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Drei Wochen habe ich in Kairo, Ägypten, gelebt und mein Arabisch in einer lokalen Sprachschule verbessert. Als ich das Land Mitte März verlassen habe, war ich eigentlich ganz froh, wieder in Deutschland zu sein; das war allerdings auch der Situation mit Covid-19 geschuldet.
Es gab einige Dinge, die mich an meinem Leben in Kairo sehr gestört haben, auf die ich später näher eingehen werde. Wenn ich jetzt (sehnsüchtig) zurückdenke, dann denke ich an die Sonne, die auf meine Haut brennt, an die staubige Luft, durch die ich manchmal kaum atmen konnte (und vermutlich nicht vermissen sollte), an die vielen Katzen auf den Straßen, die leckeren und günstigen Ta’amiya (Falafel)-Sandwiches, an nächtliche Felukka (Segelboot)-Partys auf dem Nil, an die Autofahrten mit lieben Freunden und lauter arabischsprachiger Musik und natürlich an meine Ausflüge in die Wüste und das ländliche Ägypten.
Reisende können nach Kairo kommen, im teuren Hotel am Nil wohnen, in Bussen durch das Land und zu den Sehenswürdigkeiten kutschiert werden und das Leben in Kairo gar nicht mitbekommen. Abgeschirmt von den weniger Privilegierten, den Marginalisierten, von der Armut und dem Müll auf den Straßen, von den Sprüchen gegen Frauen* und Ausländer*innen im Allgemeinen. Sie sehen nicht die große Kluft des Wohlstandsgefälles, Distrikte für reiche Internationale, Expats genannt, alles abgeriegelt; im Gegensatz dazu die Distrikte, in denen sich Müllberge türmen, von denen sich streunende, kranke Hunde und Katzen ernähren, und Menschen auf den Straßen oder in einsturzgefährdeten Gebäuden leben.
In engen Gassen werden Obst, Gemüse und nebenan geschlachtete Tiere feilgeboten. Ich habe versucht, diesen Tourismus und meine Privilegien zu hinterfragen. Natürlich war der Lebensstandard dort nicht mit meinem Leben in Deutschland zu vergleichen und es gibt viele Dinge, in die ich keinen Einblick habe. Ich wollte das aber gern in den Artikel aufnehmen.
Die Gassen schlängeln sich durch den ganzen Distrikt, am besten kommt man hier zu Fuß oder mit Motorrollern voran. Jeden Morgen bin ich für 40 Minuten durch diese Straßen von der Innenstadt, wo ich wohnte, zur Sprachschule in die Altstadt gelaufen. Es passierte nicht selten, dass es Stau gab (zu Fuß!), weil zwei Lieferwägen nicht aneinander vorbeikamen. Nach zwei Tagen navigierte ich mich erfolgreich durch das Chaos, Anhaltspunkte meines Weges waren u.a. mein Lieblingsbäcker, bei dem ich jeden Tag eine volle Tüte Brot und Kräcker für umgerechnet 17 Cent(!!!) erstand. Die Kräcker und gelegentlich Pepsi Cola („Bebsi“) hatte ich auch dringend nötig, denn 40 Minuten in der Sonne und mit erhöhtem Stresslevel* ließen meinen Blutzucker immer in den Keller wandern.
Die ersten drei Tage musste ich ein bisschen herumprobieren, bis ich geeignete Basalraten- und Bolus-Faktoren fand, die für mich passten. Ich spritzte nur 1/3 meines Frühstücks und stellte meine Basalrate auf 50%, um zwischen entspannten 90-120 mg/dl (5,0-6,7 mmol/l) für den Weg zu pendeln.
(* Bei Stress unterzuckere ich oft, das ist natürlich sehr individuell und von Körper zu Körper unterschiedlich).
Immerhin mein Blutzucker war entspannt, ich war es auf dem Weg meistens nicht. Ich möchte nichts schönreden, als Frau auf den Straßen in konservativeren Ecken Kairos ist es nicht einfach. Jede Minute wurde mir etwas hinterhergerufen. Manchmal sind auch nett gemeinte Worte dazwischen, wie „Willkommen in Kairo“, aber die meiste Zeit sind es flirtende oder sexuelle Sprüche, die ich hier nicht wiederholen möchte. Ich bin als weiße, deutsche Frau dort natürlich aufgefallen, auch weil ich zu viel nackte Haut (Arme und Knöchel) gezeigt habe. Auch wenn ich mich auf den Trip vorbereitet hatte, bin ich an diese Sache wohl etwas zu naiv herangegangen, ich habe gedacht, dass lange Kleider und weite Hosen sowie keine Tops und keine schulterfreien Oberteile reichen würden.
Da ich nicht noch weiter auffallen oder danach gefragt werden wollte, habe ich meine Pumpe und den Sensor weitestgehend versteckt, also am Bauch und Oberschenkel getragen. Meine Zimmernachbarin und andere Sprachschüler*innen wussten über den Diabetes Bescheid, ansonsten habe ich mit niemandem dort groß darüber geredet. Da ich meine Boli über mein Handy abgebe, war es auch nicht weiter schwer, unauffällig zu agieren. Sobald ich im gesprochenen Arabisch besser bin, sollte ich wohl auswendig lernen, wie ich Diabetes erklären kann, ohne dass ich Vorurteile wie „zu viel Süßes gegessen“ schüre. Ich kann sagen, dass ich Diabetes habe und mein Essen berechnen muss, aber dann hört es auch schon auf.
