erkrankungen.

Und das nicht ohne Grund: Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sowohl eine ovo-lakto-vegetarische als auch eine rein vegane Ernährungsweise (Begriffserklärungen finden Sie in nachfolgender Tabelle) als dauerhafte Ernährungsform durchaus als Präventions- und Therapiemaßnahme bei verschiedensten Erkrankungen geeignet sein kann. Verschiedene Varianten von fleischfreien bis hin zu Ernährungs- und Lebensformen ganz ohne tierische Produkte sind sehr komplex, finden aber Befürworter in jeder Bevölkerungsschicht.

Vegetarisch: Möglichkeiten und Grenzen bei Typ-2-Diabetes

In Expertenkreisen gilt eine ovo-lakto-vegetarische Ernährungsform durchaus als effiziente Präventionsmaßnahme für Typ-2-Diabetes und eine Reihe weiterer Erkrankungen wie starkes Übergewicht (Adipositas), Bluthochdruck (Hypertonie), bestimmte Formen von Krebs sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ergebnisse aus der Adventist Health Study 2 mit über 96.000 Teilnehmern sowie der EPIC-Oxford-Studie mit über 65.000 Teilnehmern stützen die Annahme, dass diese Ernährungsweise bei richtiger Durchführung stark vorbeugend wirkt.

Tabelle 1: Formen vegetarischer Ernährung

Ernährungsform Das wird gegessen Das wird gemieden
Vegetarier überwiegend pflanzliche Lebensmittel wie Getreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen alle Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch (einschließlich anderer aquatischer Tiere) sowie alle daraus gewonnenen Produkte
Ovo-Lacto-Vegetarier pflanzliche Lebensmittel, zusätzlich Milch, Milchprodukte und Eier alle Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch (einschließlich anderer aquatischer Tiere) sowie alle daraus gewonnenen Produkte
Lacto-Vegetarier pflanzliche Lebensmittel, zusätzlich Milch und Milchprodukte alle Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch (einschließlich anderer aquatischer Tiere) sowie alle daraus gewonnenen Produkte
Ovo-Vegetarier pflanzliche Lebensmittel, zusätzlich Eier alle Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch (einschließlich anderer aquatischer Tiere) sowie alle daraus gewonnenen Produkte
Pesco-Vegetarier/ Pescetarier pflanzliche Lebensmittel, zusätzlich Fisch und Meeresfrüchte Fleisch sowie alle daraus gewonnenen Produkte
Semi-Vegetarier pflanzliche Lebensmittel, zusätzlich Fisch und Geflügelfleisch rotes Fleisch
Pudding-Vegetarier alles außer Fleisch, oft wenig Vollkornprodukte und Gemüse, dafür Süßigkeiten und Fertigprodukte alle Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch (einschließlich anderer aquatischer Tiere) sowie alle daraus gewonnenen Produkte
Veganer pflanzliche Lebensmittel wie Getreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen alle tierischen Produkte, auch Honig und Gebrauchsgegenstände aus Tierkörperteilen
(z. B. Wolle, Fell, Leder)
Frutarier/Fructarier/Fruganer nur Pflanzen, die bei ihrer Ernte nicht „sterben“ müssen; radikale Vertreter essen nur Obst, das auf natürliche Weise vom Baum gefallen ist alles andere (z. B. auch Gemüse, das geerntet werden muss wie Möhren oder Lauch)
Rohköstler 100 Prozent reine Rohkost, diese kann vegan, vegetarisch oder omnivor sein, entscheidend ist, dass die Nahrung nicht hitzebehandelt wird hitzebehandelte Nahrung
Flexitarier im Prinzip alles, Orientierung an vegetarischer Ernährung; Fleisch wird ab und zu, aber nicht regelmäßig verzehrt; Qualität der Nahrung spielt eine wichtige Rolle Fleisch, das nicht artgerechter Herkunft ist

Dies gilt auch unter Berücksichtigung von Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Body-Mass-Index (BMI) der Teilnehmer. Diese drei Faktoren müssen gesondert betrachtet werden, da Menschen, die vegetarisch leben, im Vergleich zu Menschen mit einer üblichen Mischkost seltener rauchen, Alkohol konsumieren und seltener übergewichtig sind – sie haben schon deswegen ein geringeres Risiko für die oben genannte Erkrankungen.

