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Typ-1-Diabetes möglichst früh zu erkennen: Beim Diabetes-Dialog betonten die eingeladenen Experten die Bedeutung frühzeitiger Diagnosen und Schulungen. Ohne Ketoazidose starten Kinder besser ins Leben mit der Erkrankung, zudem sind Mut und Aufklärung entscheidend.
Anfang November war es wieder so weit: Der nächste Diabetes-Dialog im Rahmen der Kampagne „Gesünder unter 7 Plus“ fand statt. Thema der Veranstaltung des Unternehmens Sanofi war dieses Mal die Früherkennung des Typ-1-Diabetes., genauer: „Darum ist die Früherkennung von Typ-1-Diabetes so wichtig!“ Zu Gast waren Ivo Rettig, der selbst seit 20 Jahren mit Typ-1-Diabetes lebt – mit 13 Jahren hatte er die Diagnose erhalten –, und Prof. Dr. Karin Lange, Psychologin aus Hannover, die sich seit Jahrzehnten um Menschen mit Diabetes kümmert, vor allem auch um Kinder mit Typ-1-Diabetes und ihre Familien.
Aber es sollte nicht nur um die Früherkennung gehen, sondern auch um das Leben mit der chronischen Krankheit. Martina Wolters betonte zu Beginn das Anliegen der Diabetes-Dialoge: „Wir haben uns schon immer zum Ziel gesetzt, das Leben von Menschen mit Diabetes zu erleichtern, ihre Fragen zu beantworten und aufzuklären.“ Und genau das taten sie in den folgenden 45 Minuten.
Karin Lange hat im Laufe ihres langen Berufslebens viele Kinder gesehen, bei denen man bei der Diagnose des Typ-1-Diabetes nicht wusste, ob sie überleben, weil sie in einer schweren Ketoazidose waren, also einer starken Übersäuerung ihres Körpers. „Von da aus ist die Früherkennung, finde ich, ganz, ganz wichtig, um zu vermeiden, dass Familien in solche Situationen kommen, dass ein Kind notfallmäßig in die Klinik kommen muss“, ordnete sie den Wert der Früherkennung gleich zu Beginn ein.
Für Ivo Rettig begann der Diabetes zwar auch plötzlich und unerwartet, aber nicht in einer Ketoazidose – auch wenn der Blutzucker bei Diagnose bei 939 mg/dl (52,2 mmol/l) lag. „Diabetes kam bis dahin in meiner Familie überhaupt nicht vor. Das heißt, für mich war, auch in meinem Bekanntenkreis, der Diabetes überhaupt nicht vertreten.“ Entsprechend wusste er nichts über diese Krankheit und wie er damit umgehen sollte. „Ich dachte, ich nehme eine Tablette und dann wird das wieder weggehen“, war damals seine Erwartung.
Seine Symptome zuvor waren typisch: Er trank sehr viel – „für mich war kein Kinofilm mehr möglich, ohne das ich zwei Liter Cola – ich wusste es ja nicht besser – getrunken habe“ –, nahm Gewicht ab, sein Atem fühlte sich „klebrig“ an. Außerdem hatte er starke Kopfschmerzen. „Da findet man ganz schnell Begründungen oder Erklärungen, die vermeintlich naheliegen.“ Als er aber am Tag knapp 9 Liter Flüssigkeit brauchte, wurden seine Eltern stutzig. Rückblickend meint er, dass das frühere Wissen, dass ein Typ-1-Diabetes auftreten wird, ihm geholfen hätte: „Es hätte für mich durchaus einen positiven Effekt gehabt, weil ich nicht so überrascht worden wäre und ich nicht so, ich sag mal, in diese Überforderung reingefallen wäre.“
Karin Lange berichtete, dass heute in Studien die Früherkennung des Typ-1-Diabetes in Stadium 1 möglich ist, in dem man zwar bereits Antikörper gegen die insulinproduzierenden Betazellen festellen kann, aber noch keine Symptome vorhanden sind. „In der Masse ist es aber so, dass es fast noch so ist wie bei Ivo – manchmal auch bei den kleinen Kindern ganz dramatisch, die sich ja selber noch nichts zu trinken holen können. Da ist das Symptom die überlaufende Windel.“ Und so vergeht wertvolle Zeit: „Leider wird es bei vielen erst relativ spät erkannt. 40 Prozent der Kinder derzeit in Deutschland haben bei der Manifestation eine Ketoazidose. Das ist schon eine gefährliche und lebensbedrohliche Situation.“ Symptome wie Erbrechen, das typisch ist für eine Ketoazidose, werden oft auf Magen-Darm-Viren geschoben.
