Diabetes-Kurs: Wenn Blut verstärkt fließt oder gerinnt

5 Minuten

© Albina Gavrilovic - iStock / GettyImages
Diabetes-Kurs: Wenn Blut verstärkt fließt oder gerinnt

Wenn Menschen sich verletzen und es blutet, greift der Körper direkt ein und stoppt die Blutung mit einem komplexen System. Kommt es hierbei zu Störungen, können vermehrt und starke Blutungen auftreten oder es kommt zu verstärkter Gerinnung mit Thrombosen.

Blutungen und Blutergüsse sind etwas Alltägliches, insbesondere, wenn man kleine Kinder hat. Aber auch ältere Menschen, deren Haut und Blutgefäße mit zunehmendem Alter immer zerbrechlicher werden (“senile Purpura”), kennen das. Schon leichtes Anstoßen in der Wohnung, z. B. an einem Stuhl, kann Blutungen unter die Haut auslösen. Frauen sind häufiger davon betroffen als Männer.

Foto: privat
Über den Autor

Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl (Bad Kissingen) ist Internist sowie Facharzt für Diabetologie, Angiologie und Sozialmedizin und hat jahrzehntelange praktische Erfahrung in der Behandlung und Schulung von Menschen mit Diabetes in Praxis und Klinik. Er schreibt in der Rubrik Diabetes-Kurs über die Diabetes-Therapie und alles, was sonst noch mit dem Diabetes zusammenhängt.

Blutergüsse finden sich oft zufällig anhand leichter Schmerzen oder bemerkt von anderen v. a. an Oberschenkeln, Gesäß oder Oberarmen. Untersuchungen des Bluts sind meist unauffällig, eine besondere Behandlung meist nicht erforderlich oder möglich.

Erhöhtes Risiko für Blutungen

Es gibt jedoch Erkrankungen, die eine erhöhte Gefahr von Blutungen mit sich bringen. Menschen bluten plötzlich ohne erkennbaren Grund, ohne äußere Einwirkung. Meist blutet es aus der Nase, an der Schleimhaut des Munds und des Verdauungstrakts. Menschen mit einer Bluter-Krankheit, fachsprachlich Hämophilie A oder B, können auch plötzlich Blutungen in ihren Gelenken und Muskeln haben, was sich durch Schmerzen äußern kann.

Das Fallbeispiel

Johanna P., 87 Jahre alt, Typ-2-Diabetes seit 13 Jahren, wohnt in einem Seniorenstift und fühlt sich dort gut betreut. Als sie plötzlich massiv aus der Nase blutet und selbst der Notarzt die Blutung nicht zum Stehen bringen kann, muss sie in das glücklicherweise nahe gelegene Kreiskrankenhaus eingeliefert werden. Sie muss dort sogar mehrere Blutkonserven erhalten.

Bei den weiteren Untersuchungen stellt sich heraus, dass sie schon seit etwa zwei Jahren wegen eines Vorhofflimmerns des Herzens mit einer Tablette behandelt wird, die die Blutgerinnung hemmt. Sie kümmert sich bisher selbst darum, ihre Tabletten einzunehmen.

Nun berichtet sie, dass sie schon mehrfach vergessen hat, diese Tablette zu nehmen, und dann anschließend die doppelte Anzahl zum “Ausgleich” schluckt. Die Auswirkungen waren ihr bis dahin nicht bewusst.

Häufig sind diese Blutungen nicht sehr ausgeprägt. Wenn sie jedoch zum Beispiel im Gehirn auftreten, können sie gefährlich bis tödlich sein. Hinweise auf eine verstärkte Blutungs-Neigung können sein:

  • Flecken nach vermeintlich leichten Stößen,
  • sehr viel länger blutende Wunden z.B. nach zahnärztlichen Eingriffen oder beim Zähneputzen,
  • verstärkte, lang anhaltende Regelblutungen,
  • mehrere oft nur stecknadelkopfgroße Wunden (Petechien), z. B. an den Unterschenkeln),
  • häufige Schleimhaut-Blutungen z.B. am Gaumen,
  • “grundloses”, schwer zu beherrschendes Nasenbluten,
  • “unerklärliche” Blutergüsse z.B. in Muskeln oder Gelenken (ohne erkennbare Verletzung).
Häufige Gründe für spontane und verstärkte Blutungen sind:
  • schwerer Mangel an Blutplättchen (Thrombozyten) mit folgenden Ursachen:
    • ungenügende Bildung von Blutplättchen im Knochenmark
    • verstärkte Zerstörung (bzw. auch Verbrauch) von Blutplättchen durchInfektionen (Verbrauch erhöht) und Medikamente
  • schwere Leber-Erkrankungen (z. B. Leberzirrhose): Bei schweren Leber-Erkrankungen werden oft nicht mehr ausreichend Faktoren (Eiweiße) für die Blutgerinnung gebildet, denn die Leber stellt die meisten für die Blutgerinnung erforderlichen Gerinnungsfaktoren her.
  • Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen, wie Antikoagulanzien: Auch bei korrekter Dosierung besteht immer ein gewisses Blutungsrisiko, wenn eine Therapie durchgeführt wird:
    • mit Spritzen unter die Haut oder in die Vene (z. B. Heparin),
    • mit Tabletten; man unterscheidet:
      • nicht Vitamin-K-abhängige (neue) orale Gerinnungshemmer (Wirkstoffe: Apixaban, Dabigatran, Edoxaban, Rivaroxaban),
      • Vitamin-K-abhängige Gerinnungshemmer (Wirkstoff z. B. Marcumar).
  • vermeintlich harmlose Schmerzmittel (nicht steroidale Antirheumatika) wie Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), Ibuprofen und Diclofenac, denn diese hemmen auch die Funktion der Blutplättchen.

