Schmerzen in der Brust immer klären

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Schmerzen in der Brust immer klären

Schmerzen in der Brust können viele Ursachen haben. Ein Herzinfarkt kann dahinterstecken oder eine andere schwerwiegende Krankheit – aber ein Brustschmerz kann auch durch nicht lebensbedrohliche Erkrankungen entstehen.

Der Fall
Peter J. ist 52 Jahre alt, hat einen Typ-2-Diabetes und ist leicht übergewichtig (168 cm, 94 kg). Seinen Beruf als Hausmeister liebt er, weil er so abwechslungsreich ist. Letzten Monat wurde seine Mutter im Alter von 84 Jahren plötzlich wegen akuter Bauch- und Brustschmerzen ins Krankenhaus eingewiesen und starb dort am folgenden Tag – man sprach von einer gerissenen Hauptschlagader. Das hat ihn sehr mitgenommen. Sein Vater hatte mit 60 Jahren einen Herzinfarkt. Als Peter J. letzte Woche vom Baumarkt mit dem Auto nach Hause fuhr, hatte er plötzlich einen dumpfen Schmerz hinter dem Brustbein. Schweißgebadet und voller Panik rief er mit dem Smartphone den Rettungsdienst an. Die ersten Untersuchungen ergaben keinen krankhaften Befund, sein Kreislauf war stabil. Weil er aber kaltschweißig und unruhig war, nahm man ihn mit in die Klinik. Nach Gabe eines Beruhigungsmittels ging es ihm besser – in der Klinik ergaben das EKG und die Blut-Untersuchungen keinen krankhaften Befund. Nach Ausschluss einer akuten Herz-Erkrankung und auch anderer Ursachen sprach man von einem psychischen Entstehen angesichts der Krankengeschichte seiner Eltern – glücklicherweise. Eine ambulante Aufarbeitung durch einen Psychologen wurde empfohlen.

Der Brustschmerz oder Thoraxschmerz ist einer der häufigsten Gründe, warum Menschen einen Arzt oder eine Notfallambulanz aufsuchen. Brustschmerzen sind das häufigste und vorherrschende Symptom sowohl beim Mann als auch bei der Frau im Rahmen eines “akuten Koronar-Syndroms”. Darunter versteht man verschiedene Formen eines Herzinfarkts und die “instabile Angina pectoris”. Allen liegt eine Durchblutungsstörung der Herzkranzgefäße unterschiedlicher Art zugrunde.

Es ist nicht immer nur der Brustschmerz

Typische Beschwerden können neben dem einengenden Brustschmerz (Angina pectoris) auch in Schultern, Arme oder auch den Rücken ausstrahlende Schmerzen sein – eine Ausstrahlung in die linke Körperhälfte ist häufiger als eine Ausstrahlung in die rechte oder in beide Schultern. Die Vorstellung, dass es sich nicht um einen Infarkt handelt, wenn die Beschwerden unter Gabe von “Nitro” als Spray oder Kapsel weggehen, ist nicht immer richtig und hilft nicht weiter. Bei Menschen mit Diabetes und vorhandener Nervenschädigung (Polyneuropathie) kann der Schmerz völlig fehlen. Manchmal ist eine “unerklärliche” neu auftretende Luftnot das erste Symptom. Auch ist schon lange bekannt, dass Frauen oft andere Beschwerden haben.

Wichtig ist auch zu wissen, dass eine gute körperliche Belastbarkeit ein akutes Koronar-Syndrom nicht ausschließt. Tritt unter einer körperlichen Belastung eine Enge im Brustbereich auf, bedeutet dies andererseits nicht automatisch, dass eine koronare Herzkrankheit (KHK), also eine Störung der Durchblutung der Herzkranzgefäße, vorliegt. Da von der richtigen Diagnose im Ernstfall abhängt, ob ein Mensch richtig behandelt wird und/oder überlebt, gilt, sofort und zielsicher die Diagnose zu sichern und andere Ursachen auszuschließen.

Darum haben im Jahr 2021 zwei amerikanische Herz-Gesellschaften (American Heart Association, American College of Cardiology) eine Leitlinie zur Diagnostik des Brustschmerzes herausgegeben, die Ärzten einen Pfad für eine sofortige und richtige Diagnose aufzeigt. Diese Gesellschaften vertreten auch die Auffassung, dass Brustschmerz als Symptom nicht zu eng gefasst werden sollte – man sollte auch folgende Symptome beachten:

  • Schmerzen in der Brust,
  • Druckgefühl,
  • Enge oder Missempfindungen in Brust, Armen, Nacken, Rücken, Oberbauch und Kiefer,
  • Kurzatmigkeit,
  • Müdigkeit.

