Wie wird eine Hypoglykämie behandelt?

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Wie wird eine Hypoglykämie behandelt?

Was ist eigentlich eine Unterzuckerung? Gibt es Werte, die den Unterzucker genau definieren? Und was passiert bei einer schweren Unterzuckerung? Wie lässt sich eine Unterzuckerung beheben? Antworten auf diese grundlegenden Fragen hat Dr. Silvia Müther.

Unterzuckerungen (Hypoglykämien) sind eine häufige Begleiterscheinung für Menschen mit Typ-1-Diabetes, da die Regulation des Blutzuckers (BZ) ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen Einflussgrößen im Körper ist.

Folgende Einteilung ist üblich
  • Grad 1: leichte Unterzuckerung – selbst wahrzunehmen und adäquat zu behandeln.
  • Grad 2: mäßige Unterzuckerung – keine eigene angemessene Reaktion möglich, orale KH-Zufuhr ist aber möglich.
  • Grad 3: schwere Unterzuckerung – Betroffener deutlich bewusstseinseingetrübt / bewusstlos; Glukose über die Vene oder Notfallspritze erforderlich

Die meisten sind leicht und kurzdauernd, lassen sich leicht beheben und sind ohne gesundheitliche Auswirkungen. Kleine Kinder ( unter 5 Jahre) sind jedoch besonders empfindlich gegenüber Unterzuckerungen, bei ihnen sollte daher nach unserer Erfahrung schon früher gegengesteuert werden (s. u.). Da sie Unterzuckerungen noch nicht verlässlich selbst erkennen und behandeln können, bedürfen sie einer besonderen Fürsorge.

Schwere Unterzuckerung

Sorgen bereiten vor allem schwere Unterzuckerungen, die mit Bewusstseinsstörungen und Kontrollverlust einhergehen und daher vom Betroffenen nicht mehr selbst behandelt werden können. Wegen ihrer bis hin zum Krampfanfall dramatischen Symptome sind sie verständlicherweise sehr angstbesetzt. Sie können im Extremfall medizinische Hilfe (Notarzt) oder das Verabreichen der Glukagon-Notfallspritze durch entsprechend geschulte Angehörige/Freunde erforderlich machen.

Bei schwereren Unterzuckerungen besitzt der Körper aber in Form der Gegenregulation (rasche, durch “Stress”-Hormone vermittelte Zuckerfreisetzung) ein wirksames Mittel, so dass in der Regel langdauernde Unterzuckerungen mit negativen Gesundheitsfolgen verhindert werden und auf Hilfe von außen verzichtet werden kann. Fremde Hilfe ist nur in seltenen Situationen und besonders unglücklichen Umständen erforderlich.

Handlungsempfehlungen *

Wichtig: Bei deutlichen Symptomen erfolgt die Behandlung vor der Messung des Blutzuckerspiegels (“Erst essen, dann messen!”)

Grad 1/2
Sofort Gabe von Kohlenhydraten (KH): Traubenzucker oder Zucker (2 Plättchen Dextroenergen® oder 100 ml eines zuckerhaltigen Getränkes (Apfelsaft, keine “light”-Getränke!) = 10 g Glukose) nach folgender Regel:

Kinder unter 5 Jahre
– BZ ≤ 80 mg/dl (4,4 mmol/l): ½ KE schnellwirksame KH
– BZ ≤ 60 mg/dl (3,3 mmol/l): 1 KE schnellwirksame KH

Kinder unter 12 Jahre
– BZ ≤ 70 mg/dl (4,0 mmol/l): 1 KE schnellwirksame KH
– BZ ≤ 50 mg/dl (2,8 mmol/l): 2 KE schnellwirksame KH

Kinder 12 Jahre und älter
– BZ ≤ 70 mg/dl (4,0 mmol/l): 1 KE schnellwirksame KH, 1 KE langwirkende KH¹
– BZ ≤ 50 mg/dl (2,8 mmol/l): 2 KE schnellwirksame KH, 1 KE langwirkende KH¹

¹ Bei Hypoglykämie direkt oder innerhalb von 30 Min. vor einer geplanten Mahlzeit, nur die schnellwirksamen KH geben, gleich anschließend die Mahlzeit, danach spritzen und dabei die schnellwirkenden KE nicht anrechnen.

