Pflaster, Clips, Ding am Arm …

3 Minuten

© MarsBars - iStockphoto
Pflaster, Clips, Ding am Arm …

Ramona war im Herbst auf Kuba. Oldtimer, Männer mit Hüten, tanzende Frauen: Die Klischees im Kopf, fand sie durchaus Widersprüchliches vor – und traf natürlich nicht nur eine Person, die wie Ramona selbst verdächtige Pflaster oder irgendwelche Clips am Hosenbund trugen.

Ich atme ein, der schon vertraute Geruch nach Dieselabgasen und Zigarrenrauch steigt in die Nase. In meiner Hosentasche brummt mein Handy und lässt mich mit einem ebenfalls vertrauten Geräusch wissen: Mein Glukosewert ist zu hoch. Werde ich das fremde Essen im Ausland jemals berechnen können? Ich drücke den Alarm weg, lasse das Handy in die Tasche gleiten und widme mich wieder Havanna. Es ist Urlaub. Ich bin auf Kuba. Der Diabetes muss jetzt mal kurz warten.

„Und, Kuba? Ist es so, wie man es sich vorstellt?“ – so oder so ähnlich lautet die Frage, die ich schon während meiner Reise oft gestellt bekam. Wenn denn das kubanische Internet, das man immer noch per Karte nach Minuten bezahlt, die Nachrichten aus der Heimat geladen hat, versteht sich. Ist es so? Ja und nein.

Insulin und Zubehör in mindestens doppelter Ausführung

Kuba – man denkt an Männer mit weißen Hüten, eine Zigarre zwischen den Zähnen, die in ihren Oldtimern glamourös gekleidete Frauen die Uferpromenade Malecón entlangkutschieren. Bunte Häuserfassaden, Salsamusik aus jeder Ecke. Die romantisierte Version von Kuba findet man, ja, aber bestenfalls in der touristisch geprägten Altstadt von Havanna, wo so gut wie jeder Oldtimer mittlerweile als Taxi dient.

Außerhalb der Touristenbezirke, wo wir unsere Casa Particular (eine von Privatpersonen geführte Unterkunft) beziehen, bietet sich ein anderes Bild: Armut. Auch wenn Kuba sich langsam öffnet, merkt man deutlich, dass man sich in einem sozialistischen Land befindet. Im einen Moment freue ich mich darüber, weder McDonald’s noch die austauschbaren Werbeplakate zu sehen; im nächsten Moment erschrecke ich, wenn die Regale im Supermarkt einfach leer sind. Diabetestechnisch bedeutet dies für mich vor allem: noch mehr Vorbereitung als sonst!

Während ich mich sonst gern durch die „Hypohelfer“ in fremden Ländern futterte, habe ich für Kuba mindestens so viele Fruchtriegel und Traubenzucker dabei wie Klamotten. Insulin und alles andere Zubehör ist natürlich auch in mindestens doppelter Ausführung dabei – im Fall eines Verlusts bin ich mir wirklich nicht sicher, wie ich das auf Kuba lösen sollte. Und überhaupt, wie lebt es sich als Mensch mit Diabetes auf Kuba?

Keine Insulinpumpen und wenige Insulinsorten auf Kuba

Kaum lade ich die ersten Urlaubsfotos auf den sozialen Medien hoch, ploppt eine Nachricht in meinem Instagram-Postfach auf: „Hey, welcome to my country! Hope you like it!“ (Willkommen in meinem Land! Ich hoffe, es gefällt dir!) – und die Frage, was das Ding an meinem Arm ist auf dem Foto? Dani ist 18 und lebt seit ihrem vierten Lebensjahr mit Diabetes.

Einen Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung hat sie keinen, dafür ein modernes Blutzuckermessgerät, erzählt sie mir – und dass sie gern eine Insulinpumpe hätte. Die gibt es aber nicht auf Kuba. Grund: das Handelsembargo. Dafür wäre Insulin verhältnismäßig günstig, aber es gibt nur wenige Sorten. Verwandte aus anderen Ländern schicken ihr regelmäßig schnellwirkendes Insulin und Teststreifen (Mangelware). Kein Wunder, dass ich später am Flughafen bei der Ausreise angesichts meines Medikamentenvorrats in verwirrte Gesichter blicke.

Das Gespräch mit Dani macht mir wieder bewusst, wie viel Glück wir in Deutschland mit der medizinischen Versorgung haben. Mein schlechtes Gewissen sagt: Andere wollen unbedingt eine Insulinpumpe haben, können aber nicht – und ich trage meine aus dem simplen Grund nicht, weil sie mich stört.

Sie heißt Sarah, ist Kanadierin …

Andere Menschen mit Diabetes finden Urlaub mit Pumpe anscheinend weitaus weniger problematisch als ich, wie ich einige Abende später im Hotel feststelle: Jemand hat da so ein verdächtiges Pflaster am Arm und irgendwas an den Hosenbund geclipt. Jackpot! Sie heißt Sarah und ist Kanadierin, wir tauschen uns kurz über unsere Erfahrungen aus und freuen uns beide, eine andere Diabetikerin in freier Wildbahn gesehen zu haben.

Nach zwei Wochen mit dem Bus quer durchs Land, über Cienfuegos, Trinidad, Santa Clara und Varadero zurück nach Havanna … und mit viel, viel Traubenzucker stehe ich wieder in Havanna und lade meinen Backpack in einen klapprigen Moskvich, der mich zum Flughafen bringen soll. In meiner Tasche vibriert der CGM-Alarm wieder – und auch, wenn der Dia­betes keinen Urlaub macht: Die Erfahrungen auf einer Reise sind mir jedes Blutzuckerchaos wert!


von Ramona Stanek
Blog: www.tattoostravelstypeone.de
E-Mail: mail@tattoostravelstypeone.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (1) Seite 46-47

Ähnliche Beiträge

Lea Raak im Interview: Durch Community zurück ins Leben

Lea Raak lebt seit dem Jahr 2011 mit einem Typ-1-Diabetes. Viele Fragen taten sich nach der Diagnose auf – und eine gewisse Verzweiflung. Die Community hat ihr zurück ins Leben geholfen: „Ich tue mein Bestes und alles andere kommt, wie es kommt.“

11 Minuten

#dedoc° voices meet DDG: die Patienten-Perspektive beim Diabetes Kongress

Im zweiten Teil der Berichte der #dedoc° voices vom diesjährigen Diabetes Kongress kommen weitere Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Mai die Fachtagung in Berlin besucht haben, um ihre Perspektive einzubringen.

9 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert