Teil der TDM: Kleingärten

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Teil der TDM: Kleingärten

Über vier Millionen Kleingärtner erzeugen in Deutschland gesundes Obst und Gemüse. Liefern so einen wichtigen Beitrag zu einer präventiven Gesundheit.

Der Aufstieg der Kleingärten hängt stark mit der Industrialisierung zusammen. Um 1850 wandelt sich das Land dramatisch: Lebte bis dahin ein Großteil der Bevölkerung in und von der Landwirtschaft, setzt nun ein massiver Zug in neu entstehende Städte ein, etwa im Ruhrgebiet oder in Berlin. Aber es handelt sich um hastig hingestellte Mietskasernen mit meist mangelhaften hygienischen Standards, wenig Licht und Luft sowie mangelhafter Ernährung.

Es waren himmelschreiende Zustände, welche Marx und Engels das „Kommunistische Manifest“ schreiben ließen. Es waren aber auch die Zeiten, wo eine vielfältige Bewegung für Kleingärten entstand, um dem Elend mit praktischer Arbeit in der Natur und selbst erzeugten, gesunden Produkten zu begegnen. Ganz unterschiedliche Quellen speisten den Aufbruch ins Grüne: Von Kommunen und Landesherren angelegte Armengärten, Gärten der Naturheilbewegung, Schrebervereine, Berliner Laubenkolonisten, Arbeitergärten und Gärten für Betriebsangehörige, vor allem der Eisenbahnen, weshalb bis heute an den Bahnanlagen noch viele Gärten zu finden sind. Aus all diesen Initiativen entstand 1921 der Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands, aus dem sich der heutige Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG) entwickelte.

Ausdruck einer langen Tradition: Vereinsfahne

Erstaunlich: Trotz zweier Weltkriege, trotz der Nazizeit, wo die Gärten für die „Ernährungsschlacht“ instrumentalisiert wurden, trotz der Bauwut der letzten Jahre, wo die Städte immer wieder begehrliche Blicke auf diese zentrumsnahen Flächen werfen, sind die Kleingärten eine starke Bewegung geblieben. So listet der BDG rund eine Million Pächter und über vier Millionen Kleingärtner auf. Sie bewirtschaften in über 15 000 Vereinen eine Fläche von rund 500 Quadratkilometern, was etwa dem Stadtgebiet von Köln entspricht. Meist bei Großstädten liegen die Gärten, wobei zahlenmäßig Berlin, Leipzig und Hamburg an der Spitze stehen. Sicher ganz stark geholfen für den Erhalt dieser Vielfalt hat das Bundeskleingartengesetz, das die Verpachtung der meist städtischen Flächen regelt. Wobei es übrigens auch im Ausland, vor allem etwa in Polen, solche Gärten gibt.

Hat Freude am Gärtnern: Horst Brochhagen

Abstrakte Zahlen. Was sie in der Gartenpraxis bedeuten, lasse ich mir von Horst Brochhagen erläutern. Der 73-jährige ist der Vorstandsvorsitzende im Kleingärtnerverein Dellbrück, einem gediegenen Vorort im Osten von Köln. 220 Parzellen, verteilt auf neun Anlagen, gehören zu dem Verein. Er zeigt mir die Anlage Thurner Hof, wo er seit über 30 Jahren mit seiner Frau einen Garten bewirtschaftet. Ein klassischer Gärtner ist er, der hier wie schon sein Vater Kartoffeln, Bohnen, Erbsen, Möhren, Lauch, Salat und Zwiebeln und Beeren anbaut. Übers Jahr gerechnet, kann er damit seinen Gemüsebedarf für rund fünf Tage in der Woche decken – auch weil vieles eingemacht und eingefroren wird.

Gedüngt wird mit getrocknetem Kuhmist und eigens angebautem Klee, der im Frühjahr untergegraben wird. Gespritzt wird nicht, außer vielleicht ein wenig gegen die Schnecken, wenn im Frühjahr die Möhren gepflanzt sind. In Zisternen wird das Wasser aufgefangen, womit gegossen wird, eine ideale Kreislaufwirtschaft. Damit arbeitet er, wie praktisch alle Kleingärtner, sehr naturnah – an sich ist das für mich sogar ökologisch, ohne dass es groß an die Glocke gehängt wird. Eine kleine Laube steht auf dem Grundstück, wo es auch eine Rasenfläche und einen Grillplatz gibt. Arbeit macht so ein Garten, auf zwei Stunden pro Tag kommt er umgerechnet. Ein Faktum, was viele unterschätzen. Dafür sind die Kosten auch übersichtlich. Rund 250 Euro zahlt Horst Brochhagen für seine 300 Quadratmeter im Jahr. Eine Summe, die einigermaßen repräsentativ ist – und wenn ein Garten übergeben wird, kommen oft auch noch Abstandszahlungen hinzu.

