Was Müttern und Vätern gut tut

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Was Müttern und Vätern gut tut

Mit Diabetes kann man gut leben – ja, das stimmt, aber anstrengend ist es manchmal trotzdem, und Eltern leisten sehr viel, damit es ihrem Kind gutgeht. Wichtig ist, dass sie dennoch lernen, gelassen zu bleiben – auch wenn es schwerfällt. Denn: Der HbA1c-Wert ist keine Schulnote!

Für die meisten Familien war der Diabetes eines Kindes wie ein ungebetener Gast, der sich von einem Tag auf den anderen in ihrem Leben breitgemacht hat. Er ließ sich nicht wieder ausladen, und er fordert ständig Aufmerksamkeit und Kraft, vor allem von Eltern jüngerer Kinder.

Die täglichen Leistungen der Eltern werden oft unterschätzt – “das Kind erscheint doch gesund und fröhlich – das bisschen Zucker”! Ähnlich reagieren auch Pflegeversicherungen (s. Seite 28).

Wer sich jedoch nur etwas mit Typ-1-Diabetes auskennt, weiß genau, was Eltern jeden Tag leisten. Mit der guten Behandlung ihres Kindes sorgen sie dafür, dass es sich körperlich und geistig normal entwickeln kann. Sie begleiten das Kind auf dem Weg in die Selbstständigkeit und stehen immer wieder vor der Frage, ob sie die richtige Balance zwischen altersgemäßer Selbstständigkeit und notwendiger Kontrolle finden. Schlaflose Nächte, Sorge, ob im Kindergarten oder in der Schule alles klappt, Jugendliche, die sich nichts mehr sagen lassen wollen – auch das sind Herausforderungen des Diabetes. Was kann Eltern hier helfen?

Zufriedenheit zulassen

Seit die Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) zur Verfügung stehen, werden Berge und Täler des Glukoseverlaufs sichtbar, von denen man früher nur etwas ahnte. Dieses Auf und Ab gehört bei Diabetes dazu – und in gewissem Rahmen auch bei Stoffwechselgesunden – besonders dann, wenn Kinder sehr viele Süßigkeiten und Fruchtsäfte verzehren. Schauen Sie gelassen auf diese Werte, sie sind keine “Schulnote” für Ihre Diabetestherapie. Versuchen Sie nicht, auf jeden zu hohen Wert zu reagieren, sondern warten Sie ab und lernen Sie aus den Verläufen.

Sie werden erfahren, dass Sie mit Ruhe sehr viel weiterkommen und Ihr Kind weniger durch seinen Diabetes gestört wird. Erlauben Sie sich, mit Ihrer Leistung zufrieden zu sein, auch wenn längst nicht alle Werte perfekt sind. Schauen Sie dazu auch auf die allgemeine Entwicklung Ihres Kindes – das Wachstum, die Geschicklichkeit, den Wortschatz, die Kontakte mit anderen Kindern, die Lebensfreude – hier können Sie berechtigt stolz sein.

Vertrauen schenken

Eine Kollegin und Mutter mehrerer Kinder berichtet, dass sie sich vom Tag der Geburt der Kinder damit “abfinden muss”, dass sie sich jeden Tag etwas entfernen und selbstständiger werden. Das erleben einige Eltern mit Freude, aber auch der Sorge, ob das Kind den neuen Aufgaben schon gewachsen ist.

Überlegen Sie mit Ihrem Diabetesteam, was Ihr Kind schon kann und geben Sie ihm einen Vertrauensvorschuss, z. B. wenn es allein in die Schule gehen, am Klassenausflug teilnehmen oder mit Freunden unterwegs sein will. Treffen Sie klare Absprachen, was wegen des Diabetes beachtet werden soll und kontrollieren Sie nicht heimlich. Sie werden nur sehr selten enttäuscht, und Ihr Kind entwickelt ein stabiles Selbstvertrauen.