Wie beeinflusst vegetarische Ernährung einen Typ-2-Diabetes?

Die Datenlage für eine mögliche gesundheitsfördernde oder gar blutzuckernormalisierende Wirkung einer vegetarischen Kost auf einen bereits bestehenden Typ-2-Diabetes ist sehr dünn. Experten gehen jedoch davon aus, dass sie durchaus Potenzial hat, die Stoffwechsellage zu verbessern. Meist ist bei einer vegetarischen Ernährung der Anteil an pflanzlichen, ballaststoffreichen Lebensmitteln hoch – und so lassen sich insbesondere Adipositas, Insulinunempfindlichkeit (Insulinresistenz) sowie Blutzucker- und Blutfettwerte günstig beeinflussen.

Bei einer mit Bedacht zusammengestellten vegetarischen Ernährungsweise ist es möglich, nahezu alle benötigten Makro- und Mikronährstoffe in ausreichender Menge und im richtigen Verhältnis zueinander ohne zusätzliche Ergänzung von Nährstoffen (Supplementierung) aufzunehmen. Einzig die Versorgung mit Vitamin B12 kann bei Menschen, die sich vegetarisch ernähren, kritisch sein; der Wert sollte regelmäßig kontrolliert werden.

Wegen der gestiegenen Nachfrage in den letzten Jahren werden im Handel viele vegetarische und zunehmend auch vegane Fertig- und Alternativprodukte sowie Wurst- und Käse-Imitationen angeboten. Leider sind viele dieser Lebensmittel, ähnlich wie die konventionell hergestellten Vergleichsprodukte, hoch verarbeitet, außerdem mit vielen Zusatzstoffen und Konservierungsmitteln versetzt und müssen daher beim Einkauf kritisch miteinander verglichen werden. Nicht selten enthalten sie mehr Zucker, Speisesalz sowie Fett als die jeweiligen Originale.

Wenig sinnvoll sind deshalb z. B. vegetarische Fertigsalate, panierte Bratlinge, Nudelgerichte mit fettreichen Käsesoßen und andere fleischfreie Convenience-Produkte. Denn damit könnten die positiven Effekte der vegetarischen Ernährung aufgehoben werden, je nachdem, wie häufig sie verzehrt werden.

Vegan essen bei Typ-2-Diabetes – (k)ein Problem?

Die Wahrscheinlichkeit, bei veganer Ernährung Typ-2-Diabetes zu entwickeln, ist laut der Adventist Health Study 2 um 62 Prozent niedriger als bei Menschen, die eine Mischkost zu sich nehmen. Zur Frage, inwiefern sich eine vegane Ernährung positiv auf einen bestehenden Typ-2-Diabetes und dessen Begleiterkrankungen wie Adipositas auswirkt, gibt es nur sehr wenige und kleine Studien. Immerhin konnte in Untersuchungen aus den Jahren 2006, 2007 und 2009 beobachtet werden, dass veganes Essen eine ähnlich gute Reduktion des Körpergewichts wie spezielle Diäten zur Folge hat.

Auch konnte bei den vegan lebenden Teilnehmern der HbA1c-Wert stärker gesenkt werden als in der Vergleichsgruppe. Ähnlich wie bei vegetarischem Essen konnte durch eine fettarme vegane Kost über 22 bis 74 Wochen eine wirkungsvolle Verbesserung der Blutfettwerte und der Blutglukoseschwankungen erreicht werden, außerdem mussten die Teilnehmer weniger Medikamente einnehmen. Von der Heilung eines Typ-2-Diabetes kann jedoch weder dank vegetarischem noch veganem Essen die Rede sein.

Verbesserte Blutzuckerwerte?

Durch den meist hohen Anteil an komplexen Kohlenhydraten bei vegetarischer und auch veganer Ernährung haben Menschen mit Typ-1- und auch Typ-2-Diabetes die Möglichkeit, ihre Blutglukosespitzen nach dem Essen (postprandial) aufgrund der gleichmäßigeren Glukosefreisetzung sowie gleichzeitig verzögerten Glukoseaufnahme zu verringern. Viele berichten zudem, dass sie die Gesamtinsulinmenge deutlich reduzieren konnten.

