Zu groß geworden für den Kinderdiabetologen

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Zu groß geworden für den Kinderdiabetologen

Vom Kinderdiabetologen zum Erwachsenendiabetologen zu wechseln und so wahrscheinlich auch von der Diabetesambulanz einer Kinderklinik in eine Schwerpunktpraxis – das ist gar nicht so einfach. Viktoria Bartlitz schildert, wie sie diesen Übergang in der ärztlichen Betreuung (Fachbegriff: Transition) erlebt hat.

Der Wechsel vom Kinderdiabetologen zu einem Diabetologen, der sich nur noch um Erwachsene kümmert – was stellte ich mir darunter vor? Unter Fachleuten bezeichnet man diesen Arztwechsel als Transition. Der Begriff beschreibt den Übergang der ärztlichen Betreuung im Kindes-/Jugendalter hin zu der im Erwachsenenalter.

Bis wann darf ich bleiben?

Ich war noch nicht volljährig, als bei meinem Kinderdiabetologen zum ersten Mal das Wort Transition fiel. Der Grund dafür war, dass wir über die Zukunft sprachen und ich mich dafür interessierte, wie lange ich noch bei ihm bleiben darf. Etwa für immer? Das war mein Wunsch, und vorerst konnte ich auch noch bleiben.

Mein Arzt versprach mir, dass er mich bis zu meinem 21. Lebensjahr begleiten würde, spätestens dann müsste ich mir aber einen anderen Facharzt suchen. Diese Aussage entwickelte bei mir eine Art Unmut, aber ich versuchte, den Gedanken daran einfach auszublenden.

Der Zeitpunkt für den Wechsel rückte aber doch immer näher, und somit wurde klar, dass ich mit meinem Arzt über das weitere Verfahren reden muss. Etwas widerwillig sprachen wir über meine Transition und stellten fest, dass ich noch genau zwei Mal herkommen darf, bevor ich bei einem neuen Diabetologen – einem Erwachsenendiabetologen – vorstellig werden muss.

Mehr als „nur“ ein Arzt

Ehrlich gesagt wurde mir ziemlich unwohl bei dem Gedanken, bald einen neuen Ansprechpartner zu haben. Mein Kinderdiabetologe war mehr als nur ein Arzt für mich. Von Anfang an hat er mich begleitet. Ich habe gute und schlechte Phasen erlebt, es war nicht immer leicht, aber dennoch war er stets an meiner Seite.

Bei keinem anderen Arzt musste ich so regelmäßig vorstellig werden, ihm viel berichten und vor allem vertrauen. Er begleitete mich nicht nur als Arzt, sondern auch als Psychologe und guter Freund. Ich wusste jedes Mal, wenn ich dort war, dass man sich um mich kümmert und dass ich, egal, wie es zu der Zeit medizinisch um mich stand, niemals alleine gelassen werde und man immer für mich da sein würde.

Wird der neue Arzt sich für mich interessieren?

Natürlich hatte ich Bedenken vor dem ersten Besuch beim Erwachsenendiabetologen, und dafür gab es verschiedene Gründe. Der wahrscheinlich größte war, dass ich meinen alten Arzt nicht verlieren wollte und nicht bereit war, einen neuen zu suchen.

Ich habe mir vorgestellt, dass ein Arzt für Erwachsene nicht mehr so viel Empathie und Einfühlungsvermögen für den Patienten hat. Mir war es immer sehr wichtig, über alles reden zu können, egal ob es primär mit dem Diabetes zu tun hatte oder ob es andere Faktoren waren, die mich beschäftigten und meinen Diabetes vielleicht beeinflussten.

Interessiert sich der neue Arzt dafür, wie es mir geht? Oder hat er nur die Zuckerwerte im Blick? Versteht er, wenn mal nicht alles so läuft, wie es sein soll? Kann ich mit ihm reden, wenn ich Probleme oder Fragen zu meiner Krankheit habe? Wird er mir zur Seite stehen und mich über Neuigkeiten und Fortschritte informieren? Das sind nur einige der Fragen, die ich mir vorab gestellt habe.

