„Pauly Saal“ in Berlin: Aufgeweckt durch eingeweckt

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„Pauly Saal“ in Berlin: Aufgeweckt durch eingeweckt

Das Echt essen-Gasthaus im Januar: Ein quirliges Szenerestaurant in Berlin-Mitte ist der Pauly Saal mit einer heimatsatten, deftigen Küche, in der viel Eingemachtes serviert wird.

Den „Hauptstadttest“ habe ich schon mal nicht bestanden: Verzweifelt rief ich im „Pauly Saal“ an, fragte, wo das Restaurant denn sei: „Sie stehen davor“, lautete die lakonisch-freundliche Ansage. Wer hier herkommt, weiß, wo er hinmuss, auch ohne Beschriftung. Weiß, dass es die Treppe hochgeht, dass er die schwere Tür öffnet. Weiß, dass es nach links geht, wo eine sehr geschmackvolle Bar den Gast erwartet – und wo mich vor allem meine charmante Begleiterin längst erwartete. Aber sie ist Berlinerin und mit den hauptstädtischen Gepflogenheiten natürlich bestens vertraut.

Zum Abheben: „Pauly Saal“ mit Leuchtern aus Murano

Eine Wucht der Gastraum des „Pauly-Saal“: Die ehemalige Turnhalle des jüdischen Mädchengymnasiums wirkt nicht so hoch, wie sie ist, weil riesige Leuchter der Manufaktur „Pauly“ aus Murano den Saal in ein warmes Licht tauchen. Elegant eingedeckte, eng gestellte Tische schaffen eine intime Atmosphäre, am Saalende thront eine hölzerne Rakete – und darunter lassen sich hinter großen Fenstern die Köche bei der konzentrierten Arbeit beobachten.

Ein Salzburger ist der erfahrene Chefkoch Siegfried Danler. Er kocht eine Küche, welche perfekt die Sehnsüchte eines großstädtischen Publikums nach dem Authentischen bedient: Ähnlich wie Matthias Schmidt von der „Villa Merton“ (siehe „Echt Essen“ vom Oktober 2012) greift er sehr stark auf Eigenes, vor allem auf Eingemachtes zurück. Im kühlen Vorratskeller stapeln sich die Gläser mit eingeweckten Bohnen, Karotten und Tannennadeln. Natürlich könnte Danler auch auf moderne Tiefkühlprodukte zurückgreifen, aber das traditionelle Einmachen entwickelt die Produkte weiter, so wie ein Wein reift. Der Geschmack wird intensiver und konzentrierter, was aber nur mit besonders guter und reifer Ware gelingt.

Drei Gänge habe ich von dieser neuen Heimatküche probiert: Muscheln, Kalbsbries und Hirsch.

Präzise abgeschmeckt: Roh marinierte Pfahlmuscheln

Von der Nordsee kommen diese Pfahlmuscheln, die ausgelöst und dann roh mariniert werden mit Essig, Limettensaft, Limettenzesten, klein geschnittenem Sellerie und Karotten. Das Ganze ist kräftig gewürzt, schmeckt frisch und ist genau richtig portioniert.

Gut versteckt: Kalbsbriesherz unter Rosenkohl

Als ich vor über 30 Jahren in Berlin lebte, wäre ein solches Gericht undenkbar gewesen: Kalbsbries, eine Drüse, welche beim Kalb die Immunabwehr aufbaut, und sich beim ausgewachsenen Tier wieder zurückbildet. Eine Innerei also, wie Kutteln, wie Hirn. Sicher, ich habe so etwas schon als Kind gern gegessen – und genieße es heute noch. Nur, in Berlin war so etwas verpönt. Dass solche kulinarischen Glanzlichter heute möglich sind, liegt natürlich auch an den von miesepetrigen Berufs-Ossis gescholtenen Schwaben (und auch ein paar Badenern und Bayern), welche die rustikale Esskultur ins kartoffelstampfige Berlin gebracht haben.

