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Sommer 2000, mir ging es schon seit Wochen nicht gut. Es war dann reiner Zufall, dass die Diabeteserkrankung vor einem Routineeingriff im Krankenhaus festgestellt wurde. Dann ging alles schnell, ich wurde mit der Diagnose Diabetes auf die Innere-Abteilung verlegt. Künftig würde ich mit Typ-1-Diabetes leben müssen – eine Erkrankung, die nicht heilbar ist.
Wie würde es weitergehen? Wie würde ich klarkommen? Mir kam es vor, als bewegte ich mich auf einen dunklen Tunnel zu, ohne zu wissen, was mich auf der anderen Seite erwartet.
Das Krankenhaus, in dem ich zum Zeitpunkt meiner Diagnose stationär behandelt wurde, war nicht auf die Behandlung von Diabetes spezialisiert. Spätestens als die Ernährungsberaterin zu mir ins Zimmer kam, um einen Monolog über Diät und Spätfolgen einer falschen Ernährung zu halten, kamen wir Zweifel, ob so meine Zukunft aussehen würde. Mein Plan stand fest: Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus würde ich nach kompetenter Hilfe und Behandlung suchen.
Die passende Unterstützung bekam ich schließlich in der Ambulanz der Uni-Klinik. Sowohl, was die Schulung auf eine intensivierte Insulintherapie betraf, als auch Stärkung meines Selbstbewusstseins. Ich wurde dort mit den Worten verabschiedet: „Wenn Sie es richtig anstellen, werden Sie in ein paar Jahren mehr über Ihre Diabeteserkrankung wissen als manche Ärzte!“ Zum ersten Mal fühlte ich mich nicht mehr dem Diabetes „ausgeliefert“. Diesen Satz habe ich verinnerlicht, die Worte haben mir immer wieder meine eigenen Chancen vor Augen geführt. Außerdem haben sie mich sensibel dafür gemacht, nicht unreflektiert den Erwartungen anderer zu entsprechen.
Ich sah – im übertragenen Sinn – nicht nur das Licht am Ende des Tunnels, ich konnte die Enge meines Gedankentunnels verlassen.
Ich kann mich noch an meine Gedanken zum Zeitpunkt der Diagnose erinnern. Meine Frage drehte sich nicht um „warum ich?“, sondern „warum jetzt?“. Schließlich war ich 38 Jahre alt und Typ-1-Diabetes – das war für mich eine Erkrankung, die im Kindes- oder Jugendlichenalter begann. Später sollte ich erfahren, dass es gar nicht mal so selten ist, im späteren Lebensalter einen Diabetes Typ 1 zu bekommen.
Habe ich damals gelitten und mir selbst leidgetan? Das kann ich ganz klar mit Nein beantworten! Es war halt nicht zu ändern und je früher ich mich mit der neuen Situation arrangieren würde, umso besser wäre es für mich – davon war ich damals ganz fest überzeugt!
Blutzuckermessen und Insulinspritzen, das hatte ich gut in meinen Tagesablauf integriert. Aber Blutzuckertagebuch führen, das hat einfach nur genervt – das kam mir immer so vor, als wenn ich „das Defizit meines Körpers“ dokumentiere. Außerdem standen sie dann da, die hohen und die tiefen Werte – verbunden mit der Frage, was jetzt schon wieder nicht rund gelaufen war. Der Diabetes sollte sich gefälligst mir unterordnen und nicht umgekehrt. Ich wollte nie eine „Leidtragende“ meiner Stoffwechselerkrankung sein. Daraus hat sich bei mir eine Grundhaltung entwickelt – ich bin niemandes „Leidgenossin“.
Diabetes ist nicht großartig! Diabetes ist eine Erfahrung, auf die man gerne verzichten kann. Die Diagnose Diabetes zu erhalten, ist für Betroffene, aber auch für Angehörige und Freunde ein lebensveränderndes Ereignis.