Blutungen vorbeugen

Um Blutungen bei verstärkter Neigung dazu vorzubeugen, empfiehlt sich, Folgendes zu beherzigen:

  • Verletzungen von Gelenken verhindern,
  • möglichst keine nicht steroidalen Antirheumatika einnehmen (wenn nicht indiziert).

Kommt es zu Blutungen, können Ärztinnen und Ärzte diese lokal schnell stillen mit z. B. Fibrinklebern und Antifibrinolytika. Bei Bedarf ist auch die Gabe von Gerinnungsfaktoren nach den Leitlinien der World Federation of Hemophilia (WFH) möglich und notwendig.

Hämophilie: seltene Ursache für eine verstärkte Neigung zu Blutungen

Die Hämophilie ist eine seltene Erbkrankheit, bei der bestimmte Gerinnungsfaktoren zu wenig oder nicht mehr ausreichend in der Leber produziert werden. Die Vererbung erfolgt über einen Defekt im X-Chromosom.85 Prozent der Menschen mit Hämophilie haben eine Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel), 15 Prozent eine Hämophilie B (Faktor-IX-Mangel).

Es sind meist nur die Männer in einer Familie betroffen. Alle Töchter eines “Bluters” sind “Konduktorinnen”, denn sie haben vom Vater das kranke X-Chromosom geerbt. Alle Söhne eines “Bluters” mit einer Frau mit zwei X-Chromosomen ohne den Gendefekt haben keine Hämophilie, denn sie haben ein X-Chromosom ohne Defekt der Mutter geerbt. Die Behandlung und Betreuung von Hämophilie-Patienten erfolgt in entsprechenden Zentren.

Wenn das Blut häufig gerinnt

Andererseits gibt es Menschen, bei denen genau das Gegenteil häufiger als normal auftritt: Sie haben immer wieder “unerklärbare” Blutgerinnsel, also Thrombosen. Oft treten sie in Form von immer wiederkehrenden Thrombosen z. B. in den Venen der Beine auf, können aber auch andere Gefäße betreffen.

Symptome bei verstärkter Gerinnsel-Bildung (Thrombosen) sind:

  • plötzliche Schmerzen und Spannungsgefühl im Bein (z. B. Unterschenkel) mit oder ohne Rötung,
  • verstärkte Sichtbarkeit von Venen (Venenzeichnung) in diesem Gebiet,
  • Zunahme des Umfangs des betroffenen Beins bzw. Schwellung,
  • in der Krankengeschichte häufige (oft frühe) Fehlgeburten bei Frauen.

Bösartige Erkrankungen oder auch andere schwerwiegende Erkrankungen von Organen, z. B. der Niere, gehen häufig mit Thrombosen einher. Aber auch hormonelle Verhütungs-Medikamente (Kontrazeptiva, “Antibaby-Pille”) und andere hormonelle Medikamente können die Blutgerinnung beeinflussen.

Schlaganfall und Herzinfarkt

Oft findet man Thrombosen in den oberflächlich bzw. tief liegenden Venen der Beine und des Beckens. Diese Thrombosen bergen die Gefahr einer Lungen-Embolie, weil sich die Gerinnsel lösen und in die Lungen-Gefäße geschwemmt werden können.

Thrombosen können aber auch in allen anderen Gefäßen des Körpers vorkommen. Je nach betroffenem Gebiet können sie verheerende Folgen haben. Bei einer Thrombose in einem Darm-Gefäß kann z. B. ein Darm-Infarkt auftreten, also ein Teil des Darmgewebes absterben. Eine unkontrollierte Blutgerinnung kann in besonders sensiblen Organen wie dem Gehirn oder dem Herzen zu einer Katastrophe führen. Die Folgen können z. B. ein Schlaganfall und ein Herzinfarkt sein.

