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Erreger für Infektionen sind trotz vieler Fortschritte in der Medizin nicht besiegt. Da Menschen mit Diabetes ein höheres Risiko für Infektionen und schwerere Verläufe einer Krankheit haben können, sind Impfungen zu empfehlen.
Menschen mit Diabetes haben nicht nur ein deutlich erhöhtes Risiko für Infektions-Krankheiten, diese verlaufen häufig auch schwerer. Auch die Situation des Glukosestoffwechsels spielt eine Rolle – je höher und weniger stabil die Glukosewerte sind, desto größer ist auch die Gefahr für Komplikationen. Die COVID-19-Pandemie hat darüber hinaus noch aufgezeigt, dass insbesondere Menschen mit Diabetes und Übergewicht im Fall einer schweren Erkrankung mit einem deutlich schlechteren Verlauf zu rechnen haben.
Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl (Bad Kissingen) ist Internist sowie Facharzt für Diabetologie, Angiologie und Sozialmedizin und hat jahrzehntelange praktische Erfahrung in der Behandlung und Schulung von Menschen mit Diabetes in Praxis und Klinik. Er schreibt in der Rubrik Diabetes-Kurs über die Diabetes-Therapie und alles, was sonst noch mit dem Diabetes zusammenhängt.
Hohe und instabile Glukosewerte schwächen das Immunsystem – sowohl das angeborene oder unspezifische Immunsystem als auch die Aktivität bestimmter Blutzellen – der T- und B-Lymphozyten –, die für eine funktionierende Immunabwehr im Fall einer Infektion elementar sind.
Das unspezifische Immunsystem bildet mit Haut und Schleimhäuten sowie Stoffen und Zellen, die Erreger immer auf gleiche Weise bekämpfen, quasi eine Barriere. Beim erworbenen Immunsystem haben B- und T-Lymphozyten gelernt oder lernen, spezifisch auf einzelne Erreger zu reagieren und diese gezielt zu bekämpfen. Bei älteren Menschen kommt es zusätzlich zu einer altersbedingten Schwächung des Immunsystems.
Der 72 Jahre alte Stefan H. hat seit acht Jahren Typ-2-Diabetes. Er klagt plötzlich über brennende Schmerzen im Bereich der rechten Brust. Vor Jahren hatte er einen schweren Herzanfall, weswegen sogar eine Herzkatheter-Untersuchung durchgeführt wurde. Nach dem Aufdehnen von zwei Herzkranz-Arterien war er wieder beschwerdefrei.
Aus Angst vor einem ähnlichen Ereignis ruft Stefans Frau den Rettungswagen, der ihn ins Krankenhaus bringt. Dort staunt der diensthabende Arzt nicht schlecht, als er in einem handbreiten Streifen im Bereich des Brustkorbs rechts viele Hautbläschen sieht. Diese Region schmerzt extrem, schon bei geringster Berührung durch die Kleidung.
Mit der Diagnose eines akuten Herpes zoster (Gürtelrose) wird Stefan H. mit Medikamenten behandelt. Ein Herzinfarkt kann ausgeschlossen werden. Als Kind hatte er eine Windpocken-Erkrankung – eine Impfung gegen Herpes zoster hatte er bisher nicht bekommen.
Um vor bestimmten Infektionen zu schützen, gibt es die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Menschen mit Diabetes, Typ 1 und Typ 2, werden von der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts (STIKO) als Gruppe mit einem erhöhten Risiko für Infektionen und schwerere Verläufe eingeordnet, sodass Impf-Empfehlungen zum Teil anders lauten als für Menschen ohne Diabetes (siehe folgenden Kasten).
Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut empfiehlt bei Diabetes neben den Standard-Impfungen folgende Indikations-Impfungen (Stand 2024):
Influenza (Grippe) | Indikations-Impfung ab 6 Monaten jährlich |
COVID-19 | Grundimmunisierung und Auffrisch-Impfung, ab 6 Monaten Indikations-Impfung |
Pneumokokken (Lungen-Entzündung) | Indikations-Impfung mit Tot-Impfstoff PCV20 unabhängig vom Alter |
Herpes zoster | Indikations-Impfung ab 50 Jahren |
Merke: Impfungen sind eine der effektivsten Maßnahmen, um Infektions-Krankheiten vorzubeugen. Man unterscheidet Standard-Impfungen, die im Prinzip jeder Erwachsene und zum Teil auch Kinder haben sollten, von zusätzlichen Indikations-Impfungen, die nur in bestimmten Situationen bzw. nur für bestimmte Personengruppen empfohlen werden.
Menschen, die geimpft sind, schützen nicht nur sich selbst, sondern auch die Menschen in ihrem Umfeld und somit auch die gesamte Bevölkerung. Wenn sehr viele Menschen gegen eine bestimmte Erkrankung geimpft sind oder bereits daran erkrankt waren, bezeichnen Experten das als Gruppen- oder Herden-Immunität.
Bei der aktiven Impfung werden Erreger einer Krankheit – abgeschwächt (Lebend-Impfstoff) bzw. abgetötet (Tot-Impfstoff) – oder Zell-Bestandteile des Erregers in einen Muskel gespritzt, meist den großen Oberarm-Muskel (Musculus deltoideus). Als dritte Möglichkeit können auch nur bestimmte Bestandteile des Erregers, die gentechnisch hergestellt werden, geimpft werden.
