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Die verfügbaren Innovationen lassen inzwischen eine zwar nicht ursächliche, aber "technische Heilung" des Typ-1-Diabetes möglich erscheinen, weil die wesentlichen Komponenten vorhanden sind, nämlich Glukosesensoren, Insulinpumpen und qualitativ hochwertige kurzwirksame Insuline. Zusammen mit entsprechenden Algorithmen zur Berechnung der Insulindosierung auf Basis aktueller Glukosewerte und des metabolischen Zustands des Patienten lässt sich damit ein autonom geregeltes, geschlossenes System aufbauen (Closed-Loop-System).
Die Nachbildung der natürlichen Regulation des Glukosestoffwechsels mit Hilfe eines idealen Systems würde bedeuten, das Insulin so zu ersetzen, dass es nach der Zufuhr zunächst in hoher Konzentration in der Pfortader der Leber zur Verfügung steht, erst danach die Peripherie erreicht und dort die Glukosekonzentration reguliert. Idealerweise wäre dazu das Sekretionsmuster der insulinproduzierenden Betazellen nachzubilden, ein kurzer Gipfel bereits in der Phase unmittelbar nach Nahrungsaufnahme und anschließend die von der Glukosekonzentration abhängige Sekretion.
Die physiologische Insulininfusion bedarf also der Insulinabgabe in die Pfortader. Näherungsweise erreicht werden kann das über eine Zufuhr in den Bauchraum (intraperitoneal), wobei der Katheter über die Leber gelegt wird und das Insulin auf deren Gewebe abgibt. Aus Nutzen-Risiko-Erwägungen heraus ist dieser Zugangsweg nicht für eine breite Indikationsstellung geeignet.
Mit der Insulinabgabe ist nur die Reaktion auf ansteigende Glukosewerte gegeben. Im Fall sinkender Glukosekonzentrationen werden kontrainsulinäre Hormone, insbesondere Glukagon, wirksam. Auch diese Seite müsste bei einem idealen Closed-Loop-System berücksichtigt werden.
Die derzeit favorisierte Variante besteht in der subkutanen Insulinzufuhr aus einer externen Insulinpumpe. Dieses Closed-Loop-System bietet am ehesten den Zugang für eine alltagstaugliche Lösung. Das bedeutet aber Kompromisse:
Weiterhin bedarf die Steuerung des Systems eines kontinuierlich messenden Glukosesensors. Hier ist die subkutane Messung möglicherweise ideal. Allerdings ist die Diabetestherapie derzeit noch auf die Messung des Blutzuckers ausgerichtet. Richtet man sich daran aus, so sind die physiologisch bedingten Unterschiede zwischen Blutglukose und Gewebsglukose, z. B. im Fall von Glukoseanstiegen und -abfällen, mit zu berücksichtigen.
Das Bindeglied zwischen einer externen Insulinpumpe und einem im Unterhautfettgewebe platzierten Glukosesensor ist die Software, welche die Algorithmen zur Insulinabgabe auf Grundlage der gemessenen Glukosewerte beinhaltet. Diese muss die genannten Abweichungen des Alltagssystems im Vergleich zum idealen Closed-Loop-System abfangen.
Das heißt, dass die Pharmakodynamik des subkutanen Insulins, die Notwendigkeit der prädiktiven Beurteilung der Glukosekonzentration und Zeitverzögerungen durch die Glukosemessung bei der Kalkulation der Insulingabe auf Grundlage der gemessenen Glukosewerte zu berechnen sind. Besonders herausfordernd ist die Aufgabe, wenn das System keine schnell wirksamen Gegenmaßnahmen bei abfallendem Glukosewert vorsieht, also ohne Glukagon gesteuert wird.
Bisher wurden Closed-Loop-Systeme in verschiedenen Arbeitsgruppen entwickelt, z. B. internationale Forschungsprojekte, wie "AP@home", "DREAM" und "DIAdvisor" in Europa, Vorhaben der JDRF (Juvenile Diabetes Research Foundation) in den USA und Unternehmen wie Medtronic und Johnson & Johnson, und in Studien getestet. Die benutzten Modelle und Algorithmen sind dabei durchaus vergleichbar, ebenso die Ergebnisse, die eine deutlich bessere Glukoseregulation zeigen, als das unter der Insulinpumpentherapie der Fall ist. Aber die Ergebnisse zeigen hyperglykämische Glukoseexkursionen über den physiologischen Grenzbereich hinaus und auch Hypoglykämien.