Sinn der Blutgerinnung

Unser Blutkreislauf stellt ein kleines Wunderwerk dar. Sämtliche Gefäße werden stets durchblutet. Nur bei einer inneren oder äußeren Verletzung sollte die verletzte Stelle schnell wieder abgedichtet werden – jedoch nicht zu stark oder überschießend. Danach sollte alles wieder “wie vorher” sein. Damit dies reibungslos funktioniert, greifen verschiedene Mechanismen ineinander, die voneinander abhängig sind.

Bei der Verletzung eines Blutgefäßes geschieht Folgendes:
  • Die Blutgefäße bzw. die Muskelfasern der Gefäßwand an der verletzten Stelle ziehen sich zusammen.
  • Es kommt zu einer Aktivierung von Blutplättchen im Blut selbst. Diese geben Substanzen frei, die mit der verletzten Stelle und dem dortigen Gewebe reagieren.
  • Es kommt zu einer Aktivierung von Gerinnungsfaktoren, die in der Leber produziert werden, die wiederum mit den Blutplättchen und von diesen freigesetzten Substanzen sowie der verletzten Gefäßregion reagieren.
  • So entsteht schließlich als Erstes eine Art Blutpfropf, der die verletzte Gefäßwand abdichtet.
  • Jetzt zieht sich die verletzte Gefäßstelle zusammen, sodass immer weniger Blut ausfließen kann. Von außen drückt das bereits geronnene Blut bzw. der Blutpfropf dagegen. Die Blutung stoppt.
  • Durch die Aktivierung der Gerinnungsfaktoren wird nun eine Reaktion (Gerinnungs-Kaskade) in Gang gesetzt, die schließlich zu einer Ausbildung eines festen Netzwerks aus Fibrin (wirkt wie Klebstoff) und Blutplättchen führt. Das ermöglicht den dauerhaften Wundverschluss.
  • Gleichzeitig mit dem Verschluss der Wunde beginnt die Auflösung (Lyse) des “vorläufigen” Blutpfropfs, sobald die verletzte Stelle wieder verheilt ist.

Die Blutstillung (Hämostase) läuft also als vorläufige rasche Blutstillung (primäre Hämostase) mit Bildung eines weißen Blutpfropfs innerhalb von ein bis drei Minuten ab. Die sekundäre Hämostase führt dagegen zur Ausbildung eines endgültigen Verschlusses mit einem gemischten Thrombus mit weißen und roten Anteilen durch die roten Blutkörperchen. Das Endprodukt der Blutgerinnung ist ein Netzwerk aus Fibrin-Fasern, das dem Thrombus Festigkeit verleiht.

Was zur Gerinnung beiträgt

Die einzelnen Gerinnungsfaktoren werden mit römischen Ziffern gekennzeichnet (I bis XIII). Darüber hinaus spielen bei der Blutgerinnung und deren Hemmung viele weitere Faktoren wie Substanzen aus den Blutplättchen, aber auch der Zellen der Gefäß-Innenwände (Endothel) eine wichtige Rolle (z. B. von-Willebrand-Faktor), ebenso Kalzium und die Proteine C und S, die die Gerinnungsfaktoren beeinflussen.

Für die Produktion einiger Gerinnungsfaktoren (II, VII, IX und X, Protein C, S) wird Vitamin K benötigt, weshalb man durch medikamentöses Hemmen von Vitamin K eine verstärkte Gerinnung verhindern kann (z. B. Marcumar).

Zusammenfassung

Ein intaktes “Blutgerinnungssystem” – eine funktionierende Hämostase – ist lebenswichtig. Oft führen erst Probleme bei der Gerinnung zu einer weitergehenden Diagnostik. Immer wiederkehrende unklare Blutungen bzw. Thrombosen sollten Anlass sein, weiter nach der Ursache zu suchen. Es bestehen heute sehr gute Möglichkeiten der Therapie sowohl bei Blutungen als auch bei der Neigung zu Thrombosen.


von Dr. Gerhard-W. Schmeisl

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (8) Seite 32-35

Ähnliche Beiträge

Diabetes-Anker-Podcast: Typ-1-Diabetes früher erkennen und sogar aufhalten – ist das möglich, Frau Prof. Ziegler?

Wie lässt sich Typ-1-Diabetes erkennen, schon bevor Symptome auftreten? Und was wird in der AVAnT1a-Studie untersucht – und mit welchem Ziel? Darüber sprechen wir im Diabetes-Anker-Podcast mit Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler.
Diabetes-Anker-Podcast: Typ-1-Diabetes früher erkennen und sogar aufhalten – ist das möglich, Frau Prof. Ziegler?

3 Minuten

Kommt es am Ende doch auf die Größe an?

Insulinpumpen werden immer kleiner – ein Fortschritt für viele, doch für manche Menschen mit Diabetes ein Problem. Community-Autor Daniel legt dar, warum Pumpengröße und Insulinmenge aus seiner Sicht entscheidend für individuelle Bedürfnisse bleiben.
Kommt es am Ende doch auf die Größe an? | Foto: privat

5 Minuten

Community-Beitrag

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert