Stine mogelt manchmal im Protokollheft – was tun?

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Stine mogelt manchmal im Protokollheft – was tun?

Das “Diabetes-Eltern-Journal” beantwortet Ihnen in jeder Ausgabe medizinische Fragen aus unterschiedlichster Perspektive. Besonder wichtig für Eltern von Kindern mit Diabetes sind daneben Fragen vor psychosozialem Hintergrund. Alle Fragen werden von ausgewiesenen Experten beantwortet.

Frau K.:
Unsere Tochter Stine ist mit ihren neun Jahren schon sehr selbstständig, auch im Umgang mit ihrem Diabetes. Er wurde vor zwei Jahren erkannt und wird seitdem mit einer intensivierten Therapie (Pens) behandelt. Stine protokolliert ihre Werte selbst – und ich dachte, auch verlässlich.

Gestern habe ich mir zufällig die Daten in Stines Messgerät angesehen und war geschockt. Sie waren längst nicht so gut wie die Werte, die Stine in ihr Protokollheft geschrieben hatte. Als ich sie zur Rede stellte, wurde sie zunächst aggressiv. Jetzt zieht sie sich zurück und sagt, dass sie den Diabetes hasst.


Prof. Lange: So, wie Sie Ihre Tochter schildern, ist Stine schon sehr selbstständig und ehrgeizig. Darauf sind Sie alle – Eltern und Kind – wahrscheinlich sehr stolz. Gleichzeitig ist ein neunjähriges Kind wie Ihre Tochter geistig noch vollkommen überfordert, wenn es seine Insulintherapie verantwortlich steuern soll.

Wenn ein Kind nun einerseits den Anspruch an sich hat, den Diabetes selbst gut zu meistern und dafür Anerkennung von den Eltern zu bekommen, andererseits viel zu hohe und schwankende Werte misst, ist es in einer Zwickmühle: Gibt es die schlechten Werte ehrlich zu, dann sind die Eltern enttäuscht und besorgt, lässt es dagegen ein paar hohe Werte weg, sind alle zufrieden – außer: Jemand schaut ausnahmsweise nach. Stine hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden.

Was können nun Sie als Eltern tun, um Stine den Umgang mit ihrem Diabetes zu erleichtern?

  1. Sagen Sie Stine, dass Sie ihr Mogeln bei den Werten verstehen können (d. h. aber nicht gutheißen). Man gibt sich Mühe, will alles gut machen, und die Werte machen, was sie wollen. Da möchte man doch gar nicht mehr daran erinnert werden. Das geht nicht nur Kindern so, sondern auch Erwachsenen, wenn sie Ausreden für alles Mögliche erfinden.
  2. Sagen Sie Ihrer Tochter, dass der Diabetes nach dem ersten Jahr jetzt mehr schwankt. Dies hat nicht immer damit zu tun, dass Stine etwas “falsch” gemacht hat. Wichtig ist jetzt, dass genau die viel zu hohen oder zu niedrigen Messwerte ehrlich aufgeschrieben werden. Diese Werte sind nötig, damit Eltern und Ärzte den Kindern sagen können, wie viel Insulin sie brauchen. Das gelingt nicht immer und nicht sofort, aber es wird mit der Zeit immer etwas besser.
  3. Verabreden Sie mit Stine, dass sie versuchen soll, alle Messwerte ohne schlechtes Gewissen aufzuschreiben und jeden Tag mit Ihnen zu besprechen. Wenn das Protokoll über eine Woche vollständig und ehrlich ist, gibt es eine Belohnung. Sie als Eltern versprechen, bei hohen Werten nicht gleich “loszumeckern”.
  4. Bitte überlegen Sie, was ein Kind mit neun Jahren wirklich schon verantworten kann. Wenn es in der Schule an die Pausenmahlzeiten denkt, sich nach Absprache mit den Eltern ggf. auch noch Insulin spritzt, beim Sport an Extra-KE denkt und auf Hypoanzeichen achtet, ist das schon die Obergrenze. Alle weiteren Aufgaben, vor allem die Insulindosierung und deren Überprüfung, liegen in der Verantwortung der Eltern. Hier sollten Sie den Ehrgeiz ihrer Tochter eher auf andere altersgemäße Aktivitäten lenken, z. B. Hobbies, Sport, Kreativität oder Lieblingsfächer in der Schule.
  5. Bitte bedenken Sie, dass Sie für den Umgang mit dem Diabetes im Moment das wichtigste Vorbild für Stine sind. Je konsequenter und ruhiger Sie mit den Anforderungen des Diabetes im Alltag umgehen, umso eher wird es auch Ihrer Tochter gelingen, ihren Hass auf den Diabetes zu verlieren. Denn der hat vor allem mit (Selbst-)Überforderung, Enttäuschung und Scham zu tun.
Die Blutzuckerselbstkontrolle …
… ist eine der größten Errungenschaften in der Geschichte der Diabetestherapie: Sie ermöglicht eine bessere Stoffwechseleinstellung; und sie ermöglicht den Betroffenen, die Diabetesbehandlung an ihre Lebensgewohnheiten anzupassen. Aber sie ist nur dann wirkungsvoll, wenn sie gut dokumentiert wird.
Nachgefragt – Schreiben Sie an

Prof. Dr. Karin Lange (Dipl.-Psych.): Lange.Karin@MH-Hannover.de

Dr. Wolfgang von Schütz: schuetz@hka.de

Oder an: Diabetes-Eltern-Journal, Kirchheim Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, E-Mail: nuber@kirchheim-verlag.de


von Prof. Dr. Karin Lange
Diplom-Psychologin, Leiterin Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover

Kontakt:
E-Mail: Lange.Karin@MH-Hannover.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (2) Seite 28-29

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