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Als ich vor 3 Jahren mit dem Diabetes im Gepäck ein paar Monate früher als geplant nach Hause kehrte, wusste bereits jeder in meinem Umfeld über mein neues Anhängsel Bescheid.
Denn wie es so in der menschlichen Natur liegt, war ich vielleicht nicht Gesprächsthema Nummer Eins, aber immerhin Zwei: „Hast du schon gehört, Lea ist wieder da! Sie musste das Auslandsjahr abbrechen, weil sie so krank ist.“
Zugegeben, so falsch war das nicht, denn bis ich mich entschloss, nach Hause zu fliegen, hatte ich weder Bolus-Insulin noch eine Schulung erhalten.
Mein Gesundheitszustand ließ daher zu wünschen übrig und obwohl ich zu der Zeit im Krankenhaus lag, kamen blöde Sprüche unwissender Schulkameraden auf, die nur von denen vehement verteidigt wurden, die Menschen mit Diabetes in ihrer Familie hatten.
„Also, ich hätte ja nicht abgebrochen, nur weil ich ein bisschen krank bin.
Mit Diabetes ist es ja einfach zu leben und überhaupt hat sie ja selbst Schuld, wenn sie sich mit Süßigkeiten vollgestopft hat.“
In dieser Situation musste ich mich schließlich entscheiden: Sollte ich verletzt schweigen und doofe Sprüche über Diabetes über mich ergehen lassen, während ich mich so unauffällig wie möglich um meine Diabetestherapie kümmerte, oder sollte ich aufstehen und selbstbewusst dafür kämpfen, dass Menschen mit Diabetes nicht nur akzeptiert, sondern auch verstanden wurden?
Klar, dass ich mich für die zweite Möglichkeit entschied.
Ich weiß, dass dazu Mut gehört und die Kraft, einstecken zu können. Ich war schon immer eigen, aber ich musste mich vorher nie verteidigen, von daher stimmt es vermutlich, wenn ich sage, dass man mit seinen Aufgaben wächst: Ich wollte, dass wir Diabetiker richtig verstanden werden, also setzte ich mich dafür ein. Dazu braucht es nicht so viel, wie man denkt. Nur einen starken Willen.
Sobald ich also wieder aktiv am Schulgeschehen teilhaben konnte, habe ich meinen Blutzucker öffentlich gemessen und auch mein Insulin immer dann gespritzt, wann ich es eben brauchte, egal, wo ich mich gerade befand.
Während die eine Hälfte meines Umfelds aufrichtig interessiert daran war und sich gern die Abläufe erklären ließ, bekam ich von der anderen Hälfte Blicke ab, die ich entweder erwiderte oder ignorierte.
Ich kann mich noch an einen Spruch erinnern, der mich verletzt, aber nicht weiter mitgenommen hat: „Kannst du dich nicht woanders spritzen? Ich finde das eklig!“
Ekel war etwas, womit ich mich davor nicht konfrontiert sah – ich konnte Angst verstehen, manchmal sogar Mitleid, aber Ekel war mir in diesem Fall fremd.
Wem Nadeln unangenehm waren, der schaute eben weg, und das war auch etwas, das ich nachvollziehen konnte.
Jedes Mal, wenn mir Phrasen wie „Jeden Tag spritzen? Das könnte ich nie!“ an den Kopf geworfen wurden, erwiderte ich das Gleiche: Ich spritze mir Insulin, um zu leben. Und du würdest es genauso tun.
Auch in diesem Fall fiel mir nichts anderes ein, denn ohne Insulin können wir Diabetiker nicht leben, und allein das gibt uns meiner Meinung nach das Recht, zu spritzen und zu messen, wie wir es für nötig halten, ohne Rücksicht auf Nichtdiabetiker.
In der Schule und auch im restlichen Alltag fand ich neben den Vorurteilen immer Unterstützung und zum Teil auch Bewunderung, wie ich mit meiner zusätzlichen „Bürde“ umgehe.