Alle diese Beschwerden können auch durch ein anderes ernstes Problem im Brustbereich auftreten.

“Big five” bei Brustschmerz

Laut Statistik haben etwa 20 bis 25 Prozent aller Notfallpatienten mit Brustschmerz tatsächlich ein akutes Koronar-Syndrom. In der Medizin spricht man beim Leitsymptom Brustschmerz von fünf lebensbedrohlichen Erkrankungen (“big five”). Auch Herzrhythmus-Störungen, eine Herzmuskel-Entzündung oder eine Entzündung des Herzbeutels können Schmerzen in der Brust auslösen.

Fünf mögliche lebensbedrohliche Erkrankungen bei Brustschmerz:
  • akutes Koronar-Syndrom (frischer Herzinfarkt)
  • akute Lungen-Embolie (Verschluss eines vom Herzen weggehenden Blutgefäßes in die Lunge)
  • Aorten-Dissektion (Riss der Hauptschlagader)
  • Spannungs-Pneumothorax (Luft-Ansammlung außerhalb der Lunge im Lungenfell; ein Kollaps/Zusammenfallen der kompletten Lunge ist möglich)
  • Boerhaave-Syndrom (Einriss der Speiseröhre, z. B. nach starkem Würgereiz/Würgen oder Erbrechen)

Schmerzen durch sehr hohen Blutdruck

Nicht selten steckt hinter einem Infarkt-Verdacht letztlich eine Krise mit Blutdruckwerten über 180 mmHg systolisch (oberer Wert) und 110 bis 120 mmHg diastolisch (unterer Wert), auch bezeichnet als hypertensive Krise. In der Blutdruck-Krise haben Betroffene häufig neben dem zu hohen Blutdruck folgende Anzeichen: Nasenbluten, Kopfschmerzen, gerötetes Gesicht, Übelkeit und Erbrechen. Nicht selten findet man auch Atemnot. Störungen des Bewusstseins und Lähmungen der Arme oder Beine können auch Zeichen für eine Durchblutungs-Störung des Gehirns und damit Hinweise auf einen Schlaganfall sein.

Merke: Ein normaler Blutdruck liegt bei etwa 120/80 mmHg.

Psychisch bedingte Brustschmerzen

Es gibt allerdings auch psychisch bedingte Brustschmerzen z. B. im Rahmen von Panik-Störungen oder Stressverarbeitungs-Störungen, die von den anderen Formen wegen der möglichen akuten Bedrohung unbedingt rasch abgegrenzt werden müssen. In dem eingangs beschriebenen Fall ist der Hinweis auf den plötzlichen Tod der Mutter und den Herzinfarkt des Vaters eventuell wegweisend – aber es darf nicht automatisch eine psychische Ursache angenommen werden. Eine organische Ursache muss immer gleichzeitig ausgeschlossen werden. Liegt dagegen eine bekannte organische Grunderkrankung z. B. des Herzens vor und ein Patient hat gleichzeitig eine Depression oder er leidet an einer Panik-Störung, dann führt dies nicht selten zu einer ängstlichen Selbstbeobachtung – eine stetige Herausforderung auch für Ärzte in Notaufnahmen. Bezeichnet wird dies als Kardio-Phobie oder Herzneurose.

Typische Symptome eines Herzinfarkts bei Frauen:
  • ziehende Schmerzen in Ober- und Unterkiefer
  • Zahnschmerzen
  • Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich
  • Schlappheit einige Tage vor dem Infarkt
  • Übelkeit
  • Brechreiz

Wichtig ist auch: Mit der Diagnose “Wir können nichts finden” sollte man sich nicht zufriedengeben. Dies führt häufig dazu, dass Patienten sich nicht ernst genommen fühlen und deshalb häufig Ärzte der verschiedensten Fachrichtungen aufsuchen, bekannt als Ärzte-Hopping. Außerdem kann so auch ein “chronisches Problem” entstehen.

Mit Scores Symptome bewerten

Um die Wahrscheinlichkeit einer akut bedrohlichen Erkrankung bei Brustschmerzen auszurechnen, haben sich in der Praxis verschiedene Scores bewährt. Einer ist der “Marburger Herz-Score”. Anhand von fünf Kriterien wird damit bewertet, ob die Symptome eher durch einen Herzinfarkt entstanden sind oder eine andere Ursache wahrscheinlicher ist.