Abhängig vom Lebensalter und den persönlichen Verhältnissen bei der Diagnose liegt natürlich eine entsprechend unterschiedliche Grundsituation vor.
Da ist der Alltag, der sich verändert, da sind die Erwartungen, die man an sich selbst hat bzw. die andere an einen stellen.
Ich habe meine Diabetesdiagnose erst als erwachsene Frau erhalten. Mit Ende 30 stand ich mitten im Leben, mit all den Lebenserfahrungen, die ich bis dahin schon gemacht hatte. Nachdem der „Diagnose-Schock“ überstanden war und ich die positiven Erfahrungen zuerst in der Uni-Klinik und später bei meiner Diabetologin gemacht habe, war meine Grundhaltung klar. Die Erwartungen anderer Personen würde ich nicht als Maßstab nehmen. Beim Diabetesmanagement würde ich mir Rat und Unterstützung bei meinem Diabetes-Team suchen, die Optionen abwägen und dann eine Entscheidung treffen. Ansonsten würde ich mir nicht reinquatschen lassen. Auf keinen Fall wollte ich mich in irgendeiner Form rechtfertigen – soweit die Theorie.
Mein Anspruch bestand fortan darin, meine Grundhaltung zum Leben mit Diabetes auch konsequent zu leben. Aber genau hier prallen mein eigener Anspruch und die Wirklichkeit mitunter aufeinander. Mir passiert es immer noch, dass ich mich z.B. bei einem negativen Kommentar von neuen Ärzten für meinen HbA1c-Wert rechtfertige. Im Nachhinein ärgere ich mich immer sehr, dass ich dort nicht klare Kante gezeigt habe. Vor allem, weil das im Gegensatz zu meinem Diabetologen und meinem Hausarzt Ärzte sind, die mich gar nicht kennen und ungefragt nicht nur ihren Kommentar abgeben, sondern sich auch herausnehmen, über mich und mein Diabetesmanagement zu urteilen.
Zum Glück bekomme ich das nach so einem Vorfall sehr schnell sortiert und fühle mich nicht unfähig oder unmotiviert. Aber es ärgert mich schon, dass ich immer wieder in so eine Situation hineintappe.
Gut gelingt mir, mich vom Wetteifern um den besten HbA1c-Wert fernzuhalten. Von den Erwartungen und Maßstäben anderer Menschen mit Diabetes lasse ich mich nicht anstecken. Da ist mein Blick, dass Erwartungen und Ansprüche sehr verschieden und immer individuell sind. Es gibt nicht die Messlatte, die auf mein Leben mit Diabetes angelegt werden kann. Ich muss nicht den Erwartungen anderer entsprechen und ich lasse mir nichts aufzwingen.
Mein zurückhaltendes und minimalistisches Verhältnis zum Führen eines Blutzuckertagebuches war bei meinem Diabetesteam hinreichend bekannt.
Sobald ich merkte, dass etwas nicht gut lief, habe ich einige Tage ausführlich mitgeschrieben und natürlich auch Basalrate und Faktoren überprüft. Ohne Erwartungsdruck an ein schön geschriebenes, perfektes Blutzuckertagebuch fiel es mir leicht, gewissenhaft etwas für meinen Therapieerfolg zu tun. Mittlerweile bin ich in der komfortablen Situation, mein Diabetesmanagement elektronisch zu erfassen. Das nimmt mir nicht nur die lästige Dokumentation ab, sondern erleichtert mir auch die Auswertung mit eventueller Therapieanpassung.
Beim Austausch in der Diabetes-Community kann ich über meine Gedanken, Erlebnisse und Erwartungen sprechen. Das hilft mir, mich wieder zu erden und das Glas wieder halb voll statt halb leer zu sehen. Dafür bin ich dankbar! Ohne Diabetes hätte ich viele wundervolle Menschen in meinem Leben gar nicht kennengelernt. Mein Leben mit Diabetes ist besser, als ich das vor mehr als 2 Jahrzehnten erwartet hätte.
Mehr von Susanne könnt ihr hier erfahren.
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