Schnelle Analoginsuline: Der Natur am nächsten

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Schnelle Analoginsuline: Der Natur am nächsten

Schnelle Analoginsuline sind die heutigen Standardinsuline – sowohl bei Menschen mit Typ-1- wie Typ-2-Diabetes. In unserer Insulinserie stellt Prof. Thomas Haak die modernen Präparate vor und gibt einen Ausblick auf zukünftige Innovationen.

Der Fall
Kathrin B. ist Finanzbuchhalterin in einem mittelständischen Unternehmen der Automobilbranche. Mit ihren Kollegen isst sie jeden Tag in der Werkskantine. Oft weiß sie nicht, wie groß der Andrang dort ist, und kann die Kohlenhydratmenge, die sie essen wird, im Voraus schlecht abschätzen. Daher spritzt Kathrin B. ihr Mahlzeiteninsulin erst nach dem Essen.

Bislang hat sie als Mahlzeiteninsulin ein Humaninsulin benutzt, das man üblicherweise jedoch einige Minuten vor dem Essen spritzen sollte; wenn sie dies nach dem Essen spritzt, steigen die Blutzuckerwerte stark an und liegen über den gesamten Nachmittag zu hoch.

Zweites Problem bei Kathrin B.: Sie isst abends sehr gern große Kohlenhydratmengen. Ihr Lieblingsessen ist Pasta, und sie liebt süße Nachtische. Hierfür benötigt sie oft große Insulinmengen – mit der Folge, dass sie einige Stunden nach dem Essen zu Unterzuckerungen neigt. Ihr Diabetologe hat ihr daher geraten, auf ein schnelles Analoginsulin als Mahlzeiteninsulin zu wechseln.

Früher dachte man, dass mit dem Nachbau des menschlichen (humanen) Originalinsulins das bestmögliche Insulin geschaffen wurde. Durch die gentechnologische Herstellung von Humaninsulin musste man nicht mehr auf Schweine- und Rinderinsuline zurückgreifen. Somit war die Bildung von Antikörpern gegen Rinder- und Schweineinsulin, wie sie früher üblich waren, dauerhaft beseitigt. Auch war die Menge an Insulin nicht mehr begrenzt, und es mussten keine Engpässe in der Produktion mehr befürchtet werden.

Wieso Humaninsulin länger benötigt, um ins Blut tzu gelangen

Nur bedachte man dabei nicht, dass humanes Insulin üblicherweise von der Bauchspeicheldrüse produziert wird und dann mit dem Blutstrom direkt in die Organe gelangt, beispielsweise in die Leber und die Muskulatur. Wenn man jedoch wie bei Diabetes üblich das Insulin unter die Bauchhaut injiziert, geht das Insulin nicht direkt in die Blutbahn, sondern die Insulinmoleküle bilden kleine Gruppen aus sechs einzelnen Molekülen (Hexamere).

Diese Hexamere sind zu groß, um direkt in die Blutbahn zu gehen. Es dauert daher einige Zeit, bis sich diese Sechsergrüppchen wieder auflösen und die einzelnen Insulinmoleküle in den Körper aufgenommen werden.

Vor rund 30 Jahren war es daher die Forderung namhafter Diabetologen – wie dem Düsseldorfer Diabetologen Prof. Dr. Michael Berger –, dass die Pharmaindustrie die Moleküle so verändert, dass ein schnellerer Wirkbeginn möglich ist. Vor genau 20 Jahren wurde daher das schnelle Analoginsulin Insulin lispro (Handelsnamen: Humalog, Liprolog) zur Marktreife gebracht.

