Steht die hyperbare Sauerstoff-Therapie vor dem Aus?

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© Druckkammerzentrum Freiburg GmbH
Steht die hyperbare Sauerstoff-Therapie vor dem Aus?

In der Tagesordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) war es nur eine Randnotiz: Antrag des GKV-Spitzenverbands auf Bewertung der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) bei Diabetischem Fußsyndrom. Für die HBO kann es das Aus sein.

Ähnlich einem Tauchgang

Was ist “HBO”? Bei dieser Behandlungsmethode, die beim Diabetischen Fußsyndrom (DFS) eingesetzt wird, atmet der Patient in einer Druckkammer 100 % reinen Sauerstoff ein – das Ganze unter Überdruck und in einem genau definierten Zeitraum bzw. Zeitintervall.

Die Situation ist einem Tauchgang ähnlich: Unter Überdruck kann das Blut mehr Sauerstoff aufnehmen, wodurch auch die Gewebezellen viel mehr davon abbekommen. Durch dieses Verfahren können schlecht heilende, chronische Wunden besser abklingen. Weil das betroffene Gewebe mit Sauerstoff angereichert wird, lässt sich eine Verschlimmerung der Wunde verhindern.

Kassen zahlen Behandlung nur im Krankenhaus

Weltweit sprechen die meisten wissenschaftlichen Analysen für HBO. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bislang nur eine stationäre Versorgung beim DFS im Wagner-Stadium 3 und 4 erlaubt – wenn die Wunde z. B. schon gefährlich tief und infektiös ist; der Schweregrad des DFS wird in Wagner-Stadien eingeteilt: je höher der Schweregrad ist, desto höher ist das Stadium.

Jetzt kam Bewegung in die Sache: Der GKV-Spitzenverband, die Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland, hat im September 2013 die Bewertung der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) bei Diabetischem Fußsyndrom für die ambulante und für die stationäre Behandlung beantragt und der G-BA hat im Februar die Einleitung eines Beratungsverfahrens beschlossen.

GKV-Spitzenverband reagiert auf Gerichtsurteil

Anlass für den Antrag dürfte das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom Mai 2013 (BSG vom 07.05.2013, Az. B 1 KR 44/12 R) gewesen sein, erklärt Sabine Westermann vom Rechtsberatungsnetz des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB, www.diabetikerbund.de).

Das BSG hatte eine Krankenkasse (BKK Euregio) dazu verurteilt, die Kosten bei einer Diabetikerin mit Diabetischem Fußsyndrom für eine ambulant durchgeführte HBO zu übernehmen. Der Deutsche Diabetiker Bund begrüßte die Entscheidung. Geklagt hatte eine 53-jährige Diabetespatientin, die ein Diabetisches Fußsyndrom hat. Um eine Unterschenkelamputation zu vermeiden, unterzog sie sich 20 ambulanten HBOs in einem HBO-Zentrum. Die angefallenen Kosten in Höhe von rund 7.000 Euro wollte die beklagte Krankenkasse nicht zahlen.

Schon zuvor war die Klage in allen Instanzen trotz einer möglichen drohenden Amputation im Unterschenkelbereich der Klägerin abgewiesen worden. Die Gerichte beriefen sich jeweils auf den G-BA, der diese Therapieform nicht für den ambulanten Bereich empfohlen hat. Die Kostenübernahme war bisher nur im Rahmen einer stationären Behandlung möglich.

G-BA agiert “objektiv willkürlich”

Nach Auffassung des BSG hat der G-BA jedoch gegen höherrangiges Recht verstoßen, weil er objektiv willkürlich die HBO nicht auch für den ambulanten Bereich empfahl. Es seien keine Gründe ersichtlich, wieso die Methode nur stationär angewendet werden solle. Im Gegenteil drohe sogar eine mit dem Qualitätsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung unvereinbare Therapielücke für Diabetiker, so das BSG.

Methodenbewertung wahrscheinlich

Der Antrag des GKV-Spitzenverbands hat im Februar jedenfalls die erste Hürde genommen: Die Einleitung des Beratungsverfahrens ist beschlossene Sache. Diesen Beratungen dürfte bald eine Methodenbewertung folgen – davon gehen Experten aus. Sie befürchten auch, dass sich die Kostenübernahme der HBO noch schwieriger gestalten bzw. ganz entfallen wird.

So geht die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) davon aus, dass die Therapie künftig weder im niedergelassenen Bereich noch im Krankenhaus von den Krankenkassen übernommen wird.

