Wenn die Zuckerwerte stark schwanken, müssen Betroffene auf die Suche nach den Ursachen gehen. Eine mögliche Erklärung für schwankende Werte sind Lipo-Hypertrophien – Fettansammlungen, die durch eine nicht optimale Spritztechnik entstehen.
Ein typischer Fall ist der der 76-jährigen Frau Löwenbarth, die seit 18 Jahren Insulin spritzt. In letzter Zeit bemerkt sie immer wieder unerklärliche Schwankungen ihres Blutzuckers – mal hat sie extrem hohe Werte, mal sehr niedrige:
Als Frau Löwenbarth vom Hausarzt zum Diabetologen geschickt wird, bemerkt dessen Diabetesberaterin sofort die fast „monströsen Schwellungen“ rechts und links des Bauchnabels. Dies sind Fettgeschwülste, Lipo-Hypertrophien, die sich durch regelmäßiges Spritzen an von ihr bevorzugten Stellen entwickelt haben: Jetzt wirkt das Insulin nicht mehr gleichmäßig, denn es wird nicht mehr kontinuierlich aus diesen Stellen ins Blut abgegeben! Darüber hinaus hatte Frau Löwenbarth mit einer 12-mm-Nadel auch am Oberschenkel gespritzt – und damit wahrscheinlich öfter in den Muskel als ins Unterhautfettgewebe getroffen: Dort wirkt Insulin schneller, und es schmerzt!
Lipo-Atrophien und Lipo-Hypertrophien
Wer Insulin spritzt und jahrelang regelmäßig mal rechts, mal links vom Nabel oder auch am Oberschenkel Insulin spritzen muss (vor allem mit langen Nadeln (8 bis 12 mm), kann Lipo-Atrophien entwickeln (Abbau von Fettgewebe). Oder aber, was häufiger vorkommt, Fettansammlungen (Lipo-Hypertrophien). Häufig zeigen sich diese Fettansammlungen am Bauch (Hängebauch) oder als „Reithosen“ am Oberschenkel.
In Zeiten, in denen noch nicht hochgereinigte Humaninsuline eingesetzt wurden, kamen derartige Veränderungen noch sehr viel häufiger vor als heute. Aber sie sind einer der häufigsten Gründe für „oft unerklärliche Blutzuckerschwankungen“, da das Insulin in diese Stellen ungleichmäßig aufgenommen und damit auch ungleichmäßig ins Blut abgegeben wird. Wie stark das Insulin wirkt, wird unkalkulierbar.
Woraus die Fettansammlungen bestehen
Eine aktuelle Studie zeigt, dass Fettansammlungen ausschließlich aus Fettzellen bestehen. Bei ausgeprägten Fettansammlungen ist das Fett faserig und relativ arm an Blutgefäßen. Diese Fettzellen sind doppelt so groß wie normale Fettzellen und bestehen nur aus Fetttröpfchen. Werden diese Stellen als Spritzstellen für Insulin genutzt, führt das oft zu unerklärlichen Blutzuckerschwankungen.
Bei vielen Menschen mit Lipo-Hypertrophien zeigt sich, dass sich die Blutzuckerwerte rasch bessern, wenn sie in neue Stellen spritzen – insbesondere mit kurzen Nadeln s.c. (subkutan). Manchmal bessern sich die Werte so stark, dass die Insulindosis extrem reduziert werden kann – und sogar muss, denn sonst droht eine Unterzuckerung! Dies sollten Arzt und Patient unbedingt berücksichtigen, wenn auf neue Spritzstellen und vielleicht auch kürzere Nadeln umgestellt wird.
Welche Nadellänge ist richtig?
Die Haut ist in den Bereichen, in die Insulin gespritzt wird, etwa 2 mm dick – ganz egal, wie viel jemand wiegt, wie alt er ist und ob er ein Mann oder eine Frau ist.
Für die Nadellänge bedeutet dass, dass normal bzw. leicht übergewichtigen Menschen mit einer 4-mm-Nadel ohne Hautfalte sicher in das Unterhautfettgewebe stechen – also dorthin, wo das Insulin hingelangen soll. Mit einer 5-mm-Nadel kommt man ohne Falte bei sehr schlanken Personen oder Kindern oft schon zu tief – nämlich auf die Muskelfaszie oder in den Muskel selbst. Das kann wehtun und/oder bewirken, dass das gespritzte Insulin schneller wirkt. Mit einer 6-mm-Nadel ist man dann fast immer bereits auf der Muskelfaszie, mit einer 8-mm-Nadel bei schlanken Patienten meist schon im Muskel!
Übergewichtige Menschen, die am Bauch genug Fett haben, können weiterhin 8-mm-Nadeln verwenden, wenn sie damit bisher gut zurechtgekommen sind. Am Oberschenkel sollten 8-mm-Nadeln aber auch von Übergewichtigen nur noch dann verwendet werden, wenn sie eine Hautfalte bilden können und die Injektion schräg erfolgt. Andernfalls spritzt man hier regelmäßig in den Muskel und nicht ins Unterhautfettgewebe (subkutan). Die Folge: Das Insulin wirkt viel zu schnell, auch wenn Basalinsulin verwendet wird.
Der Injektionsort entscheidet
Studien haben gezeigt, dass Insulin je nach Injektionsort unterschiedlich schnell aus dem Unterhautfettgewebe aufgenommen (resorbiert) wird: Insulin wird besonders schnell aus dem Unterhautfettgewebe resorbiert, wenn es rechts oder links oder unterhalb des Nabels injiziert wird. Am schnellsten wirkt es jedoch bei Injektionen einige Zentimeter oberhalb des Nabels, am langsamsten bei Injektion seitlich am Oberschenkel – jeweils ins Unterhautfettgewebe.
Deshalb gilt:
- Kurzzeit-Human- bzw. Kurzzeit-Analog-Insuline sollten grundsätzlich nur am Bauch injiziert werden – mit 4- bis 8-mm-Nadeln und immer subkutan (s.c.), also ins Unterhautfettgewebe.
- Basale Humaninsuline sollen grundsätzlich am Oberschenkel s.c. gespritzt werden, in der Regel mit 4- bis 8-mm-Nadeln.
- Auch das Langzeit-Analog-Insulin Levemir® soll am Oberschenkel s.c. gespritzt werden, ebenfalls mit 4- bis 8-mm-Nadeln. Levemir darf keinesfalls in den Muskel gespritzt werden, deshalb also unbedingt nur kurze Nadeln nehmen! Gelangt es in den Muskel, wirkt es wie ein schnellwirksames Insulin.
- Insulin Glargin (Lantus®) kann am Oberschenkel und auch s.c. am Bauch gespritzt werden.
- Die Injektionsstelle sollte regelmäßig gewechselt werden.
- Sind Lipo-Hypertrophien entstanden, sollte in diese Stellen kein Insulin mehr gespritzt werden.
- Die Bereiche, in die das Insulin injiziert wird (Injektionsareale), sollten regelmäßig kontrolliert werden. Dazu reicht es nicht, sie nur anzusehen – die Stellen sollten auch betastet werden.
- Wer sich nicht mehr sicher ist, in welcher Weise die Spritzstellen am besten gewechselt werden, sollte es sich noch einmal erklären lassen (evtl. erneute Schulung).
- Nach jeder Injektion muss die Nadel gewechselt werden! Injektionsnadeln sind Einmalartikel, die bei mehrmaligem Gebrauch das Gewebe verletzen können!
Redaktion Diabetes
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