Kann ich es auch ohne Arzt schaffen?

Einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich es nicht auch ohne Arzt schaffen würde. Schließlich kenne ich meinen Körper mittlerweile in- und auswendig. Alle wichtigen Themen rund um die Krankheit beherrsche ich im Schlaf, und meine momentane Einstellung ist auch vollkommen zufriedenstellend. Also wieso brauche ich überhaupt einen Arzt? Ich bin doch nun offiziell erwachsen, dann schaffe ich doch auch den Schritt, alleine mit meiner Krankheit zurechtzukommen – oder nicht?

Aber ich merkte schnell, dass ich diesen Gedanken besser verwerfen sollte. Wer versorgt mich mit Rezepten für alle medizinischen Produkte? Wer steht mir zur Seite, wenn meine Krankheit aus unerklärlichen Gründen mal wieder anders verläuft, als ich es mir wünsche? Mir war bald klar, dass eine Versorgung ohne Arzt nicht machbar ist.

Die Suche nach einer neuen Praxis beginnt

Es stand also fest, dass ich mich auf die Suche begeben muss. Ich fragte meinen Kinderdiabetologen vorab nach möglichen Anlaufstellen. Es stellte sich heraus, dass in unserer Umgebung genau zwei Praxen für mich in Frage kommen, zu allen anderen sind es über 50 Kilometer zu fahren.

Einmal habe ich mitbekommen, dass die Praxis, für die ich mich inzwischen entschieden hatte, einen ganz guten Ruf hat. Zudem bekam ich mit, dass die andere zur Auswahl stehende Praxis gerade umstrukturiert worden ist und es bei den Abläufen immer mal wieder Probleme gibt. Das ist zwar meines Erachtens menschlich und legitim, aber ich fühlte mich wohler mit dem Wissen, dass meine neue Praxis bei anderen als gut eingeschätzt wird.

Der erste Termin in der neuen Praxis

Der erste Termin war ungewohnt – neue Praxis, neuer Arzt, neue Diabetesberater. Ich hatte ein komisches Gefühl im Bauch und etwas Angst vor dem, was auf mich zukommt. Ich hatte mir vorgenommen, positiv an den Termin heranzugehen und mir im Anschluss eine Meinung darüber zu bilden. Eins war mir nur von Anfang an wichtig, und zwar, dass mein Arzt versteht, dass ich ein Mensch bin, der lebt und nicht einfach funktioniert.

Nach dem ersten Termin steht für mich fest, dass es etwas ganz anderes ist, zum Erwachsenendiabetologen zu gehen. Aber woran genau liegt das? Vielleicht hat der neue Arzt weniger Interesse an meinem Wohlergehen? Oder hat mein Kinderdiabetologe einfach auffällig viel Interesse gehabt? Das einzuschätzen, fällt mir schwer.

Viele Unterschiede in der Betreuung

Es gibt einige Unterschiede zu meiner vorherigen Behandlung. Es heißt öfter: „Ich bin mit den Blutzuckerwerten zufrieden, wir müssen vorerst nichts verändern – bis in drei Monaten.“ Früher ging es um so viel mehr als nur um die medizinischen Standards. Aber da ich nun erwachsen bin, werden wahrscheinlich nur noch die elementaren Dinge besprochen.

Es kann natürlich auch sein, dass es eine andere Gestaltung der Betreuung ist. Mir steht nun weiterhin eine Diabetesberaterin zur Verfügung. Mit ihr bespreche ich vorab alle wichtigen Angelegenheiten, egal, ob Änderungen der Diabetestherapie, Bestimmung des Hba1c-Wertes oder die Rezeptbestellung.

Mein bisheriger Eindruck ist, dass man die formellen Dinge gut mit den Beratern besprechen kann, aber alles, was die Therapie intensiver betrifft, wird direkt zum Arzt weitergeleitet. Auch über die neueste Technik herrscht nicht so viel Kenntnis wie bei meinem Kinderdiabetologen. Dadurch scheinen die Unterschiede zwischen der Betreuung durch Kinderdiabetologe und Erwachsenendiabetologe im Moment auffällig groß.