Deutsche Krankenhausgesellschaft: große Sorge um HBO

“Ich habe große Sorge, dass die HBO am Ende weder weiterhin im Krankenhaus noch im ambulanten Bereich überhaupt zugelassen wird”, sagte Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG beim G-BA-Pressegespräch in Berlin, bei dem die wichtigsten Beschlüsse der öffentlichen Sitzung des Bundesausschusses vom Morgen der Presse vorgelegt wurden:. “Es geht immer wieder darum, Leistungen auszuschließen.”

Ähnliches vermutet auch Sabine Westermann und ergänzt: “Der Antrag des GKV-Spitzenverbandes benennt mehrere Studien, die eher zuungunsten der HBO ausgefallen sind.” Der DDB werde aber “alle Möglichkeiten ausschöpfen, um weitere Einschränkungen in der Versorgung zu verhindern”, erklärt sie.

Für Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom sieht die Rechtsanwältin eindeutige Vorteile der HBO: die Vermeidung von Amputation, Rehabilitation, Erwerbsunfähigkeit und/oder Pflegebedürftigkeit. Westermann: “Nicht vergessen werden darf, dass gerade die Folgekosten für eine Amputation sehr viel höher sind als die Kosten für die HBO.”

G-BA könnte Methode empfehlen …

Dabei könnte der G-BA die Behandlungsmethode, zumindest theoretisch, auch für den ambulanten Bereich empfehlen, weiß Westermann. Denn im Jahr 2008 hätte der Bundesausschuss ja auch beschlossen, dass die HBO bei bestimmten Indikationen in der stationären Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen vorgenommen werden könne. “Dass dies zu völlig absurden Ergebnissen in der Versorgungsrealität führt, zeigt auch der Fall, der letztendlich vom BSG entschieden wurde”, erklärt sie.

Wer als Diabetespatient eine HBO bekommen will, muss die Therapie zunächst beantragen. Er sollte auf das BSG-Urteil hinweisen, empfiehlt die Rechtsanwältin. Lehnt die Kasse dann ab, muss der Patient die Therapie vorfinanzieren und kann die Kostenerstattung später im Widerspruchs- oder Klageverfahren beantragen.

DDG-Vertreter sprechen sich für Erhalt aus

Prof. Dr. Ralf Lobmann aus Stuttgart, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), und Prof. Dr. Andreas Fritsche, Sprecher der DDG, halten die HBO für sinnvoll, wenn sie sich im Rahmen der strengen Indikationsstellung bewegt: Sie kommt bei Patienten mit schwerer, begleitender peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) zur Anwendung, also in den Stadien nach Wagner/Armstrong 3 und höher, bei denen alle klassischen Verfahren der Gefäßtherapie (PTA, das Standardverfahren zur Behandlung von arteriellen Gefäßproblemen, oder Bypass) erfolglos oder nicht mehr möglich sind.

Beide Diabetes-Experten raten Patienten, die ein DFS haben, sich in eine von der DDG zertifizierte Fußambulanz zu begeben, um alle Möglichkeiten der Fußbehandlung ausschöpfen zu können und eine eventuell drohende Amputation durch kompetentes Wundmanagement zu verhindern. Lobmann: “Die HBO sollte nur von Experten durchgeführt werden.”

Sauerstofftherapie hilft beim Diabetischen Fußsyndrom
Der GKV-Spitzenverband hat mit Schreiben vom 25. September 2013 die Bewertung der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) bei Diabetischem Fußsyndrom für die vertragsärztliche, also für die ambulante, sowie für die Versorgung im Krankenhaus beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beantragt.

Sauerstoff wird eingeatmet

Bei der HBO atmet der Patient 100-prozentigen Sauerstoff bei erhöhtem Umgebungsdruck ein. Mit dieser Methode, die bei Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom (schlecht bzw. nicht heilende Wunden am Unterschenkel oder Fuß) eingesetzt wird, kommt es zu einer besseren Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff. Dadurch können der Fuß besser heilen und eine Amputation vermieden, verzögert oder deren Ausmaß reduziert werden, beschreibt der G-BA die moderne Methode selbst in seiner Tagesordnung.

Das Plenum des Bundesausschusses hat im Februar den Antrag des GKV-Spitzenverbands angenommen und das Beratungsverfahren eingeleitet. “Es ist der Auftakt zu den Beratungen, aber noch nicht das Go für die Methodenbewertung”, erklärte Dr. Regina Klakow-Franck, Vorsitzende des Unterausschusses ASV (ambulante spezialfachärztliche Versorgung), beim G-BA-Pressegespräch in Berlin.

Nähere Informationen zum Zeitfenster der Beratungen und einer möglichen Methodenbewertung könnten aufgrund des frühen Zeitpunkts des Verfahrens noch nicht gegeben werden, so die Vorsitzende.


von Angela Monecke

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0,
Fax: (0 61 31) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (4) Seite 46-48

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