Wir zwei gegen den Rest der Welt!

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Wir zwei gegen den Rest der Welt!

Vor wenigen Tagen feierte ich meinen „Halbjahrestag“ mit dem Diabetes – aber, feiert man so etwas überhaupt? Ehrlich gesagt, ich habe ihn total vergessen. Der Jahrestag wird aber definitiv mit einer großen Torte gefeiert. Ich weiß aber auch, dass es Diabetiker gibt, die solche Tage bewusst nicht feiern, und kann es auch verstehen.

Der (Jahres-)Tag der Diagnose

Für mich persönlich ist der Jahrestag eines Ereignisses viel mehr als ein Anlass zum Feiern oder Trauern. Ich erinnere mich dann gerne daran zurück, was dieser Tag in meinem Leben bedeutet, wie mich dieses Ereignis seitdem beeinflusst oder vielleicht auch verändert hat. Der Tag meiner Diagnose ist wie dafür geschaffen, mein Leben zu überdenken und wie ich mich selbst weiterentwickelt habe. Hat mich der Diabetes etwas gelehrt? Wie fühle ich mich mit dieser Krankheit? Meine Gedanken dazu wollte ich gerne einmal mit euch teilen.

Sage niemals „nie“

Ich durfte schon mehrere Male in meinem Leben erfahren, dass man niemals das Wörtchen „nie“ benutzen sollte. Es kommt immer anders, als man denkt, und es wäre die falsche Einstellung, wenn man Dinge, egal in welchem Bezug, grundsätzlich ablehnt. Ein kurzes Beispiel hierfür: Vor ein paar Monaten hätte ich mir „niemals“ vorstellen können, dass ich mich eines Tages täglich selbst spritzen muss, um am Leben zu bleiben. Mehr muss ich dazu nicht sagen, oder? Wenn man keine andere Wahl hat, kann jeder von uns über sich hinauswachsen!

Der Diabetes hat mir das nochmals sehr deutlich gemacht, wodurch ich zu einem viel offeneren Menschen geworden bin. Was vorher für mich eher ein „Tabu“ war, ist für mich jetzt eine Herausforderung – was soll denn groß passieren?

Der Diabetes holte mich zu einem Zeitpunkt ein, in dem es nicht ungünstiger hätte sein können. Das letzte Jahr auf der Hochschule hatte begonnen, ich hatte mir sehr viel vorgenommen und wollte so richtig durchstarten. Dann lag ich erst einmal total ausgeknockt zwei Wochen im Krankenhaus und musste mir den Großteil selbst beibringen. Innerhalb kurzer Zeit habe ich vieles über meinen eigenen Körper gelernt und auch, dass ich am besten weiß, wie ich mit ihm umgehen muss. Ich musste mich zurück in den Alltag kämpfen, lernen, wieder selbständig zu sein, und gleichzeitig auf das Riesenbaby namens Diabetes aufpassen. Viele unterschätzen so etwas sehr schnell, und auch wenn ich die Diagnose „erst“ mit 23 Jahren bekam, heißt das nicht, dass ich damit jetzt besser umgehen kann als ein jüngerer Mensch. Allerdings wollte ich so etwas niemals als Ausrede nehmen. Nach vier Wochen Pause ging ich direkt wieder zu den Vorlesungen und war in den Projekten mit eingespannt.

Stark zu sein, bedeutet auch, sich eine Pause zu nehmen

Es war eine schwere Entscheidung dazwischen, stark zu sein und direkt wieder durchzustarten oder erstmal eine Pause zu nehmen und das Ganze zu verarbeiten. Da ich nach der schweren Ketoazidose kaum alleine laufen konnte und das mit dem Spritzen auch etwas anstrengend war, musste ich etwas mehr aufholen als ein Patient, der die Diagnose bei einer Routineuntersuchung beim Hausarzt bekommt. In meinem Umfeld hat niemand einen Diabetes und konnte mir somit auch keine Tipps oder Ratschläge geben. Im Nachhinein muss ich offen zugestehen, dass es besser gewesen wäre, wenn ich mir etwas mehr Zeit freigenommen hätte.

Was jetzt nach knapp sechs Monaten passiert ist, kann ich ganz gut in einem Satz zusammenfassen: Der Diabetes und ich sind ein Team geworden.
Es fällt vielen Menschen schwer, diese oder eine andere Krankheit als Partner zu akzeptieren. Ich habe sämtliche Informationen wie ein Schwamm aufgesaugt und habe für mich selbst meine eigenen Grenzen und Ziele gesetzt. Ich lasse mir im Moment nicht von einem Arzt reinpfuschen (es ist ja schließlich mein Diabetes), sondern suche nur nach Input, was mich weiterbringen kann. Anfangs war mir nicht bewusst, was ich alles trotz der Krankheit schaffen kann. Mein Auslandspraktikum sah ich in Gefahr – überhaupt jemals länger zu verreisen oder gar woanders zu leben. Kurze Zeit, nachdem diese negativen Gedanken aufgetaucht waren, sind sie auch schon wieder verschwunden. Die Zusage für die Stelle habe ich, Flüge sind gebucht!

In guten wie in schlechten Zeiten

Ich versuche, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich dank der Diagnose erreichen kann. Jetzt weiß ich, warum es mir jahrelang schlecht ging und ich immer mehr an Kraft verlor. Ich wurde stärker und selbstbewusster, ich kann mich akzeptieren, so wie ich bin, und sehe in den kleinen Dingen die Freuden des Lebens. Der Diabetes hat mir in diesem Bereich die Augen geöffnet.

Auf viele weitere Jahre mit dem Diabetes, in guten wie in schlechten Zeiten. Bis dass der Tod uns scheidet – oder hoffentlich die Medizin!


Auch Lisa hat durch den Diabetes einen anderen Blick auf ihr Leben bekommen: Wie der Diabetes mir Augen und Türen öffnete

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