Wenn nach 5 – 10 min. keine Besserung der Symptome eingetreten ist, sollte die Gabe der schnellwirksamen KH wiederholt werden. Kurzfristige Kontrolle des BZ nach ca. 30 min. durchführen.

Grad 3
Bei einer schweren Unterzuckerung mit Bewusstseinseintrübung besteht Gefahr des Verschluckens. Daher Notfallspritze mit Glukagon (Glukagen Hypokit 1 mg®).

Kinder unter 12 Jahre: 0,5 mg (½ Spritze)
Kinder über 12 Jahren: 1,0 mg (ganze Spritze)

Nach Wiederherstellung des Bewusstseins orale KH-Gabe.


* Siehe auch: Schema für die Behandlung niedriger Blutzucker nach Gewicht vom Kinderkrankenhaus “Auf der Bult” (Hannover) auf Seite 31.

Die Definition einer Unterzuckerung ist nicht einheitlich. Überwiegend wird ein BZ unter 65 – 70 mg/dl (unter 3,3 – 3,9 mmol/l) als Unterzuckerung bezeichnet, da bei diesen Werten die gegenregulatorischen Hormone ansteigen, der Körper also selbst die “Notbremse” zieht.

Das Erkennen der individuellen Hypoglykämiezeichen ist wichtig, um richtig reagieren zu können. Schnellwirkende Kohlenhydrate (KH) (z. B. Traubenzucker oder Fruchtsaft) sollten immer griffbereit sein.

Sehr belastend kann auch die grundsätzlich berechtigte Sorge vor unerkannten nächtlichen Unterzuckerungen sein. Durch Blutzuckerkontrollen oder auch durch kontinuierliche Zuckermessungen (zum Beispiel mit einem CGM-System oder der Flash-Glukose-Messung) können kritische Werte schon im Vorfeld bemerkt und dadurch Unterzuckerungen verhindert werden.

Wichtiges Schulungsthema

Das Thema Unterzuckerung soll in der Schulung von Eltern, Kindern und Betreuungspersonen einen wichtigen Platz einnehmen. Unter Einbeziehung der individuellen Lebenssituation sollen klare und praktikable Regeln im Umgang mit Hypos vermittelt werden.

Risikofaktoren für Unterzuckerungen sind z. B. Wechsel von Therapieschema/-dosis, vermehrte Bewegung; Infekte mit verminderter Nahrungsaufnahme, Erbrechen, Genuss von Alkohol. Solche Situationen erfordern besonders sorgfältige Stoffwechselkontrollen.

Viele Unterzuckerungen können durch eine intelligente Anpassung der Insulindosis (z. B. Reduktion der abendlichen/nächtlichen Basalinsulindosis oder -rate zur Vermeidung nachhängender Unterzuckerungen nach starker körperlicher Belastung) vermieden werden.

Stark schwankende BZ-Werte mit häufigen und vor allem nächtlichen Unterzuckerungen können eine Indikation für den Einsatz kontinuierlicher Zuckermesssysteme sein.

Fazit

Die meisten Unterzuckerungen sind leicht, dauern nicht lange an und lassen sich auch leicht beheben. Schwere Unterzuckerungen sind selten; die Gegenregulation durch Stresshormone verhindert meist, dass schwere Unterzuckerungen lange andauern. Wichtig ist, dass Kinder und Eltern lernen, die Zeichen für eine Unterzuckerung zu erkennen, um richtig reagieren zu können. Oft können Unterzuckerungen vermieden werden, indem die Insulindosis der Situation angepasst wird.


Dr. med. Silvia Müther
Leiterin des Diabeteszentrums für Kinder und Jugendliche, DRK-Kliniken Berlin | Westend, E-Mail: s.muether@drk-kliniken-berlin.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2016; 9 (2) Seite 6-7

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