Steckt Diabetes in den Knochen?

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Steckt Diabetes in den Knochen?

Als wäre der Diabetes allein nicht schon Belastung genug: Diabetiker erkranken häufiger an Osteoporose als Menschen ohne Diabetes. Glukosestoffwechsel auf der einen Seite und Knochenstoffwechsel auf der anderen Seite – lange Zeit stand ein Zusammenhang beider Erkrankungen nicht im Fokus. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse haben die Sichtweise verändert.

Damit Knochen nicht brechen, stabil und gesund bleiben, müssen sie stark sein. Knochenstärke ist abhängig von zwei wichtigen Faktoren: der Knochenmasse und der Knochenqualität. Ein stetiger Auf- und Abbau der Knochen durch Osteoblasten (“Knochenaufbauer”) und Osteoklasten (“Knochenabbauer”) trägt zur Stabilität bei.

Die Regulierung des Knochenstoffwechsels wird beeinflusst durch Hormone, durch Botenstoffe, mechanische Belastung und nicht zuletzt auch durch genetische Veranlagung. Liegt gleichzeitig ein Diabetes mellitus vor, ergeben sich vielfältige Wechselwirkungen zwischen Glukose- und Knochenstoffwechsel, die gegenwärtig nur unvollständig verstanden werden.

Forschungen der letzten Jahre zeigen aber, dass nicht – wie lange bekannt – nur Menschen mit Typ-1-Diabetes ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche haben, sondern auch Patienten mit Typ-2-Diabetes. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes ist das Risiko für Knochenbrüche im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes etwa 6-fach erhöht, mit Typ-2-Diabetes ist das Risiko immerhin noch etwa doppelt so hoch. Interessant:

Diabetestypen: wichtige Unterschiede!

Bei Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes finden sich unterschiedliche Veränderungen der Knochenstruktur: Typ-1-Diabetiker haben bereits als junge Erwachsene eine verminderte Knochendichte im Vergleich zu Stoffwechselgesunden; Typ-2-Diabetiker haben oftmals eine normale oder sogar leicht erhöhte Knochendichte, jedoch eine verminderte Stabilität des Knochens. Sprich: Typ-2-Diabetiker haben trotz unauffälliger Knochendichtemessung ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche.

Erklärt die verminderte Stabilität des Knochens das erhöhte Knochenbruchrisiko bei Typ-2-Diabetikern ausreichend? Sicher nicht: Viele Untersuchungen zeigen, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes vermehrt stürzen. Das Risiko steigt mit dem Alter und der Diabetesdauer.

Folgeerkrankungen an den Augen und Nerven können zu einer Gangunsicherheit führen, Blutdruck- und natürlich auch Blutzuckerschwankungen erhöhen das Sturzrisiko (s. Tab. 1). Auch wenn die wissenschaftliche Datenlage in dieser Frage nicht ganz eindeutig ist, spricht vieles dafür, dass erhöhte Zuckerwerte die Knochen schädigen. Unterzuckerungen sind beim Erreichen einer normnahen Stoffwechseleinstellung aber unbedingt zu vermeiden.

Tab.1: Risikofaktoren für osteoporotische Knochenbrüche bei Diabetes:

  • fortgeschrittenes Alter
  • lange Diabetesdauer
  • schlechte Stoffwechseleinstellung
  • Blutzuckerschwankungen
  • erhöhtes Unterzuckerungsrisiko
  • diabetische Nervenerkrankung
  • diabetische Nierenerkrankung
  • diabetische Augenerkrankung
  • diabetischer Fuß
  • Funktionseinschränkungen der großen Gelenke
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Diabetesmedikation (s. Tab. 2)
  • Begleitmedikation (s. Tab. 3)
  • Insulintherapie

Obwohl Insulin als anabole (“aufbauende”) Substanz die Knochenneubildung stimuliert, hat man in einigen Studien ein erhöhtes Knochenbruchrisiko bei insulinbehandelten Patienten festgestellt. Als Grund hierfür nimmt man Stürze im Rahmen von Unterzuckerungen unter der Insulintherapie an.

Einfluss anderer blutzuckersenkender Medikamente auf die Knochen?

Metformin weist einen neutralen, in einigen Untersuchungen sogar positiven Effekt auf den Knochenstoffwechsel und das Knochenbruchrisiko auf. Da zudem kein relevantes Unterzuckerungsrisiko besteht, ist Metformin unter Beachtung der Gegenanzeigen sicherlich für viele Typ-2-Diabetiker mit gleichzeitiger Osteoporose eine sinnvolle Therapieoption.