Hier wächst der Dünger: Klee

Wir laufen durch die Anlage und ich erfahre, dass die maximale Parzellengröße bei 400 Quadratmetern liegt, und dass inzwischen wieder erfreulich viele Familien einen Garten pachten wollen, damit die Kinder lernen, dass „das Gemüse nicht bei REWE wächst“. Konflikte gibt es erstaunlich wenige – und wenn, dann geht es meist um das vorgeschriebene ein Drittel Nutzfläche, was manche lieber mit Rasen und Hollywoodschaukeln bestücken würden. Denn wie gesagt, ein Garten macht Arbeit. Aber Horst Brochhagen ist als ehemaliger Verwaltungsmann prädestiniert für seine Aufgabe: Er hat einen festen Standpunkt, und er kann diplomatisch vermitteln, etwa zwischen Älteren und Jüngeren, deren Kinder auch schon mal lauter sind. Aber das gehört auch zur Gartentradition: Soziale Kommunikation einüben.

Begeistert bin ich zum Schluss von einem Garten, der auch jetzt Ende September noch ein einziges Blumen- und Gemüseparadies ist. Hinter prächtigen Blumen sehe ich perfekte Gemüsebeete mit kraftstrotzendem Fenchel und allen Früchten des Herbstes. „Der gehört zwei 80-Jährigen“, erläutert sichtbar stolz Horst Brochhagen. Was lernen wir daraus: Gärtnern geht bis ins hohe Alter – und das selbst Erzeugte wirkt wohl wie ein Jungbrunnen.

Hinter Hibiscus wartet das Paradies: Paradegarten

TDM Traditionelle Deutsche Medizin heißt mein neues Buch, das demnächst erscheint. Natürlich gibt es darin auch ein Kapitel über Kleingärten, denn sie bilden einen starken Kern der immer wichtigeren präventiven Medizin – und zwar aus fünf Gründen:

Machen fünffach gesund: Kleingärten

Wird viel zu wenig gewürdigt: Heilende Kraft unserer Natur.

Vitales Gemüse
In den Kleingärten wird überwiegend naturnah gearbeitet. Es wird kaum gespritzt, chemisch gedüngt. Auch werden meist heimische Sorten angepflanzt, und es wird geerntet, wenn Beeren, Obst und Gemüse reif sind, also den optimalen Vitalgehalt haben. Auch essen die Menschen so automatisch mehr Gemüse.

Tüchtige Bewegung
Gärtnern heißt arbeiten – und das nicht zu knapp: Einige Stunden pro Woche kommen schon zusammen, um alles in Schuss zu halten. Aber das ist genau die von den Ärzten geforderte „regelmäßige Bewegung“. Wobei hier noch ein weiterer bewegender Anreiz lockt: Frische Produkte.

Bessere Luft
Gleich auf zweifache Weise: Häufig liegen die Gärten in den so wichtigen Frischluftschneisen der immer überhitzteren Großstädte. Auch binden die oft großen Anlagen den tückischen Feinstaub – und die Temperatur ist gerade im Sommer angenehmer, die Luft viel besser. Außer wenn zu viel gegrillt wird.

Glückliche Bienen
Alle wissen, wie wichtig die Bienen mit ihrer Bestäubungsleistung für ein funktionierendes Ökosystem mit gesunden Pflanzen sind. Aber kaum jemand verschafft den Honiglieferanten Nahrungsplätze. Die Kleingärten verwöhnen hier mit einzigartigen, paradiesischen Lebensbedingungen.

Blühende Pflanzen
In den Vorgärten der Häuslebauer wütet die „Steinepest“. Immer mehr wird zubetoniert. Auch die industrielle Landwirtschaft mit ihren Monokulturen vernichtet jeden Artenreichtum. Aber nichts hellt die Stimmung so auf wie der Anblick blühender Landschaften. Also: Auf ins beruhigende Reich der Kleingärten!

Fazit: Die kleinen Gärten leisten einen großen Beitrag zur Präventivmedizin. Heißt: Hände weg von den Kleingärten als Manövriermasse für Bauvorhaben.

Frischer geht´s nicht: Lauch vom eigenen Acker

Eine Reise wert: Kleingärtnermuseum in Leipzig

Eine der Wiegen der deutschen Kleingartenbewegung liegt in Leipzig. Hier befindet sich folgerichtig auch ein liebevoll gemachtes und höchst empfehlenswertes Museum in der erstaunlich grünen sächsischen Stadt, die ein Paradies für Radfahrer ist. Doch bevor wir zum Museumsrundgang aufbrechen, gilt es ein Paradoxon zu klären:

Hatte nie einen Schrebergarten: Dr. Schreber

Als Synonym für Kleingärten gelten vielfach die Schrebergärten. Das geht auf den Leipziger Arzt und Hochschullehrer Dr. Moritz Schreber zurück, dessen medizinisches Wirken zwiespältig war: So zwang er als Leiter einer orthopädischen Anstalt mit heute sicher als grenzwertig erachteten Methoden die jungen Menschen zu einem aufrechten Gang. Auf der anderen Seite kämpfte er in seinen vielen Schriften für die Gesundheit der Kinder unter den rigiden Bedingungen der Industrialisierung – und empfahl die Arbeit im Grünen in eigens dafür angelegten „Specialgärten“.