(Wer mir das besser beibringen möchte, meldet euch!)
Das Essen in Ägypten stellte mich als vegan Lebende auf die Probe. Die Hälfte meines Koffers waren vegane Lebensmittel. Tatsächlich gibt es Dinge wie Haferdrink und Co. in den größeren Supermärkten in den Expats-Stadtteilen, dort habe ich aber nicht gelebt und ich hatte in meiner Freizeit Besseres zu erkunden als internationale Supermärkte.
Zum Glück sind einige traditionell ägyptische Speisen zufällig vegan. Beispielsweise Kushary, ein sehr günstiges, aber auch sehr sättigendes Gericht. Es besteht aus Linsen, Kichererbsen, Röstzwiebeln und kurzen Makkaroni, getoppt mit Tomatensoße, Essig und Knoblauch. Was erstmal etwas ungewöhnlich klingt, ist wirklich lecker! (Vor allem, wenn man sich wie ich den Tag über von Brot und Kräckern ernährt hat).
Ein weiteres Lieblingsessen von mir war das oben erwähnte Ta’amiya-Sandwich, ein Falafelsandwich. Oft sind die Falafel aber nicht (nur) aus Kichererbsen, sondern aus Fava-Bohnen hergestellt. Was würde ich gerade für ein solches Sandwich geben…
Noch mehr Glück hatte ich mit meinem Hostelmitbewohner Aboud, der Koch ist und für uns Sprachschüler*innen Mittagessen gemacht hat. Er wusste, dass ich vegan lebe, deshalb hat er für mich immer ein Extraessen kreiert.
Dennoch habe ich in Ägypten recht wenig gegessen, bin aber fast überallhin zu Fuß gelaufen und brauchte daher nicht besonders viel Insulin bzw. konnte meine Basalrate stark reduzieren. Das ist immer ein bisschen Tüftelei, meine Werte waren aber für den gesamten Verlauf der Reise sehr zufriedenstellend, auch wenn ich vielleicht etwas zu oft unterzuckert bin.
Jede freie Minute, in der ich keinen Unterricht hatte, habe ich mit dem Erkunden Kairos und Ägyptens verbracht. Ich war in fast jedem Stadtviertel Kairos, auf dem Nil und natürlich bei den Pyramiden von Gizeh. Sowie in Luxor im Tal der Könige, beim Hatshepsut-Tempel und anderen Sehenswürdigkeiten. Mein Highlight war jedoch ein Wochenendausflug in die Al-Fayyum-Wüste.
Mit 6 anderen Sprachschüler*innen, unserem Guide Muhammad und einem Jeep schaukelten wir über viele, viele Sanddünen in die Wüste. Abends angekommen, beobachteten wir dort den Sonnenuntergang und bauten dann unser Zeltlager auf. Um uns herum nichts als Sand und Felsformationen. Und diese beeindruckende Stille, die es nur an ganz besonderen Orten der Erde gibt.
Es wurde schnell kalt, aber wir hatten ein großes Lagerfeuer und Thermo-Schlafsäcke, die wir als Decken nutzten. Daneben hatte ich ganz viel Cola und Traubenzucker in meinem Rucksack mitgeschleppt. Sanddünen hoch- und runterzulaufen, hat meine Blutzuckerwerte ganz schön beansprucht!
Gegen 4 Uhr morgens sind wir wieder aufgestanden, um den Sternenhimmel ohne das störende Licht des Mondes betrachten zu können. Dazu, und um später den Sonnenaufgang zu sehen, sind wir einen der Felsen hochgekraxelt, was zu mehreren Unterzuckerungen führte. Eigentlich war mein Blutzucker auf Schlafen und nicht auf Action eingestellt! So kam es, dass ich zwischen 4 und 7 Uhr morgens nur 10% meiner Basalrate nutzte und trotzdem noch niedrig war. Das war schon ein Erlebnis. Allerdings verblasste es neben dem atemberaubenden Sternenhimmel mit leuchtender Milchstraße, unzähligen Sternschnuppen und Satelliten. Durch die allumfassende Stille und das Sternegucken ist mir zwischendurch ganz schwindelig geworden. Wir haben dann noch auf dem kalten Felsen für Wärme aneinandergekuschelt auf den Sonnenaufgang gewartet, der ebenfalls nicht enttäuschte. Die zwei Tage in der Wüste waren eines dieser einmaligen Erlebnisse, welche ich wohl nie wieder vergessen werde.
Die Reise nach Kairo hat mir wieder einmal gezeigt, dass ich keine Angst vor dem Reisen mit Diabetes haben muss. Auch allein reisend nicht. Ich habe gleich liebe, verständnisvolle Menschen kennengelernt, die mir in allen Situationen, die ich aufgrund des Diabetes hatte, gern geholfen haben. Ich denke, dass es wichtig ist, dass mindestens eine Person über die chronische Erkrankung Bescheid weiß, nur für den Fall. Ansonsten heißt es für mich: Gut vorher planen und über das Land informieren, gegebenenfalls genug „Hypo“-Helfer und auf jeden Fall das Doppelte an Diabetesbedarf ins Handgepäck einpacken und los geht’s!
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