Kaum Eigengeschmack hat das Kalbries, das neben Vitamin C auch Kalium birgt, was an der Insulinfreisetzung beteiligt ist, aber leider auch ein paar lästige Säure bildende Purine enthält. Im „Pauly Saal“ wird das Bries mit Zwiebelstreifen, einem Maronenpüree (Maronen wiederum wirken basisch, also gegen Säuren, also eine gute Rezeptidee) sowie Rosenkohl veredelt – und der Vitamin-C-Effekt wird durch frisch geriebenen Meerrettich noch verstärkt. Schmeckt gut, tut gut und kostet stramme 17 Euro.

Aus dem Fontane-Land: Linower Hirsch mit Essigpflaumen

Zauberhafte Landschaften mit vielen Seen, unberührter Natur breiten sich nördlich von Berlin aus. Meisterhaft beschrieben hat das Theodor Fontane in seinem Roman „Stechlin“. Und in der Nähe von Stechlin liegt auch Linow, wo der Hirsch geschossen wurde, den ich genießen durfte, jedenfalls stand es so auf der Karte. Auf jeden Fall war das Fleisch butterzart und herzhaft im Geschmack ohne zu „wildeln“.


Gekrönt
wurde das Gericht von dem berühmten Essigpflaumenkompott aus dem Vorratskeller von Siegfried Danler. Dafür werden beste Zwetschgen mit einer Nadel eingestochen, eingelegt und drei Tage lang immer wieder mit einem heißen Sud übergossen aus Essig, Balsamico, Rotwein, Zimt, Gewürznelken und für mich etwas zu viel Zucker. Am Schluss werden Zwetschgen und Sud eingeweckt, und das Ganze zieht dann zwei Monate. Jedenfalls schmeckt es nach dem Motto „Das Beste, was eine Zwetschge werden kann“ – und harmoniert gut mit dem Wild, und der Essig puffert auch die Säure des Wildes. Fein gewürzt der Fenchel, die Kräutersaitlinge und den gerollten Schinken hätte ich nicht gebraucht.

Ein gutes, aber mit 38 Euro auch nicht preiswertes Gericht, das ich genau so wie die anderen Speisen hervorragend vertragen habe.

Riesling liebe ich über alles – allerdings werden mir die meisten zu süß ausgebaut. Sicher ein Erbe meiner Markgräfler Heimat südlich von Freiburg, wo wir´s gern knackig trocken mögen. Aber es gibt solche Weine auch im Riesling-Paradies Rheingau. Das Weingut „Leitz“ aus Rüdesheim keltert mit dem „EINS ZWEi DRY“ einen leichten, aber trotzdem intensiven und mineralischen Wein. Sachkundig empfohlen wurde mir der Tropfen vom Sommelier – und siehe, er passte sogar zum Wild. Gut, er hatte zu kämpfen, aber er ging nicht unter. Eine kongeniale Ergänzung zur geerdeten Küche von Siegfried Danler.

links: Mineralisch trocken: 2011er Leitz-Riesling | rechts: Kocht den Geschmack der Zeit: Siegfried Danler

Fazit: Der „Pauly-Saal“ ist die Gasthaus gewordene „Landlust“ der Boheme Berlins. Es ist ein aufgewecktes Publikum, wie es nur die Hauptstadt hat, das sich im „Pauly-Saal“ trifft, selbstbewusst, ohne affig zu sein. Souverän, ohne abzuheben. Wissend, es ist jetzt schön, aber es wird nicht so bleiben. Gelesen wird „Landlust“, die Magazin gewordene Sehnsucht nach dem bäuerlichen Leben. Eine Sehnsucht, die von „Landlust“ perfekt und geglättet bedient wird – aber die natürlich nichts mit der harten Wirklichkeit der von der Agrarindustrie bedrohten Bauern zu tun hat.

Aber Träume sind wohl gestattet – vor allem, wenn sie so genussvoll sind wie im „Pauly Saal“.

„Pauly Saal“ Berlin-Mitte, Auguststraße 11-13, 10 117 Berlin, 030/33 00 60 70, www.paulysaal.com. Sonntag ist zu.


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de

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