Warnsignale und Hilfen

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Warnsignale und Hilfen

Essen ist für alle Menschen von elementarer Bedeutung – egal ob Kind, Jugendlicher oder Erwachsener, mit Diabetes oder ohne. Dabei geht es nicht nur darum, dem Körper Nährstoffe zuzuführen, wir essen auch aus sozialen oder stimmungsabhängigen Gründen. Welches Verhalten ist noch normal, welches deutet auf eine Essstörung hin? Wann sollten bei Eltern die Alarmglocken schrillen?

Ganz normal oder schon verdächtig?

Julia ist 14, sie liebt Hip-Hop, ist meistens genervt von der Schule, findet, dass ihre Eltern zu streng sind, verbringt viel Zeit am Handy, hält sich für etwas zu moppelig und hätte gerne eine Modelfigur: eine ganz normale 14-Jährige. Ach ja, und sie hat Typ-1-Diabetes.

Natürlich hat sie sich mit ihren Freundinnen schon mal darüber ausgetauscht, welche Möglichkeiten es gibt, ein paar Pfund abzunehmen. Richtig gut funktioniert hat das nicht. Wenn Julia mal zu viel gegessen hat, gibt sie sich einfach weniger Insulin als nötig – so stellt sie sicher, dass sie nicht zunimmt. Hat Julia eine Essstörung?

Essstörungen entwickeln sich mit der Zeit, und es gibt einen fließenden Übergang von manchmal auftretendem ungünstigen oder gestörten Essverhalten hin zu einer behandlungsbedürftigen Essstörung. Einige Anzeichen können auf eine Essstörung bei Jugendlichen hindeuten. Das heißt aber nicht, dass Teenager automatisch krank sind, wenn eines oder mehrere dieser Anzeichen auf sie zutreffen. Eine klinische Diagnose können nur Fachleute stellen!

Auf Verhaltensänderungen beim Kind achten!

Eltern sollten jedoch aufmerksam für bestimmte Hinweise bei ihren Kindern sein. Dies können deutliche Veränderungen im Essverhalten sein, z. B. wenn ein Kind bestimmte Nahrungsmittel meidet, Mahlzeiten auslässt, abwechselnd große Mengen oder sehr wenig isst oder strenge Regeln aufstellt. Auch eine deutliche, unerklärliche Gewichtsabnahme in relativ kurzer Zeit oder eine Verschlechterung der Stoffwechseleinstellung können Hinweise auf essgestörtes Verhalten sein.

Was können Eltern tun?
  • Ruhig bleiben
  • Mit dem Kind zu einem günstigen Zeitpunkt sprechen
  • Keine Vorwürfe machen
  • Beschreiben, was sie beobachten, denken und fühlen
  • Professionelle Hilfe suchen (Arzt/Psychologe)
  • Selbst ein gutes Vorbild sein
  • Positive Zeit mit dem Kind verbringen

Viele Jugendliche mit einer Essstörung sind sehr unzufrieden mit ihrem Gewicht und ihrer Figur. Sie beschäftigen sich gedanklich sehr viel mit Strategien, wie sie Gewicht abnehmen können. Oft ziehen sich die Betroffenen mit der Zeit von Freunden, zuvor beliebten Hobbys und Aktivitäten zurück, sind gereizt und stimmungslabil.

Magersucht, Bulimie und Co

Die häufigsten Essstörungen sind die Magersucht (Gewichtsverlust, extrem niedriges Gewicht), die Bulimie (Essattacken gefolgt von Gegenmaßnahmen wie z. B. Erbrechen) und die Binge-Eating-Störung (Essattacken ohne Gegenmaßnahmen).

Obwohl Essen für uns alle wichtig ist, hat die Nahrungsaufnahme bei Typ-1-Diabetes natürlich einen besonderen Stellenwert: Jede Mahlzeit und jeder Snack müssen berechnet und der Körper entsprechend mit Insulin versorgt werden, um eine optimale Stoffwechseleinstellung zu gewährleisten. Sind Jugendliche mit Diabetes deshalb stärker gefährdet, eine Essstörung zu entwickeln?