Anderen vertrauen

Eltern brauchen Zeit für sich als Paar, Zeit für körperliche und seelische Entspannung. Dazu sollten Sie – ohne schlechtes Gewissen – andere Personen in die Versorgung des Kindes mit Diabetes einbeziehen. Großeltern, Paten und gute Freunde können lernen, den Diabetes gut zu behandeln. Sie müssen nicht jedes Detail kennen, es reichen einfache Absprachen und Grundregeln aus, wie sie z. B. in den aktuellen Informationen der AGPD e. V. (Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Diabetologie) für Erzieher in Kindergärten oder Lehrer beschrieben werden.

Positive Erfahrungen – dass Diabetes gar nicht so kompliziert ist, wie anfangs erwartet – motivieren alle Beteiligten. Das Kind lernt, dass es auch außerhalb der direkten elterlichen Kontrolle sicher und gut aufgehoben ist. Auch wenn die Kontrolle des Kindes und seiner Glukosewerte über das Smartphone möglich ist – versuchen Sie, es zu lassen und wirklich nicht an den Diabetes zu denken. Das braucht manchmal etwas Zeit – aber dann ist Entspannung möglich.

Auch eigene (berufliche) Interessen verfolgen

Wenn sich alles nur noch um den Diabetes, die Berge und Täler der Glukosewerte dreht, wird das Thema übermächtig und bestimmt das Leben der Familie mehr und mehr. Einige Mütter berichten, dass ihnen ihre Berufstätigkeit sehr hilft, den Diabetes mit Abstand zu sehen.

Ebenso können ehrenamtliches Engagement außerhalb des Diabetes, Freunde oder sportliche Interessen helfen, dem Diabetes nicht zu viel Raum zu geben. Gerade Mütter sollten sich nicht davon abhalten lassen, die eigene berufliche Entwicklung in dem Tempo voranzutreiben, das ihnen und der Familie gut tut. Die ausgeglichene Atmosphäre hilft allen Familienmitgliedern.

Unnötigen Druck reduzieren

Manche Eltern fiebern dem nächsten Ambulanzbesuch und der HbA1c-Bestimmung wie einer Prüfung entgegen. Ist der Wert gesunken, steigt die Stimmung, ist er dagegen angestiegen, macht sich Enttäuschung breit. Versuchen Sie, die Ambulanzvorstellung als das zu sehen, was sie ist: die Chance, mit erfahrenen Fachleuten über die Fragen zu sprechen, auf die Sie selbst noch keine Antworten gefunden haben.

Wie geht es anderen Eltern?
Darüber schreibt Kathy Dalinger in ihrem Blog http://www.kinder-mit-typ1-diabetes.net.

Das HbA1c ist wirklich keine Schulnote, es unterliegt Schwankungen, die nicht immer zu steuern sind, und es ist nicht so genau, wie man oft glaubt. Der Anstieg von 6,9 % auf 7,0 % kann zufällig entstanden sein und ist sicher kein Grund zur Sorge. Bereiten Sie sich auf den Ambulanztermin vor, indem Sie sich Ihre Fragen notieren und offen für Anregungen sind. Es ist auch normal, wenn längst nicht alles so klappt, wie Sie es sich vorstellen. Erfahrene Diabetologen/innen wissen das. Sie haben eher Hochachtung vor dem, was Sie als Eltern leisten.

Fazit
Gelassenheits-Tipps für Eltern:- Gelassen auf die Werte schauen – gerade bei CGM/FGM, wo alle Aufs und Abs sichtbar werden.- Dem Kind vertrauen, auch selbst Dinge meistern zu können. Dazu klare Absprachen treffen. – Andere Personen in die Versorgung einbeziehen. Auch hier gilt: Vertrauen haben, klare Absprachen treffen. – Auch eigene Interessen außerhalb des Diabetes verfolgen – Den HbA1c-Wert nicht als Schulnote sehen: Schwankungen sind nicht immer zu steuern. Besser den Ambulanzbesuch für Fragen nutzen.

von Prof. Dr. Karin Lange (Dipl.-Psych.)
Leiterin Medizinische Psychologie und Medizinische Hochschule Hannover
E-Mail: Lange.Karin@MH-Hannover.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2017; 10 (4) Seite 10-12

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