Weiterführende Infos

Jedoch müssen aufgrund der veränderten Glukoseaufnahme bei ballaststoffreicher oder auch teils fettreicher Kost (z. B. höherer Verzehr an Nüssen und Samen) möglicherweise die Insulindosis sowie der Injektionszeitpunkt verändert werden. Häufig sind nach der Umstellung der Ernährungsweise auch ein Ess-Spritz-Abstand statt eines Spritz-Ess-Abstands oder auch gesplittete Bolusinsulingaben nötig.

Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, die eine Insulinpumpe nutzen, kann es sinnvoll sein, häufiger verschiedene Bolusarten (verzögerter bzw. verlängerter Bolus oder dualer/Multiwave-/Combo-Bolus) anzuwenden, um eine adäquate Insulinabgabe zu erzielen.

(Un)nötig: Supplementierung

Menschen mit Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes, die eine gesunde und ausgewogene Form der ovo-lakto-vegetarischen Kost praktizieren, brauchen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) keine zusätzliche Supplementierung, sondern erhalten alle wichtigen Nährstoffe durch eine bedarfsgerechte Ernährung. Die Gießener vegetarische Ernährungspyramide nach Keller und Leitzmann (siehe unten) kann bei der Orientierung helfen. Trotzdem ist meist eine intensive Schulung nötig.

Für Menschen, die strikt vegan essen, gehören zu den potenziell kritischen Nährstoffen Vitamin B12 (Cobalamin), Riboflavin (Vitamin B2), Kalzium, Vitamin D, teils Eisen, Zink, Selen und Jod. Dies gilt auch für Menschen mit Diabetes. Bei der veganen Ernährungsform wird deshalb eine dauerhafte Supplementierung von Vitamin B12 empfohlen sowie in den sonnenarmen Monaten (Oktober bis März) zusätzlich Vitamin D.

Um mit weiteren kritischen Nährstoffen gut versorgt zu sein, wird zum Verzehr von angereicherten Lebensmitteln geraten. Dazu bieten sich beispielsweise kalziumreiche Mineralwässer, jodiertes und fluoridiertes Speisesalz oder – nach Rücksprache und Überprüfung des Bedarfs durch einen Arzt – die Supplementierung durch Nahrungsergänzungsmittel an.

Ein gesunder Weg für den Körper

Als Präventionsmöglichkeit gegen Erkrankungen wie Adipositas, koronare Herzkrankheit, Typ-2-Diabetes, Osteoporose, bestimmte Arten von Krebs sowie erhöhte Harnsäurespiegel (Hyperurikämie, Gicht) kann durchaus empfohlen werden, ovo-lakto-vegetarisch zu essen. Eine Heilung des Typ-2-Diabetes ist damit aber nicht möglich. Durch den meist hohen Ballaststoffgehalt lassen sich postprandiale Blutglukosespitzen stark einschränken und minimieren. Hierbei bedarf es jedoch einer Schulung zur möglicherweise notwendigen Anpassung der Insulinapplikation.

Aufklärung hilft im Praxisalltag

Eine intensive Schulung und individuelle Beratung ist für beide Diabetestypen und Ernährungsweisen unabdingbar, um einen ausreichend deckenden Nährstoffmix zu erhalten. Informieren Sie sich bei Ihrer Diabetesberaterin oder auch bei Ihrer Krankenkasse. Viele Krankenkassen bieten ihren Mitgliedern Ernährungsberatungen an. Deckt die alltägliche Ernährung den Nährstoffbedarf sicher ab, kann bei Ovo-Lakto-Vegetariern eine zusätzliche Supplementierung durch Nahrungsergänzungsmittel entfallen.

Bei Menschen, die sich vegan ernähren, muss bei beiden Diabetestypen auf die potenziell kritischen Nährstoffe hingewiesen werden. Wenn nötig, sollte eine Supplementierung erfolgen. Bei Gruppen mit speziellen Ansprüchen wie Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kleinkinder, Jugendliche ist eine rein vegane Ernährung nicht zu empfehlen.

Schwerpunkt „Typ-2-Diabetes – Was ist das Gelbe vom Ei?“

von Corinna Lorenz
Diplom-Ingenieurin Ernährung und Versorgungsmanagement,
Diabetesberaterin DDG,
Praxis Dres. Horn, Durchholz, Sengenberger (Würzburg),
E-Mail: diabetes@horn-praxis.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (4) Seite 24-27

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