Der Wechsel als Chance?

Vielleicht bietet mir der Wechsel aber auch eine Chance, zu lernen, noch selbständiger zu werden und noch mehr auf mich achtzugeben. Das wird einer der wichtigsten Punkte, denn schließlich ist in der neuen Praxis keiner mehr, der mich darauf hinweist, was alles davon abhängig ist, dass mein Diabetes gut eingestellt ist. Wahrscheinlich wird es dann nur heißen, dass ich alt genug bin, um zu wissen, wie wichtig das alles ist.

Wie es weitergeht, kann ich nur erahnen. Ich bin zwar in gewissem Maße misstrauisch, aber dennoch gespannt, wie die Betreuung meines Diabetes durch einen Erwachsenendiabetologen zukünftig verlaufen wird.

Das sagt die Psychologin Dr. Gundula Ernst zu Viktorias Transitionsbericht


Viktorias Geschichte ist typisch für die Situation von jungen Menschen mit Diabetes. Der bevorstehende Arztwechsel ruft zunächst Unbehagen hervor. Durch die lange, meist sehr intensive gemeinsame Zeit ist der Kinderdiabetologe zu einem engen Vertrauten geworden. Viktoria beschreibt das sehr schön: „Er begleitete mich nicht nur als Arzt, sondern auch als Psychologe und guter Freund.“ Eine Trennung von ihm ist nur schwer vorstellbar.

Zudem befürchtet Viktoria, dass der neue Arzt weniger verständnisvoll und interessiert an ihr ist. Solche Ängste werden häufig durch negative Berichte, z. B. im Internet, verstärkt. Dabei wird jedoch übersehen, dass vor allem diejenigen von ihren Erfahrungen erzählen, die sehr unzufrieden mit ihrem Arztbesuch waren. Besser ist es, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Viktorias Reaktion, den Arztwechsel erst einmal auszublenden und nach Auswegen zu suchen, ist nachvollziehbar. Aber der Arztwechsel kommt unweigerlich auf die Jugendlichen zu. Es war daher gut, dass ihr Arzt das Thema erneut angesprochen hat, so dass sich Viktoria rechtzeitig auf die Suche machen konnte. Die Wartezeiten auf einen Facharzttermin sind mitunter sehr lang. Das Thema sollte also nicht auf die lange Bank geschoben werden. Da sich die Ärzte einer Region untereinander kennen, kann der Kinderarzt wertvolle Tipps für die Arztsuche geben, ebenso wie andere Betroffene oder Arztfinder von Krankenkassen und der DDG.

Aber natürlich hat es ein neuer Arzt schwer, wenn man vorher einen so engagierten Kinderarzt hatte wie Viktoria. Gut, dass sie sich vorgenommen hat, offen an die Sache heranzugehen. Ihre Enttäuschung nach den ersten Besuchen ist ihr dennoch anzumerken. Ihr neuer Diabetologe konzentriert sich zwar auf eine gute Blutzuckereinstellung, aber ihr Kinderarzt hat sich zusätzlich noch für ihre private und schulische Situation interessiert. Sie versucht, es positiv zu sehen und dem neuen Arzt eine Chance zu geben.

Am Anfang ist es immer etwas ungewohnt bei einem neuen Arzt: Man kennt sich noch nicht, die Abläufe sind unvertraut und die Atmosphäre ist anders als beim Kinderarzt. Viktoria sollte sich und dem neuen Arzt daher einfach ein bisschen Zeit geben. Vielleicht kann sie auch versuchen, ihre Wünsche deutlicher zu äußern und dem neuen Arzt eigene Fragen stellen. Wenn sie weiterhin unzufrieden ist, sollte sie einen anderen Arzt ausprobieren. Schließlich gibt es noch eine andere wohnortnahe Praxis.

von Dipl.-Psych. Dr. Gundula Ernst
Eines der Fachgebiete von Diplom-Psychologin Dr. Gundula Ernst ist die Transition. Dr. Ernst arbeitet in der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.


von Viktoria Bartlitz
E-Mail: v.bartlitz@gmail.com

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2019; 11 (2) Seite 10-12

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