Jugendliche mit Diabetes besonders gefährdet?

Einige Studien aus der Vergangenheit sprechen dafür, in vielen aktuellen Untersuchungen finden sich keine erhöhten Raten an Essstörungen – verglichen mit stoffwechselgesunden Jugendlichen. Allerdings scheint es einen bedeutenden Anteil an Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes zu geben, der ungünstige Strategien zur Gewichtsreduktion einsetzt bzw. essgestörtes Verhalten zeigt.

Warnsignale für Eltern
  • Deutliche Veränderungen im Essverhalten
  • Gewichtsabnahme (mehr als 6 kg in den letzten 3 Monaten) oder starke Gewichtsschwankungen
  • Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht und der eigenen Figur
  • Verschlechterung der Stoffwechseleinstellung oder schwankende Blutzuckerwerte
  • Rückzug von Freunden, übermäßige sportliche Betätigung, Stimmungsschwankungen

Insulin-Purging – fataler Abnehmtrick

Dies kann die Unterdosierung oder das Weglassen von Insulin sein, mit dem Ziel abzunehmen oder nicht zuzunehmen (Insulin-Purging). Purging (engl.) heißt übersetzt soviel wie entschlacken, abführen. Weniger Insulin führt zu mehr Glukose im Blut und schließlich zu einem Ausschwemmen von Kalorien über den Urin.

Das Insulin-Purging funktioniert zwar, um Gewicht abzunehmen, der erhöhte Blutzuckerspiegel, den die Jugendlichen in Kauf nehmen, hat allerdings langfristig fatale Folgen für ihre Gesundheit. Auch leichte Formen von essgestörtem Verhalten sollte man deshalb bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes thematisieren und bearbeiten. Wenn Eltern den Verdacht haben, dass ihr Kind tatsächlich eine Essstörung entwickelt, kann das starke Ängste auslösen. Es ist hilfreich, wenn es ihnen dennoch gelingt, ruhig zu bleiben.

Offenes Gespräch und gutes Vorbild

Ein offenes Gespräch mit dem betroffenen Kind sollte zu einem günstigen Zeitpunkt stattfinden (nicht im Streit, beim Essen, in Eile o. ä.). Damit das Gespräch konstruktiv verläuft, sollten die Eltern Vorwürfe vermeiden und stattdessen eigene Beobachtungen, Gedanken und Gefühle beschreiben. Was auch noch wichtig ist: dass Eltern selbst ein gutes Vorbild sind, sich regelmäßig und gesund ernähren und keine übertriebenen Ideen bezüglich Figur und Gewicht vertreten.

Frühzeitig Hilfe aufsuchen

Frühzeitig professionelle Hilfe aufzusuchen erhöht die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung. In belastenden Situationen kommen positive Augenblicke häufig zu kurz. Um dem entgegenzuwirken, können Eltern bewusst schöne Zeiten und Aktivitäten gemeinsam mit ihrem Kind und evtl. den Geschwisterkindern einplanen.

Hier gibt es Hilfe

Fazit

Ob Julia/ein Kind eine Essstörung hat oder nicht, kann nur ein Fachmann durch eine ausführliche Diagnostik herausfinden. Sicher ist, dass auch milde Formen von gestörtem Essverhalten bei Jugendlichen mit Diabetes zu einer schlechteren Stoffwechseleinstellung und damit zu negativen gesundheitlichen Konsequenzen führen können. Deshalb ist es wichtig, dass sich betroffene Familien rechtzeitig Hilfe holen.


von Dr. Heike Saßmann, Hannover
Diplom-Psychologin, Medizinische Hochschule Hannover

Kontakt:
E-Mail: sassmann.heike@mh-hannover.de
,
www.mh-hannover.de/medpsych.html

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (3) Seite 16-18

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