Zu seinen Lebzeiten war ihm die Anlage solcher Gärten allerdings nicht vergönnt. Erst 1864, drei Jahre nach seinem Tod, wurde in Leipzig von dem Schuldirektor Ernst Hauschild in Würdigung seines Wirkens der erste Schreberverein gegründet – aus dem dann einige Jahre später abgezäunte Gärten für Familien entstanden. Zweck dieser Gärten: Regelmäßige Bewegung und gesunde Lebensweise, also ganz im Sinne von Dr. Schreber.

Zentrum des Museums: Heim des Schrebervereins

Idyllisch inmitten von Leipzig liegt das Kleingärtnermuseum, dessen authentisches Zentrum das Vereinsheim des ersten Schrebervereins von 1864 ist. In mehreren Räumen werden einzigartige Dokumente aus der wechselvollen Geschichte dieser Gärten gezeigt; werden sorgfältig rekonstruierte Gartenlauben ausgestellt; werden Reklameschilder vorgeführt, die dokumentieren, was für eine wichtige Zielgruppe die gerne mal als Laubenpieper verspotteten Naturschützer waren.

Pillen schlucken statt Pflanzen hegen Besonders spannend finde ich die ausliegenden Broschüren, die von den vielen Kämpfen um die begehrten Flächen berichten. Denn selten wurden Parzellen freiwillig von den Besitzern herausgerückt – und auch viele Städte wollten die Grundstücke lieber lukrativ verwerten, statt sie den Kleingärtnern zu überlassen. Kopfschüttelnd habe ich auch gelesen, welche Attacken Teile der etablierten Ärzteschaft gegen die vermeintliche Konkurrenz aus der Natur geritten haben; wie sie teilweise schon um 1890 mit Erfolg verhindert haben, dass Lehrer über die Vorteile einer naturnahen Lebensweise unterrichten. Pillen schlucken statt Pflanzen hegen stand halt in der etablierten Medizin schon immer hoch im Kurs.

Mann des Geistes, gärtnernd: Dr. Heinrich Brockhaus

Genug der kritischen Gedanken, heraus ins Grüne. Das lohnt sich, denn es locken gleich mehrere Attraktionen: So gibt es einen Museumsgarten, der sich in seiner Anlage an eine Gestaltung um 1900 herum anlehnt; so steht hier noch eine weitgehend erhaltene, um 1880 erbaute Laube; auch erlauben sorgfältig gestaltete Schilder einen Blick auf die damaligen Besitzer – und es fällt auf, dass sich schon in früheren Zeiten auch die besseren Kreise gerne in den Gärten niederließen. So sind die kleinen Gärten immer auch ein Spiegel der Gesellschaft.

Kleinode sind vier rekonstruierte Lauben – wobei mir die „Kirschbaum-Laube“ von 1924 am besten gefällt. Sie wurde im Eigenbau in Chemnitz gefertigt, und es bedurfte dafür einer Sondergenehmigung, denn der Dachboden war als Schlafraum vorgesehen. Das kündet von einem bis heute subtil ausgetragenen Kampf, nämlich die Parzellen wenigstens teilweise mit bewohnbaren Gebäuden auszustatten. Immer wieder ist das in einzelnen Fällen gelungen, aber die Regel sollte es meiner Meinung nicht sein. Im Vordergrund hat die Erzeugung von Eigenem und die Ruhe in der Natur zu stehen.

So schön kann das Gartenglück sein: „Kirschbaum-Laube“

Auch in der DDR gab es eine mächtige Kleingartenbewegung, der über 1,5 Millionen Menschen angehörten. Die Obrigkeit hatte ein wohlgefälliges Auge auf diese Gärten, leisteten sie doch einen wichtigen Beitrag zur Versorgung mit Obst und Gemüse, weshalb der Verkauf der Erträge auch staatlich organisiert war. An diese Zeit erinnert ein eigens eingerichteter Garten mit einer Laube, die von der geschickten Improvisationskunst im damaligen Osten kündet. Auch kündet der Garten davon, dass manche Wünsche wohl universell sind. Denn auch in dieser Anlage steht eine der so geschätzten Schaukeln aus der amerikanischen Glitzermetropole.

War auch im DDR-Garten beliebt: Hollywood-Schaukel

Gestern so wertvoll wie heute: „Alte Goldene Gartenregeln“

Aus einem Lehrbuch von 1908 stammen diese auf einer Tafel zu lesenden „goldenen Gartenregeln“. Sie sind heute noch genau so gültig!

Karge nicht beim Nötigen.
Gute Obstbäume, Pflanzen und Samen sind trotz ihrer Kostspieligkeit die billigsten. Billiger Schund ist das Teuerste!

Suche Deinen Boden unermüdlich zu verbessern.
Alter Mist schlägt alle Chemikalien. Richtig gegraben, gehackt, ist halb gedüngt. Ein Zauberstab liegt im Wasser.

Achte auf Dein Klima, Deinen Boden.
Was in London, Paris oder anderswo gedeiht, paßt deshalb noch nicht für Dich: bewährtes Örtliches ist meist besser.

Hat auch im Winter geöffnet: Kleingärtnermuseum


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Website: www.lauber-methode.de

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