Gehirn im Alarmmodus: Was genau passiert bei einer Hypoglykämie?

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Gehirn im Alarmmodus: Was genau passiert bei einer Hypoglykämie?

Ich persönlich spüre leichte Hyposymptome bereits, wenn mein Blutzucker auf 70 bis 80 mg/dl (3,9 bis 4,4 mmol/l) absackt. Bei einem Wert von 60 mg/dl (3,3 mmol/l) bin ich schweißgebadet und muss mich erst einmal hinsetzen (und natürlich auch etwas essen!). Daher staune ich immer wieder, wenn ich von anderen Typ-1-Diabetikern höre, dass ihnen erst bei einem Blutzuckerwert von 35 mg/dl (1,9 mmol/l) ein bisschen flau in der Magengegend wird. Etwa 25 Prozent aller Typ-1-Diabetiker haben eine solche gestörte Hypowahrnehmung, wie ich beim diesjährigen Kongress der Europäischen Diabetesgesellschaft (EASD) Mitte September 2016 in München lernen durfte.

Insulin spritzen, Hypo provozieren – und ab ins MRT!

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Da lohnt es sich doch, einmal genauer nachzuschauen, was bei einer Hypo überhaupt im Körper passiert – und worin sich Diabetiker mit funktionierender Hypowahrnehmung von solchen mit gestörter Hypowahrnehmung unterscheiden. Zwei Forscherinnen, eine aus Großbritannien und eine aus den Niederlanden, haben das genauer unter die Lupe genommen: Sie spritzten verschiedenen Studienteilnehmern Insulin und provozierten so eine Hypo. Um zu beobachten, was währenddessen im Gehirn passiert, schoben sie die Probanden vor und während der künstlich erzeugten Hypo in die MRT-Röhre und dokumentierten außerdem weitere körperliche Reaktionen auf den sinkenden Blutzucker.

Adrenalin sorgt für Schwitzen, Herzrasen und Unruhe

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Es zeigte sich, dass bei Stoffwechselgesunden und bei Typ-1-Diabetikern mit normaler Hypoglykämiewahrnehmung bei einer Hypo vermehrt Adrenalin ausgeschüttet wurde. Wie wir wissen, sorgt dieses Adrenalin für die typischen Hyposymptome wie Schwitzen, Herzrasen oder Unruhe. Bei Typ-1-Diabetikern mit gestörter Hypowahrnehmung fehlte diese Adrenalinausschüttung – dafür war bei ihnen im MRT eine etwas stärkere Durchblutung des Thalamus sichtbar. Der Thalamus ist quasi die Leitstelle für Informationen im Gehirn. Um die Versorgung dieser enorm wichtigen Gehirnregion sicherzustellen, wird sie in Krisenzeiten stärker durchblutet. Das hat dummerweise aber gleichzeitig zur Folge, dass die Adrenalinausschüttung gehemmt wird.

Bei häufigen Hypos schaltet das Gehirn schneller in den Krisenmodus

Einfacher gesagt bedeutet dies, dass das Gehirn eines Typ-1-Diabetikers, der häufig Hypos hat, aus dieser Erfahrung heraus schneller in den Krisenmodus umschaltet: Es sichert lieber die Versorgung des Thalamus und nimmt dafür in Kauf, dass die Symptome einer Unterzuckerung ausbleiben. Dummerweise gerät der Betroffene dadurch leicht in einen Teufelskreis: Ohne die unangenehmen, aber im Zweifelsfall rettenden Anzeichen einer Hypo kommt es natürlich noch viel eher vor, dass der Blutzucker unbemerkt absinkt.

Warum funktionieren Wahrnehmungstrainings nicht bei jedem?

Eigentlich sollte einem also einleuchten, dass man diesen Teufelskreis unbedingt durchbrechen sollte. Sprich: Hypos strikt vermeiden, damit das Gehirn bei sinkenden Blutzuckerwerten nicht gleich in Panik verfällt und der Körper wieder die typischen Hyposymptome zeigt. Bei ungefähr 10 Prozent aller Typ-1-Diabetiker mit gestörter Hypowahrnehmung scheint ein solches Training allerdings nicht zu fruchten, wie eine weitere britische Forscherin berichtete. Sie ist überzeugt davon, dass die Betroffenen Hypos nicht vermeiden wollen, weil sie sie gar nicht als Bedrohung empfinden.

Hohe Werte zu vermeiden, hat für viele oberste Priorität

Beim EASD-Kongress stellte sie einen eigens entwickelten Fragebogen vor, der dabei helfen soll, diese Problemfälle klar zu identifizieren. Die Forscherin hatte ihn zuvor an insgesamt 132 Typ-1-Diabetikern erprobt, etwa die Hälfte mit normaler und die andere Hälfte mit gestörter Hypowahrnehmung. Die Teilnehmer sollten jeweils ankreuzen, ob sie bestimmten Aussagen zustimmen wie „Gutes Diabetesmanagement heißt in erster Linie, hohe Werte zu vermeiden, nicht niedrige“ oder „Ich funktioniere gut auch bei niedrigen Blutzuckerwerten“ oder „Es ist nicht schlimm, leichte Hypoglykämien nicht zu behandeln“ oder „Ich mache mir keine Gedanken über Warnsymptome, weil ich sie nur selten spüre“ oder „Es ist immer jemand in der Nähe, der mir im Falle einer schweren Hypoglykämie helfen könnte“. Was dabei herauskam, kann man sich auch mit wenig Fantasie vorstellen: Typ-1-Diabetiker mit gestörter Hypowahrnehmung neigten eher dazu, solchen Aussagen zuzustimmen, als Typ-1-Diabetiker mit normaler Hypowahrnehmung.

Manchmal ist eine gestörte Hypowahrnehmung ein Fall für den Psychologen

Die Ergebnisse mögen banal klingen, doch einem Diabetologen kann es im hektischen Praxisalltag möglicherweise helfen, wenn er weiß, dass Typ-1-Diabetiker mit gestörter Hypowahrnehmung viel mehr Angst vor hohen als vor niedrigen Werten haben und dass sie Hypos häufig nicht als bedrohlich, sondern beinahe schon als normal empfinden. Er kann dann mit ein paar simplen Fragen feststellen, dass möglicherweise etwas tiefer liegende Überzeugungen und Fehleinschätzungen dahinterstecken, die besser beim Psychologen als in der Diabetespraxis behandelt werden sollten. Und auch für Typ-1-Diabetiker selbst kann es vielleicht aufschlussreich sein, sich einmal kritisch selbst zu fragen, wie groß sie die Gefahr von Hypos einschätzen – und ob es nicht möglicherweise auch mit dem eigenen sorglosen Umgang mit niedrigen Werten zu tun hat, wenn der Körper nicht mehr mit eindeutigen Anzeichen auf eine Hypo reagiert. Was sind eure Erfahrungen damit?

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