Stress lass nach!

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Stress lass nach!

Wie Stress entsteht und welche Folgen er haben kann, schilderte Prof. Lange im ersten Teil der Artikelserie. Im zweiten Teil geht es darum, wie Sie persönliche Stresskomponenten erkenn und was Sie dagegen tun können.

Wichtiges aus dem 1. Teil
  • Der Diabetes eines Kindes fordert Eltern sehr, Folge kann eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sein.
  • Wichtig ist es, Schuldgefühle auszuräumen. Um den Dauerstress abbauen zu können, sollten persönliche Stresskomponenten analysiert werden.

Schauen Sie sich genau an, wodurch bei Ihnen im Alltag Stress entsteht – und versuchen Sie dann, diese Stressoren zu analysieren und abzubauen.

Stressoren verringern

Unter Stressoren werden die Anforderungen verstanden, die von außen gestellt werden, also z. B. Zeitdruck, viele Aufgaben gleichzeitig. Um den Stress im Alltag mit einem Kind mit Diabetes zu reduzieren, gibt es verschiedene Ansatzpunkte:

  • Schaffen Sie Routinen im Tagesablauf, stellen Sie z. B. morgens alle Dinge zusammen, die für den Diabetes erforderlich sind.
  • Bieten Sie regelmäßige Mahlzeiten an und verzichten Sie auf zu viele unüberschaubare Zwischenmahlzeiten.
  • Strukturierte Blutzuckermessungen zu sinnvollen Zeitpunkten sind besser, als aus Sorge zu häufig zu testen, z. B. direkt nach den Hauptmahlzeiten.
  • Lassen Sie sich durch Ihr Diabetesteam so gut schulen, dass Sie das Insulin sicher dosieren können.
  • Informieren Sie sich, wie häufig schwere Hypoglykämien vorkommen und wie gefährlich sie für kleine Kinder sind. Die Gefahren einer Hypoglykämie werden meist gegenüber anderen Gefahren – z. B. durch Haushaltsunfälle oder im Verkehr – erheblich überschätzt. Die Angst vor Hypos darf kein Grund für elterlichen Schlafmangel sein.
  • Kinder mit Diabetes haben wie alle Kinder ein Recht darauf, zu lernen, wie Regeln eingehalten werden. Selbstverständlich reagieren sie mit Trotz oder Tränen, wenn nicht alles wunschgemäß passiert. Auf Dauer tun sich Kinder und Eltern sehr viel leichter, wenn ein Nein und damit notwendige Grenzen akzeptiert werden. Inzwischen gibt es bundesweit Erziehungstrainings für Eltern, z. B. das Triple P-Programm zum Aufbau einer positiven Eltern-Kind-Beziehung. An einigen Diabeteszentren wurde ein solches Konzept auch speziell auf den Diabetes zugeschnitten (z. B. das Delfin-Programm).
  • Selbst wenn das Spritzen oder Kathetersetzen Eltern oft “mehr wehtut” als den kleinen Kindern, die sich der Prozedur mit aller Kraft widersetzen, sollte dies zu keinen stundenlangen Diskussionen führen. Auch hier können sich Eltern in Schulungskursen oder Elterngruppen Rat holen.
  • Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr für den Diabetes eines Kindes verantwortlich zu sein, überfordert jede(n). Deshalb müssen beide Eltern und wenn irgend möglich auch andere Erwachsene die Behandlung durchführen können. Gerade Eltern chronisch kranker Kinder haben die Pflicht, sich zu erholen und auf ihre eigene Gesundheit zu achten. Deshalb sollten Sie sich nicht scheuen, Großeltern, Freunde oder Babysitter einzubeziehen.
  • Manchmal wird die eine oder andere Therapieform als das Nonplusultra für ein Kind mit Diabetes dargestellt. Man scheut sich fast, es zu sagen, wenn man nicht zur Masse gehört und noch keine oder schon so früh eine Pumpe hat. Entscheiden Sie mit Ihrem Diabetesteam, welche Therapieform Ihr Kind im Moment am besten toleriert und Ihnen am wenigsten Stress bereitet. Das kann sich im Laufe der Zeit immer mal wieder ändern.
  • Überprüfen Sie Ihr Zeitmanagement: Jedem Menschen stehen genau 168 Stunden pro Woche zur Verfügung – es gibt keinen Vorschuss und keinen Kredit für Zeit. Wieviel Zeit verbringen Sie im Beruf, mit Haushaltstätigkeiten, mit den Kindern, beim Sport, mit Freunden? Und wo verstecken sich die Zeitfresser? Ist es der Fernseher, das Internet oder sind es Menschen, die immer wieder viel zu viel Zeit von Ihnen verlangen? Wo können Sie Überflüssiges durch Angenehmes ersetzten?
  • Trotz aller guten Planung kann es für alle Familien einmal zu viel werden, wenn eine Krankheit oder besondere Anforderungen hinzukommen. Dann sollten Sie sich nicht scheuen, Ihr Diabetesteam nach Hilfen zu fragen. Es gibt die ambulante Kinderkrankenpflege und verschiedene andere soziale Hilfen, über die Sie die Sozialarbeiter informieren können.

