Pflegegeld nicht verschenken!

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Pflegegeld nicht verschenken!

Unter welchen Umständen wird der Antrag auf Pflegegeld bewilligt? Ende 2012 gab es dazu ein Urteil des Sozialgerichts Osnabrück, das die Rechte der betroffenen Kinder erheblich stärkt.

Pflegeleistungen können Entlastung schaffen

Bei Kindern mit Typ-1-Dia-betes bleibt häufig ein Elternteil zur Pflege des Kindes zu Hause. Damit können erhebliche finanzielle Einschränkungen verbunden sein. Pflegeleistungen können eine teilweise Entlastung schaffen. Seit dem 1. Januar 2012 werden bei Pflegestufe I 235 Euro/Monat Pflegegeld bzw. 450 Euro als Sachleistung erbracht. Dies entspricht pro Jahr z. B. einem Pflegegeld von 2.820 Euro, häufig kann ein mehrjähriger Bezug erfolgen.

Pflegebedürftigkeit und Pflegestufe

Pflegebedürftig ist, “wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, d. h. in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höheren Maß der Hilfe bedarf.” (§ 14 SGB XI)

Kinder mit Diabetes sind regelmäßig in diesem Sinn pflegebedürftig. Die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllen dabei solche Kinder, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität (sog. Grundpflege) für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich Hilfe brauchen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Bei Kindern ist für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend.

Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere, nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen. (§ 15 SGB XI) Dies ist häufiger Streitgegenstand mit den Pflegekassen.

Gerichte sehr restriktiv mit Gewährung von Pflegestufen

Das Bundessozialgericht hatte in Entscheidungen von 1998/1999 hierzu entschieden, dass das Kochen, die portionsgerechte Bemessung und Zuteilung von Diätnahrung sowie das Einkaufen, Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Nahrung nicht zur Grundpflege gehören. (BSGB 3 P 3/97 R; B 3 P 10/98 R; B 3 P 5/97 R) Gleiches sollte für das Spritzen von Insulin einschließlich der BZ-Messungen gelten (B 3 P 5/98 R).

In der Folge waren verschiedene Gerichte insgesamt sehr restriktiv mit der Gewährung von Pflegestufen umgegangen. Inzwischen haben jedoch verschiedene Sozialgerichte Familien mit einem an Diabetes erkrankten Kind wieder Pflegestufen zugestanden.

Neues Urteil stärkt Rechte betroffener Kinder

Das Sozialgericht Osnabrück hat in einem aktuellen Urteil vom 16. November 2012 (S 14 P 74/08) entschieden, dass bei der modernen Insulintherapie bei Insulinpumpenversorgung auch der Hilfebedarf für die Blutzuckermessung und die Insulingabe sowie der Mehraufwand für die Beaufsichtigung bei den Mahlzeiten als Hilfebedarf zu berücksichtigen sei, weil hier ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme bestehe. Dadurch wurden die Rechte der betroffenen Kinder weiter erheblich gestärkt.

Tatsächlich besteht nach meiner Erfahrung aus entsprechenden außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren in zahlreichen Fällen ein begründeter Anspruch eines an Diabetes erkrankten Kindes zumindest auf die Pflegestufe I. Jeder Antrag erfordert jedoch eine Einzelfallentscheidung. Zwar ist nicht jede Hilfeleistung für die Pflegestufe berücksichtigungsfähig, zahlreiche Hilfestellungen sind es jedoch. Es kommt dennoch immer wieder vor, dass zwar auf diesen Grundlagen der erforderliche Hilfebedarf vorliegt, dies von den Pflegekassen jedoch nicht anerkannt wird. Lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen.

Ihr Recht: Streit um die Pflege

Stellen Sie einen Antrag bei Ihrer Pflegekasse. Sie erhalten dann regelmäßig die Aufforderung, ein Pflegetagebuch einzureichen. Seien Sie bitte beim Erstellen der Pflegeprotokolle sehr sorgfältig; jede halbe Minute kann in der Schlussberechnung den Ausschlag geben.

Sodann wird durch einen Gutachter der Krankenkasse/MDK ein Gutachten erstellt. Wird dabei ein nur geringer oder gar kein Hilfebedarf festgestellt, ergeht ein ablehnender Bescheid. Legen Sie gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Wird der Widerspruch abschlägig beschieden, haben Sie die Möglichkeit der (fristgebundenen!) Klage vor dem Sozialgericht.

Das Verfahren vor dem Sozialgericht kann derzeit leider recht lange dauern. Sodann wird jedoch regelmäßig ein weiterer, gerichtlicher Gutachter bestellt und Ihr Anliegen ggf. durch Urteil entschieden. Erfahrungsgemäß haben Betroffene gute Chancen, wenn die beschriebenen Voraussetzungen vorliegen und Sie sich nicht durch die lange Verfahrensdauer abschrecken lassen.

Chancen und Risiken

Pflegegeld bzw. Sachleistung sind bei Obsiegen regelmäßig rückwirkend ab Antragstellung zu gewähren. Darüber hinaus können unter besonderen Voraussetzungen Rentenanwartschaften (§ 44 SGB XI; § 3 SGB VI), Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 44 SGB XI; SGB VII) sowie Förderung beruflicher Weiterbildung (§ 44 SGB XI; SGB III) erworben werden.

Die Kosten für einen Rechtsanwalt betragen im erstinstanzlichen Verfahren – je nach Umfang seiner Tätigkeit – ca. 600 bis 1.000 Euro. Gerichtskosten entstehen nicht. Wenn vorhanden, übernimmt ggf. die Rechtschutzversicherung die Kosten oder auch die Staatskasse durch Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe (Antrag nötig).

Der Artikel kann – im Hinblick auf seinen Umfang – die rechtlichen Probleme und Besonderheiten nur ansprechen, jedoch keine umfassende Rechtsberatung ersetzen.

Hinweise zur Krankenkasse
  • Nach bisheriger Erfahrung werden Eltern, die geklagt haben, danach nicht von der GKV benachteiligt.
  • Die einmal anerkannte Pflegestufe wird beim Wechsel der Kasse übertragen, der durch den Wechsel notwendige Neuantrag für Hilfsmittel kann Probleme machen. Eltern sollten sich vorher informieren!

von RA Matthias Meyer
Sozius der Kanzlei Herzog, Herzog. Meyer, Itzehoe

Kontakt:
E-Mail: info@herzog-herzog.de
, Internet: http://www.herzog-meyer.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2013; 6 (1) Seite 20-21

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