Ähnlich verhält es sich für die Substanzgruppe der DPP-4-Hemmer (Medikamente wie Januvia, Xelevia, Onglyza). Auch hier konnte eine Reduktion des Knochenbruchrisikos nachgewiesen werden.

Tab.2: Blutzuckersenkende Medikamente und Knochenbruchrisiko

Substanzklasse Knochenbruchrisiko (Details siehe Text)
Biguanide/Metformin neutral bis erniedrigt
Sulfonylharnstoffe erniedrigt
Glitazone erhöht
DPP-4-Hemmer neutral bis erniedrigt
GLP-1-Agonisten unterschiedliche ­Daten, erniedrigt und erhöht
SGLT-2-Hemmer erhöht

Kritischer ist der Einsatz der Sulfonylharnstoffe (u. a. Glibenclamid, Glimepirid): Studien zeigen zwar ein vermindertes Knochenbruchrisiko unter der Therapie – das Unterzuckerungsrisiko im Alltag mit einhergehender Sturzgefahr gerade älterer Menschen begrenzt den Einsatz der Substanzen jedoch sehr. Unter der Behandlung mit Glitazonen (Actos) findet sich nachweislich ein erhöhtes Frakturrisiko.

Die Daten zur Knochengesundheit der GLP-1-Agonisten (Medikamente wie Bydureon, Byetta, Victoza, Trulicity) sind nicht einheitlich. In Abhängigkeit von den untersuchten Substanzen sind sowohl eindrucksvolle Verringerungen wie auch Anstiege der Knochenbruchraten erhoben worden. Für eine endgültige Einschätzung bedarf es noch weiterer Studien.

SGLT-2-Hemmer (Jardiance, Forxiga, Invokana) sind am kürzesten auf dem Markt. Unter Behandlung mit Jardiance und Invokana (gibt es in Deutschland nicht mehr) konnte eine deutliche Reduktion von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewiesen werden, es kam aber zu mehr Knochenbrüchen. Der genaue Mechanismus ist noch nicht geklärt; auch Jardiance und Forxiga wird man also bei Patienten mit Osteoporose nur nach kritischer Risiko-Nutzen-Abwägung einsetzen (s. Tab. 2).

Auch Begleiterkrankungsmedikamente haben Einfluss auf Knochen

Der Diabetes kommt selten allein: Meist bestehen Begleiterkrankungen, die oft eine medikamentöse Therapie erforderlich machen; einige der Medikamente schwächen den Knochen oder erhöhen das Risiko für Knochenbrüche (s. Tab. 2). Wechselwirkungen der Medikamente untereinander können zudem die Nebenwirkungen verstärken.

Tab. 3: Sonstige Medikamente, die den Knochen schwächen oder das Knochenbruchrisiko erhöhen

  • Glukokortikoide (zur Entzündungshemmung)
  • Antidepressiva (bei Depressionen)
  • Heparine (zur Thrombosevorbeugung)
  • Antiepileptika (bei Anfallsleiden)
  • Protonenpumpenhemmer (bei Magenschmerzen)
  • Opiate (bei Schmerzen)
  • Sedativa (zur Beruhigung)
  • Schleifendiuretika (zur Entwässerung)

Für einige Blutdruckmedikamente (Thiaziddiuretika, ACE-Hemmer, Betablocker) ist eine positive Beeinflussung des Knochenstoffwechsels beschrieben. Natürlich gilt es, gemeinsam mit dem Arzt die Begleitmedikation im Auge zu behalten. Aber: Nur jeder fünfte Osteoporose-Patient in Deutschland erhält die bei Osteoporose erforderlichen Arzneimittel.

Das Fazit

Auch wenn bereits viele Medikamente, eingenommen werden, ist bei klarer Indikation eine zusätzliche Behandlung mit entsprechenden Medikamenten zur besseren Knochengesundheit nötig. Vorbeugung, Diagnostik und Therapie der Osteoporose richten sich auch bei Diabetikern nach den allgemeinen Empfehlungen. Diabetes mellitus und Osteoporose sind nicht isoliert zu betrachten. Diabetesfolgen an Augen und Nerven, begleitende Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Medikation tragen zum erhöhten Sturzrisiko bei.

Das Knochenbruchrisiko ist bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes erhöht. Typischerweise macht sich die Osteoporose oft erst durch Knochenbrüche bemerkbar. Wichtig ist also, frühzeitig weitere Risiken zu erfassen und sie konsequent zu behandeln.

Schwerpunkt: Diabetes und Osteoporose

von Dr. med. Meinolf Behrens
Arzt für Innere Medizin, Diabetologe DDG, Sport- und Ernährungsmedizin
Diabeteszentrum Minden
E-Mail: mb@diabetes-minden.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2018; 67 (2) Seite 27-29

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