Durch neue Molekülstruktur tritt die Wirkung des Insulins schneller ein

Bei Humalog ist die Molekülstruktur so verändert, dass sich die einzelnen Moleküle nicht mehr zu Sechsergrüppchen aneinanderlagern können. Dies führt dazu, dass in die Bauchhaut gespritztes Insulin sofort in die Blutbahn übertritt. Auf diese Weise wirkt das Insulin circa 15 bis 20 Minuten schneller (s. Abb. 1), was therapeutisch erhebliche Konsequenzen hat. Studien haben gezeigt, dass die Blutzuckerverläufe unter einem schnellen Analoginsulin, welches nach dem Essen injiziert wurde, genauso gut waren wie die mit einem Humaninsulin, das unmittelbar vor der Mahlzeit injiziert wurde.

Daraus ergibt sich: Falls der Blutzucker vor der Mahlzeit nicht zu hoch ist, können Menschen mit Diabetes jetzt erst in Ruhe ihre Mahlzeiten auswählen und zu sich nehmen und danach Insulin injizieren. Dies ist ein besonderer Vorteil vorwiegend für Typ-1-Diabetiker im Kindes- und Jugendalter. Gerade Kinder sind oft nicht in der Lage, vor der Mahlzeit die gewünschte Kohlenhydratmenge der Mahlzeit anzugeben.

Ein weiterer Vorteil ist, dass schnelle Analoginsuline auch schneller wieder ihre Wirkung verlieren, so dass die gefürchteten späten Unterzuckerungen bei größeren Insulinmengen seltener auftreten. Es ist also jetzt auch möglich, für große Kohlenhydratmengen Insulin zu spritzen, ohne Unterzuckerungen befürchten zu müssen.

Weitere Analoginsuline folgten

Nach der Zulassung von Humalog kam als Nächstes Insulin aspart auf den Markt, das unter dem Handelsnamen NovoRapid vertrieben wird. Diesem folgte dann schließlich Insulin glulisin, das den Handelsnamen Apidra trägt.

Allen diesen Insulinen gemein ist der schnelle Wirkbeginn, aber auch die kürzere Wirkdauer. Mit Humaninsulin entsteht bei großen Kohlenhydratmengen von zehn und mehr Kohlenhydrateinheiten oft ein Insulinüberhang. Dieser ist durch eine schnellere Ausscheidung von Analoginsulinen sehr viel geringer. Damit bieten die schnellen Analoginsuline neben mehr Flexibilität auch mehr Sicherheit. Mittlerweile sind die schnellen Analoginsuline bei Typ-1-Diabetes im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie, aber auch in der Insulinpumpentherapie, die Standardinsuline.

Auch Typ-2-Diabetiker profitieren

Aufgrund des schnellen Wirkeintritts haben die schnellen Analoginsuline auch bei Typ-2-Diabetes große Vorteile: Im Vergleich zu Humaninsulinen benötigen gerade insulinresistente Typ-2-Diabetiker bis zu 30 Prozent weniger Insulin, wenn sie schnelle Analoginsuline anstatt Humaninsuline verwenden.

Die geringere Insulinmenge ist bei Typ-2-Diabetes deswegen vorteilhaft, weil Insulin umso länger wirkt, je höher es dosiert wird. Geringere Insulinmengen ermöglichen daher eine bessere Stoffwechsel-, aber auch eine bessere Gewichtskontrolle.

Ein wichtiger Schritt in die Zukunft

Die modernen schnellen Analoginsuline sind die heutigen Standardinsuline sowohl bei Menschen mit Typ-1- als auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes. Trotzdem steht die Forschung nicht still und es werden weitere Insuline entwickelt, die noch schneller wirken als die bisherigen (siehe zum Beispiel Viaject, Abb. 2).

Auch forscht man an intelligenten Insulinen, die nur dann aktiv werden, wenn der Blutzucker steigt. Auf diese Weise wird Schritt für Schritt daran gearbeitet, dass die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes weiter optimiert wird und auch die Therapiezufriedenheit weiter steigt.


von Thomas Haak
Chefredakteur Diabetes-Journal, Diabetologe,
Chefarzt Diabetes Klinik am Diabetes Zentrum Mergentheim,
Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim,
Tel.: 07931 / 594101, E-Mail: haak@kirchheim-verlag.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (7) Seite 34-36

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