Herzinfarkt ohne Schmerzen

Mehr als ein Drittel der älteren Menschen mit einem akuten Herzinfarkt haben keine Brustschmerzen – wegen der häufig bestehenden Begleiterkrankungen (z. B. Polyneuropathie) werden die Schmerzen nicht gespürt. Wer eine Polyneuropathie hat, muss also besonders aufmerksam sein hinsichtlich anderer Symptome eines Herzinfarkts. Für die Ärzte gilt, dass diese Menschen ganz besonders überwacht werden müssen.

Diagnostik bei akutem Koronar-Syndrom
  • 12-Kanal-EKGBlutwerte (z. B. hochsensitives Troponin T und I, hs-TnT und hs-TnI)
  • evtl. Röntgen, MRT, CT zum Ausschluss anderer Erkrankungen
  • Echokardiographie (Herz-Ultraschall)
  • evtl. Koronar-Angiographie (Herzkatheter-Untersuchung)

Andere zu bedenkende Erkrankungen

Es gibt eine Reihe anderer Erkrankungen, die mit dem Symptom Brustschmerz einhergehen. Eine akute Lungen-Embolie führt in Deutschland zu mehr als 40.000 Todesfällen pro Jahr – verbunden mit einer hohen Frühsterblichkeit. Bei einem Aorten-Syndrom, meist ein Platzen einer vorbestehenden Aussackung der Wand der Hauptschlagader (Aorten-Aneurysma), besteht ebenfalls eine hohe Frühsterblichkeit, da die Diagnose oft nicht richtig und rechtzeitig gestellt wird bzw. werden kann. Ein solches Aneurysma wird vorher oft nur durch Zufall bei einer Untersuchung aus anderen Gründen gefunden.

Auch eine Rippenfell-Entzündung oder eine Lungen-Entzündung kann ähnliche Beschwerden verursachen. Auch das Boerhaave-Syndrom, bei dem die Wand der Speiseröhre reißt, kann ähnliche Symptome machen. Auch eine Reflux-Ösophagitis (ein Aufsteigen der Magensäure in die Speiseröhre), ein frisches Magen- oder Zwölffingerdarm-Geschwür und eine akute Entzündung von Bauchspeicheldrüse oder Gallenblase kann sich mit vergleichbaren Symptomen zeigen.

Auch Nervenschmerzen (Radikulitis), wie sie im Rahmen einer Gürtelrose (Herpes zoster) auftreten, können einem akuten Brustschmerz ähneln. Ein ähnliches Muster findet man manchmal auch bei Bandscheiben-Vorfällen.

Oberflächliche Schmerzen in der Brust können Zeichen einer Entzündung der Brustdrüsen (Mastitis) selbst sein, die z. B. bei stillenden Müttern oder hormonellen Veränderungen während des Zyklus auftreten kann.

In Anlehnung an die Empfehlungen der amerikanischen Herz-Gesellschaften in ihrer neuen Leitlinie sollte man nach Ausschluss einer Herz-Erkrankung nicht von “atypischen Ursachen”, sondern von “nicht kardialen Ursachen” sprechen.

Zusammenfassung
Bei einem Infarkt des Herzens zählt jede Minute – aber auch, wenn die Wand einer Hauptschlagader (Aorta) eingerissen ist (z. B. durch ein Aneurysma) oder in den Lungen-Arterien ein Gerinnsel steckengeblieben ist. Beim akuten Brustschmerz muss rasch eine Diagnose anhand von sicheren Kriterien getroffen werden, um sofort eine Therapie einleiten zu können. Besonders bei älteren Menschen sind “typische Symptome” manchmal verschleiert – bei Menschen mit Diabetes kann der oft typische Schmerz wegen einer Neuropathie wegfallen! Dies sollten Ärzte berücksichtigen – aber auch Patienten können durch genaue Angaben helfen, eine schnelle und richtige Diagnose zu stellen. Diese ist manchmal lebenswichtig.

Autor:
© privat
Dr. Gerhard-W. Schmeisl

Internist/Angiologie/Diabetologie/Sozialmedizin
PrivAS Privatambulanz (Schulung)
E-Mail: dr.gerhardw@schmeisl.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (4) Seite 26-29

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