Wie aber lebt es sich nun mit Typ-1-Diabetes? Um in ein Leben mit der Erkrankung hineinzukommen, ist eine Schulung speziell für Kinder und Eltern wichtig. Die Psychologin vergleicht den Start mit der Fußzeile bei Filmen: Man muss sich daran gewöhnen. So ist es auch mit Diabetes: Er läuft immer mit, aber „am Anfang ist es harte Arbeit“.
Ivo Rettig bestätigt: „Mit der Diagnose ändert sich der gesamte Alltag. Es gibt immer etwas, was wir berücksichtigen müssen, es gibt immer etwas, worüber wir nachdenken müssen. (…) Es wäre ja schön, wenn Diabetes eine 1+1=2-Rechnung wäre, ist er aber nicht.“ Und so entsteht am Anfang oft einer Überforderung. Diabetes war für ihn zuerst etwas, was überall „Nein“ bedeutete, alles war erst einmal schwierig. Und es erfordert Mut, Dinge auszuprobieren, – erst recht für Eltern, denn sie spüren nicht das, was ihre Kinder spüren. „Wenn wir Kindern Mut machen wollen, müssen wir selber mutig sein“, meinte auch Karin Lange.
Eine weitere Frage, die die Gesprächspertner beschäftigte, war die nach der Schuld am Typ-1-Diabetes bzw. ob Eltern etwas falsch gemacht hätten. „Das ist eine ganz häufige Frage und die muss man ganz klar beantworten: Nein, sie haben nichts falsch gemacht!“, sagt Karin Lange ganz deutlich.
Die Früherkennung erfolgt in einer Blutprobe und bei Antikörper-Funden wird in einer zweiten Blutprobe kontrolliert, erläutert Karin Lange das Vorgehen der Früherkennungs-Untersuchung auf Typ-1-Diabetes. Potenziell sind es alle Kinder, die man testen müsste, denn 90 Prozent der Familien haben keinen Diabetes in der Familie. Wichtig ist aus ihrer Sicht und der von Ivo Rettig, dass diese Untersuchungen gut begleitet werden müssen mit Informationen und Schulungen, um die Familien nicht mit det Information alleinzulassen, dass ein Diabetes auftreten werde.
Sie spricht sich klar aus für die Früherkennungs-Testung: „Ein sehr deutliches Ja, weil wir eben wissen, dass diese schweren Manifestationen mit den schweren Ketoazidosen eben auch Nachteile haben fürs Gehirn, für die Gehirn-Entwicklung eines Kindes. Und die würde ich auf jeden Fall verhindern wollen.“ Außerdem ist ohne Ketoazidose bei Manifestation ein Typ-1-Diabetes leichter zu managen. Und sie ergänzt: „Wenn Sie Eltern erlebt haben, die eine Nacht lang Angst hatten, dass ihr Kind stirbt, weil es in einer schweren Ketoazidose ist, dann wissen Sie, dass Sie das keiner Familie zumuten wollen. Das vergessen die ihr ganzes Leben nicht mehr.“ Schwere Ketoazidosen bei Manifestation treten mit entsprechenden Maßnahmen nicht mehr in 40 Prozent der Fälle auf, sondern nur noch in 2,5 Prozent. Aber „am Ende des Tages ist das eine ganz persönliche Entscheidung“, betont Ivo Rettig hinsichtlich der Früherkennung.
Und lebt man dann mit einem Typ-1-Diabetes, ist ebenfalls eine gute Schulung wichtig, sagt Karin Lange: „Dann kann ich lernen, damit umzugehen. Dann ist der Diabetes irgend so ein Gast, den habe ich nicht eingeladen, kann ich aber nicht rausschmeißen, muss ihn in die Ecke setzen und ab und zu sagen: ‚Halt die Klappe!‘“ Sie ergänzt: „Diabetes ist ein ganz kleiner Teil einer Person und er sollte immer weiter in den Hintergrund treten.“
Im nächsten Jahr geht es weiter mit dem Diabetes-Dialog, freute sich Martina Wolters: „Nach dem Diabetes-Dialog ist vor dem Diabetes-Dialog.“ Diesen und vergangene Diabetes-Dialoge sowie weitere Informationen zum Format und über Diabetes sind zu finden unter www.gesuender-unter-7.de.
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