Ich bezeichne Diabetes nicht gern als Krankheit, obwohl es natürlich in die Kategorie Autoimmunerkrankung fällt, und auch, wenn es mir lange Zeit nach der Diagnose nicht gut ging, habe ich mich nie „krank“ gefühlt.
Nie leistungsunfähig. Nie unbelastbar. Nie schwach. Nie anders oder zweitklassig.
Mein Diabetes stellt für mich eine zusätzliche Hürde dar, die ich meistern muss – aber für mich ist es eine Hürde, die ich meistern kann und die ich im Griff habe.
Ich habe mit meinem Diabetes kein Problem, aber es gibt sie, allen voran Akzeptanzprobleme.
Darüber möchte ich heute schreiben.
Wenn man Diabetes mit 17 bekommt, dann ist das entweder Fluch oder Segen.
Man kann sich an eine Zeit vor dem Messen und Spritzen erinnern, vor schlaflosen Nächten durch hohen Blutzucker oder den Kopfschmerzen nach einer Hypoglykämie.
Aber meist entwickelt man eine ganz andere Einstellung.
Ich weiß nicht, wie offen ich mit meinem Diabetes umgehen würde, hätte ich mir solche Sprüche bereits in Kindergarten oder Grundschule anhören müssen, am besten nachgeplappert von unwissenden Eltern, ganz ohne böse Absichten.
Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen würde, wenn ich keine Unterstützung von Familie und Freunden bekommen hätte oder Freunde sich abgewandt hätten.
Ich weiß nicht, wie ich mich entwickelt hätte, wenn mein Selbstbewusstsein unterdrückt worden wäre und ich nicht so eine Willenskraft hätte, wie ich sie heute habe.
Bevor ich darüber nachgedacht habe, war es für mich unverständlich, warum man seinen Diabetes verstecken möchte und sich heimlich misst oder spritzt.
Natürlich liegt es daran, wie man von der Umwelt und seinem Umfeld beeinflusst wird, und so wird dann auch die Entscheidung gefällt, über die ich am Anfang des Artikels geschrieben habe: Zurückhaltung oder Offenheit.
Und das kann ich sehr gut verstehen!
Es ist nie leicht, sich für ein Thema einzusetzen, zu dem es viele Meinungen gibt.
Aber es macht mich traurig, zu hören, dass sich andere für ihren Diabetes schämen, dass sie sich schwach fühlen.
Denn das ist keiner von uns! Wir übernehmen – zusätzlich zum Alltag – jeden Tag die Leistungen eines Organs, wir sind also quasi doppelt so belastbar und leistungsfähig.
Das größte Akzeptanzproblem ist jedoch nicht die eigene, sondern die Akzeptanz im sozialen Umfeld.
Ich bin leider nicht die Einzige, die blöde Sprüche abbekommen hat und gegen manche Sprüche wirken die meinen ziemlich harmlos.
Ich weiß nicht, warum sich Menschen das Recht herausnehmen, über andere zu urteilen und das gerade bei chronischen, unheilbaren „Krankheiten“.
Fakt ist, dass wir jeden Tag mit Vorurteilen und Lästereien konfrontiert werden, egal ob Diabetiker oder nicht.
Was wir daraus machen, bleibt uns überlassen.
Ich werde weiterhin dazu stehen, dass ich ein Mensch bin, der ein paar Aufgaben mehr übernehmen muss, um ein gutes und gesundes Leben zu führen.
Ich werde nicht müde, Vorurteile aufzuklären und den Alltag eines Diabetikers näherzubringen.
Ich werde Pumpe und Sensor weiterhin an Armen und Bauch tragen und nicht darauf achten, ob sie gerade sichtbar sind.
Und ich würde mir wünschen, dass wir das alle tun.
Denn nur so können wir Akzeptanz erreichen – indem wir zeigen, dass wir ein ganz normales Leben mit etwas mehr Technik führen, die uns hilft und nicht einschränkt.
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