Durch die Impfung meint der Körper, er werde angegriffen, und produziert Abwehrzellen und Antikörper speziell gegen diesen Erreger. Bei einer späteren tatsächlichen Infektion mit diesem Erreger ermöglichen diese Gedächtnis-Zellen und die Antikörper eine starke und schnelle Immun-Reaktion.
Von passiver Impfung spricht man, wenn der Körper nicht selbst Antikörper bilden muss, um gegen den Erreger vorzugehen. Hier werden einem bereits infizierten Menschen Antikörper gegen den Erreger gespritzt, um seine Immunabwehr zu unterstützen.
Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Lungen-Erkrankungen, z. B. eine Lungen-Entzündung (Pneumonie). Bereits leicht erhöhte Glukosewerte erhöhen das Sterbe-Risiko durch eine Lungen-Entzündung deutlich. Sind die auslösenden Bakterien Pneumokokken, verschlechtert das die Situation nochmals.
Eine Impfung sollte als Standard ab dem 60. Lebensjahr erfolgen. Bei Menschen mit Diabetes entfällt die Altersbegrenzung. Geimpft werden soll einmalig mit dem Tot-Impfstoff PCV20. Dieser Impfstoff enthält 20 verschiedene Untertypen der Pneumokokken.
Der Erreger SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus type 2) wurde im Jahr 2020 als Auslöser von COVID-19 entdeckt. Im Verlauf dieser Pandemie und danach gab und gibt es verschiedene Varianten des Virus, gegen die spezielle Impfstoffe entwickelt wurden.
Der Diabetes gilt als einer der Risikofaktoren für eine Erkrankung und einen schwereren Verlauf, wie das Register LEOSS (Lean European Open Survey on SARS-CoV‑2 infected patients) zeigt. Ein gleichzeitig vorliegendes Übergewicht mit Bluthochdruck erhöht das Risiko weiter. Auf der anderen Seite zeigt sich in großen Studien ein bis zu 60 Prozent höheres Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes nach einer Infektion mit SARS-CoV-2. Nach dem Stand der aktuellen Forschung gibt es keinen Zusammenhang zwischen der COVID-19-Impfung und dem Neuauftreten eines Typ-1- oder Typ-2-Diabetes.
Aktuell ist noch nicht klar, ob eine jährliche Wiederholungs-Impfung nach einer Grundimmunisierung, die die Basis für die spezifische Immunabwehr gegen SARS-CoV-2 darstellt, erforderlich bzw. sinnvoll ist. Jedoch empfiehlt die STIKO diese bei Menschen mit Diabetes wegen ihres potenziell schwächeren Immunsystems. Auffrisch-Impfungen sollten nach dem aktuellen Stand mit einem mRNA-Impfstoff, der aus der Omicron-Variante des Virus und dem ursprünglichen Virus (als bivalent bezeichnet) besteht, durchgeführt werden.
Die Hepatitis B, eine Entzündung der Leber, ist laut Daten aus den USA 2,1-fach häufiger bei Menschen mit Diabetes. Seit 2011 gilt die Empfehlung, Menschen mit Diabetes bis zum 59. Lebensjahr gegen Hepatitis B zu impfen. Seit 1995 werden Säuglinge grundimmunisiert. Insbesondere Menschen mit Diabetes, die eine Therapie mit Dialyse erhalten, sollten geimpft werden.
Die jährliche Influenza-Impfung, also gegen die „echte“ Grippe, wird zu selten durchgeführt, obwohl gerade Menschen ab 60 Jahren und besonders Menschen mit einer chronischen Erkrankung häufig daran erkranken und auch sterben. Nach einer dänischen Studie mit Daten von 2007 bis 2016 konnte das Risiko für einen Herztod durch eine Impfung um 16 Prozent verringert werden. Menschen mit Diabetes empfiehlt die STIKO eine Impfung gegen Influenza ab 50 Jahren jährlich im Herbst.
Seit 2021 gibt es als Alternative zu den üblichen Grippe-Impfstoffen eine Hochdosis-Variante eines quadrivalenten Impfstoffs für Menschen ab 60 Jahren, die von der STIKO präferiert wird. Dieser Impfstoff enthält vier unterschiedliche Virus-Varianten.
Die durch Diabetes mögliche Immunschwäche ist mit ein Grund für die Zunahme von Herpes-zoster-Erkrankungen. Diese entstehen, wenn das Varizella-Zoster-Virus, das in jüngerem Alter Windpocken auslöst und dann inaktiv in Nervenzellen verbleibt, in höherem Alter und bei nachlassendem Immunsystem wieder aktiv wird und Herpes zoster auslöst. Seit 2018 wird deshalb ab einem Alter von 60 Jahren gegen Herpes zoster geimpft. Bei Menschen mit Diabetes kann die Impfung schon ab dem 50. Lebensjahr erfolgen mit einem Tot-Impfstoff.
Menschen mit Diabetes haben ein höheres Risiko für Infektions-Krankheiten und einen Verlauf mit mehr Komplikationen. Denn ihr Immunsystem kann geschwächt sein. Deshalb sollten Standard-Impfungen aufgefrischt werden und zusätzlich bei besonderen Risiken Indikations-Impfungen durchgeführt werden. Ein vorbereitetes Immunsystem verhindert schwerere Verläufe und beugt meist Komplikationen vor.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (9) Seite 30-33
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