Dazu wird diskutiert, ob die Algorithmen zu verfeinern sind, die Glukosesensoren genauer messen müssen und noch kürzer wirksames Insulin bereitgestellt werden muss. Durch neue Insuline wie ViaJect™ oder BioCharperone Lispro oder eine enzymatische Wirkungsbeschleunigung wie bei Insulinanaloga mit Hyaluronidase könnte Letzteres gegeben sein. Trotzdem wird ein Unterschied bleiben, denn das kurze Zeitintervall der Insulingabe über die Pfortader der Leber kann mit subkutaner Insulingabe nicht erreicht werden. Das betrifft auch bereits mehrfach publizierte Studien mit einem bihormonellen System, also der simultanen Infusion von Insulin und Glukagon.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Transplantationsmedizin bewährt, so dass der vollständige Ersatz des gesamten Pankreas bzw. auch das Transplantieren ausschließlich der insulinproduzierenden Inselzellen (Inselzelltransplantation) möglich ist. Beide Methoden zur Wiederherstellung der endogenen Insulinproduktion stoßen allerdings an Grenzen, weshalb sie nach wie vor recht selten angewendet werden können.
Ein generelles Problem bei Organtransplantationen und auch bei der Transplantation einzelner Zellen besteht im Einpflanzen von fremdem Gewebe in den Körper des Patienten. Ein grundsätzliches Problem ist die nicht ausreichende Verfügbarkeit von Spenderorganen, egal, ob die Implantation des gesamten Pankreas erfolgt oder die Transplantation der vorher aufwendig separierten Inselzellen. Weiterhin bedarf die Transplantation von fremdem Gewebe einer immunsuppressiven Therapie, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden.
Derartige Medikamente – egal ob steroidhaltig oder nicht – sorgen für Nebenwirkungen. Insbesondere erhöht die Immunsuppression das Risiko für Infektionskrankheiten verschiedener Art. Diese Probleme führen generell zu einer Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses. Eine Transplantation ist deshalb sicher nicht gerechtfertigt, um eine bessere Diabeteseinstellung zu erzielen. Sie ist deshalb derzeit nur wirklich sinnvoll, wenn gleichzeitig andere Organe ersetzt werden müssen, in der Regel die Niere wegen bestehender Niereninsuffizienz und Dialysepflichtigkeit.
Die simultane Transplantation von Niere und Pankreas/Inselzellen ist deshalb eine bevorzugte Transplantationsmethode. Eine immunsuppressive Therapie muss in diesem Fall sowieso vorgenommen werden. Auch ist selbst die Einjahresüberlebensrate der Pankreata/Inselzellen keinesfalls 100 %. Die dem Typ-1-Diabetes zugrundeliegende Autoimmunerkrankung tritt weiterhin auf und findet im transplantierten Gewebe ein neues Ziel. Auf keinen Fall kann man bei der derzeit praktikablen Transplantationsmedizin von einer "biologischen Heilung" sprechen.
Eine Verbesserung der Situation würde eintreten, wenn sich Inselzellen erfolgreich verkapseln ließen, so dass kein Angriff des Immunsystems auf diese erfolgen kann. Die Verkapselung muss so beschaffen sein, dass an die verhüllten Inselzellen noch Nährstoffe herankommen, um die Zellen lebensfähig zu halten. Das recht große Molekül Insulin muss nach außen abgegeben werden können. Dagegen dürfen die aktiven Zellen des körpereigenen Immunsystems nicht in die Kapsel eindringen.
An diesem Problem wird umfassend geforscht, sowohl was die Verkapselung einzelner Zellen betrifft als auch von ganzen Zellverbänden. Letzteres bedeutet den Einschluss von Inselzellen in eine biokompatible Kammer, die dem Patienten subkutan implantiert wird (siehe auch Interview Seite 18).
Ethische Bedenken gibt es bei der Gentherapie, die sich ebenfalls noch am Anfang der Entwicklung befindet. Als denkbare Ansätze für die "biologische Heilung" bietet diese die Herstellung insulinproduzierender Zellen für die Transplantation über die
Alle diese Zugänge sind im Tiermodell experimentell realisiert worden, befinden sich aber bezüglich der humanen Anwendung noch im Stadium der Grundlagenforschung. Selbst bei erfolgreichen Versuchen und einer sicheren Technologie der Herstellung der Inselzellen ist es ein weiter Weg bis zu einer Zulassung einer solchen "biologischen Heilung" – die sicher aufkommenden Diskussionen über ethische Fragen mit eingeschlossen.
Die technische und die biologische Heilung sind Gegenstand intensiver Forschung. Die Frage ist, bis zu welchem Punkt von einer Therapie und ab welchem Punkt von einer Heilung gesprochen werden kann. "Heilung" wäre, dass der Patient völlig frei ist von therapeutischen Maßnahmen.Die technische Umsetzung des artifiziellen Pankreas ist greifbar, stellt aber nur die bestmögliche Therapie dar. Die biologischen Methoden, Herstellung und Verkapselung von Inselzellen bzw. Gentherapie, kommen einer Heilung näher, befinden sich aber trotz umfangreicher Forschung immer noch am Anfang.
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