Persönliche Stressverstärker hinterfragen

Die wichtigsten persönlichen Stressverstärker sind unsere Gedanken, die wir mit den Aufgaben verbinden. Oft sind sie uns kaum noch bewusst: “Ich muss als Mutter immer für mein Kind da sein!”, “Das HbA1c darf nicht über sieben Prozent ansteigen.”, “Gerade als Alleinerziehende muss ich mein Kind ohne Konflikte gut aufwachsen lassen.”, “Ich kann doch nicht andere mit meinen Sorgen behelligen.” – und so weiter. Welche Gedanken begleiten Sie in Ihrem Alltag? Wie können Sie diese Stressverstärker reduzieren?

  • Überprüfen Sie Ihre automatischen Gedanken und passen Sie diese an die Wirklichkeit an.
  • Verabschieden Sie sich vom Perfektionismus, es kann nicht alles zu 100 Prozent gelingen – und es ist auch nicht nötig: Der Blutzucker bei Diabetes schwankt, selbst bei sehr erfahrenen Patienten – sonst wäre es kein Diabetes.
  • Überprüfen Sie Ihre Befürchtungen, z. B. vor Hypoglykämien und Folgeerkrankungen. Dabei helfen Gespräche mit dem Diabetesteam und qualifizierte, aktuelle Literatur.
  • Entwickeln Sie eine berechtigt optimistische Haltung zur Zukunft Ihres Kindes. Die gute medizinische Versorgung in Europa und ihr elterliches Engagement sind die beste Grundlage.
  • Behalten Sie Ihren Sinn für Humor, selbst wenn der Diabetes den Alltag kompliziert macht. Witzige und ungewöhnliche Ideen – Kinder sind dafür Spezialisten – können vieles entschärfen.
  • Setzen Sie sich realistische Ziele. Das schützt vor Selbstzweifeln. Ein Jugendlicher mitten in der Pubertät hat eben geringere Chancen auf einen HbA1c-Wert unter sieben Prozent – selbst mit perfekten Eltern. Er muss Schritt für Schritt lernen, Verantwortung zu übernehmen, und das braucht Zeit und Eltern, die ihn geduldig unterstützen, ohne ihn ständig zu reglementieren.
  • Erlauben Sie sich und Ihrem Kind, schöne Phasen richtig zu genießen, ohne dabei ständig den Blutzucker im Hinterkopf zu haben. Die notwendige Therapie findet statt, sie ist aber nicht ständig Thema.

Körperliche Stressreaktion reduzieren

Die typischen körperlichen Stressreaktionen sind biologisch sinnvoll, um in einer bedrohlichen Situation zu kämpfen oder zu fliehen. In unserer heutigen Welt ist in den meisten Fällen jedoch weder das eine noch das andere hilfreich. Dadurch, dass wir meist eher passiv reagieren, werden die Stresshormone, insbesondere das Kortisol, nicht angemessen abgebaut. Auf Dauer führt dies zu einer gedrückten Stimmung, zu Konzentrationsschwierigkeiten, geringem Antrieb und vielen körperlichen Beschwerden, z. B. Bluthochdruck, Schmerzen und Infektanfälligkeit.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um die körperliche Stressreaktion zu vermindern:

  • Körperliche Anstrengung führt zum Abbau der Stresshormone. Ins Schwitzen bringt Sie Ihr Lieblingssport, ebenso die Arbeit im Garten, die Radtour etc.
  • Entspannungstechniken wie die Progressive Muskelrelaxation (PMR), das Autogene Training oder besondere Atemtechniken können ebenfalls helfen, mehr Ruhe zu finden. Zur PMR gibt es in Büchern und im Netz Anleitungen, auch bieten Krankenkassen und Volkshochschulen Kurse an.
  • Ausreichend Schlaf ist die Voraussetzung für einen ausgeglichenen Tag und gute geistige Leistungs- und Lernfähigkeit. Eltern und Kinder mit Diabetes sollten daher möglichst ungestört durchschlafen können.
  • Ungeeignet sind dagegen alle Beruhigungsmittel wie Nikotin oder Alkohol, die den Organismus zusätzlich belasten. Noch kritischer zu sehen sind viele Medikamente zur Beruhigung, die sehr schnell abhängig machen können. Sie sollten immer mit dem behandelnden Arzt abgestimmt und kritisch erwogen werden.
  • Gelingt es über eine längere Frist nicht, wieder zur Ruhe zu kommen und sich zu erholen, sollten sich Betroffene nicht scheuen, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oft können die Diabetesteams überforderten Eltern mit Adressen vor Ort helfen, viele qualifizierte Informationen und Adressen finden sich auch unter www.
    kompetenznetz-depression.de
    .

Unbestreitbar bedeutet Diabetes eine zusätzliche Belastung für Eltern und Kinder. Der zusätzliche Stress sollte aber nicht dazu führen, dass die Lebensfreude aller Familienmitglieder beeinträchtigt wird. Wenn Selbsthilfe, der Austausch mit anderen, nicht weiterhilft, haben alle Familien auch hier ein Recht auf Unterstützung.

Fazit

Hat ein Kind Diabetes, ist das für Familien eine zusätzliche Herausforderung. Entsteht dadurch allerdings dauerhaft Stress, sollten die Eltern genau hinschauen, persönliche Stressverstärker hinterfragen und Wege finden, den Stress zu reduzieren. Wer allein nicht weiterkommt, hat im Diabetesteam seines Kindes einen ersten kompetenten Ansprechpartner.


von Prof. Dr. Karin Lange
stv. Chefredakteurin des Diabetes-Eltern-Journals, Diplom-Psychologin, Leiterin Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover

Kontakt:
E-Mail: Lange.Karin@MH-Hannover.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2013; 6 (1) Seite 14-16

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