Weißmehl: Tückischer Dickmacher

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Weißmehl: Tückischer Dickmacher

Eine Kölner Traditionsbäckerei schließt – auch weil der Besitzer seine Weißmehl-Produkte für gesundheitsschädlich hält

Mehr Tradition geht nicht: 90 Jahre alt ist die Bäckerei Schlechtrimen im rechtsrheinischen Köln-Kalk dieses Jahr geworden – und ausgerechnet jetzt schließt Engelbert Schlechtrimen, der sich intensiv für den Stadtteil eingesetzt hat, den seit drei Generationen bestehenden Betrieb zum Oktober 2022. Die Gründe sind vielfältig – und typisch für viele handwerklich arbeitenden Bäcker: Die harte Arbeit hat gesundheitliche Spuren hinterlassen; Corona hat eine Delle gerissen; der frühere Arbeiterstadtteil ist jetzt multikulti, wo sorgfältig hergestellte Backwaren nicht die höchste Priorität genießen; der Schock der inflationär steigenden Energiekosten würde Preise erfordern, welche die wenigsten Kunden zahlen wollen – und können.

So weit, so üblich. Bei Engelbert Schlechtrimen kommt aber noch ein ganz besonderer Grund dazu, über den er ausführlich im „Kölner Stadtanzeiger“ vom 20. September 2022 spricht: „Ich hadere damit, dass ich Dinge anbiete, die mir selbst nicht guttun. Diese Weißmehlprodukte und verarbeiteten Milchprodukte sind aus ernährungsphysiologischer Sicht einer guten Gesundheit abträglich. Viele Menschen sind adipös, weil sie zuviel Zucker und Weißmehlprodukte sowie zu wenig Ballaststoffe genossen haben“. Dass Weißmehl dick macht, wissen natürlich auch andere Bäcker, aber keiner hat das jemals so deutlich ausgesprochen.

© Hans Lauber
Trauriges Aus nach 90 Jahren: Engelbert Schlechtrimen

Warum Weißmehl so gesundheitsschädlich ist, lässt sich leicht erklären: Diese Mehle enthalten im Vergleich zu Vollkornprodukten rund zwei Drittel weniger Nährstoffe, etwa Spurenelemente und Vitamine. Auch enthalten sie kaum Ballaststoffe, welche für eine funktionierende Verdauung unerlässlich sind. Im Wesentlichen bestehen sie aus „schnellen“ Kohlenhydraten, die sofort vom Körper aufgenommen werden – und den Blutzucker in die Höhe treiben. Damit wird das Dickmachhormon Insulin gelockt. Wird diese „Zucker-Insulin-Schaukel“ zu oft in Betrieb gesetzt, ist Übergewicht die typische Folge – und zu viele Pfunde auf den Rippen sind die Hauptursache für die grassierende Explosion des Typ-2-Diabetes mit bald zehn Millionen Betroffenen.

Leser meiner Bestseller „Fit wie ein Diabetiker“ und „Schlemmen wie ein Diabetiker“ wissen das seit rund 20 Jahren. Sicher ist auch, dass mir nur dank meines weitgehenden Weglassens (das Wort Verzicht vermeide ich bewusst) gelungen ist, meinen „Lifestyle-Diabetes“ seit über 20 Jahren weitgehend ohne Medikamente im Griff zu behalten. Auch als ich vor rund einem halben Jahr plötzlich Insulin spritzen musste, konnte ich das Insulin bald wieder absetzen, weil ich noch konsequenter die Weißmehlprodukte gemieden habe – und weil ich mich noch intensiver bewege.

Schon Sebastian Kneipp kannte diese Zusammenhänge natürlich bestens. In seinem bahnbrechenden Präventionsbestseller „Meine Wasserkur“ schrieb er bereits vor über 130 Jahren über die damals aufkommenden Weißmehle: „Seitdem Mühlen für das Mehl erfunden wurden, wird das Getreide nicht mehr mit all seiner Nährkraft verwendet. Da beim Getreide in der Hülse die meiste Kraft enthalten ist, geht uns heutzutage das Beste vom Getreide verloren und nur ein armseliger Nährstoff ist im feinsten Mehle übriggeblieben“. Auch beklagte der große Naturheiler den Geschmacksverlust durch die Kunstmehle, die „wohl fein aussehen, aber wenig nähren und den vortrefflichen Getreidegeschmack durch die künstliche Verarbeitung verloren haben“.

Wichtiges Wissen, was aber die Menschen nicht davon abgehalten hat, im großen Stil billige weißgemehlte Backwaren zu verzehren – und das wird auch so bleiben. Gerade deshalb ist die Schließung von Schlechtrimen besonders traurig. Denn wenn schon Weißmehl, dann so handwerklich wohlschmeckende Backwaren wie von diesem Traditionalisten. Denn er arbeitete mit einer langsamen und damit teuren Teigführung, was die Bekömmlichkeit erhöht (Stichwort Slow Baking). Er verwendete keine Tiefkühlprodukte wie in den meisten industriellen Backwaren. Auch hatten Fertigmischungen und Chemie bei ihm keine Chance. Das Ergebnis lässt sich schmecken, herrliche Croissants und ein grandioses „Sechskornbrot“ aus Schrot von Weizen, Rogen, Hafer, Gerste, Mais und Hirse.

Lässt sich schmecken? Ließ sich schmecken, leider.


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Internet: www.lauber-methode.de

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