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Welch ein Glück doch die Menschen haben, die essen können, was sie wollen und wie viel sie wollen, ohne zu- oder abzunehmen. Bei mir war das nicht so. Ich bin in meinen 25 Jahren von spargeldürr auf dick, wieder zurück und irgendwo mittendrin. Ich liebe Essen, aber ich möchte mich mit meinem Aussehen auch wohl fühlen. Dass das manchmal schwer unter einen Hut zu bekommen ist, habe ich oft am eigenen Leib erfahren müssen.
Bis heute zieht mich meine Tante damit auf, was ich für ein hässliches Kind war. Wie ein Minion! Klein, aufgedunsen, dick. Gott sei Dank war das ja nie meine Schuld. Denn laut der Behauptung meiner Oma und Tanten und Onkel väterlicherseits lag das eindeutig an dem Schwangerschaftsdiabetes meiner Mutter! Als Kind glaubt man sowas gerne!
In jungen Jahren war ich eigentlich recht dünn. Mit der Scheidung meiner Eltern änderte sich das, denn ab da waren wir oft bei Oma (Mutter der Mutter), die gerne üppig auftischte, was dazu führte, dass ich im Grundschulalter wieder schnell zunahm.
Als ich mit etwa 10 Jahren zu meiner Mutter in die Stadt zog, wechselte ich auch die Schule. Ich kam in eine Klasse, in der hauptsächlich Mädchen aus dem „Reichenviertel“ waren. Alle sehr gebildet, mit Eltern, die Ärzte oder Piloten waren. Mädchen, die zweimal die Woche zum Reiten oder zum Tennis gingen. Ich fuhr damals Go-Kart-Slalom. Ein Sport, der den Körper nicht wirklich beanspruchte, was sich auch auf mein Gewicht auswirkte.
Zwischen all diesen „perfekten, jungen Damen“ war ich natürlich wie die Stinkmorchel im Blumengarten. Das führte dazu, dass ich oft gehänselt wurde, weil ich beim Sport immer die Letzte war und mir Geschichten ausdachte, um bei den Anderen Eindruck zu schinden, die aber irgendwann aufflogen. Zu meiner Verteidigung sagte ich immer, dass ich so dick sei wegen des Schwangerschaftsdiabetes meiner Mama. Damals habe ich das wirklich geglaubt.
Die ersten Jahre mit dem Diabetes, welchen ich in der fünften Klasse bekam, liefen ziemlich gut. Bis ich in die Pubertät kam und das „Insulinpurging“ für mich entdeckte. Jahrelang waren meine Werte katastrophal und auf die Spitze habe ich das Ganze getrieben durch hohe Werte und zusätzliches Hungern! Mein Ziel hatte ich erreicht! Ich war schlank und „hübsch“, aber mir ging es zunehmend schlechter. Irgendwann konnte ich das Essen kaum in mir behalten und übergab mich häufig. Wenn ich diese Phase erreicht hatte, achtete ich wieder ein paar Monate auf meine Werte, nur um danach wieder mit dieser Dummheit anzufangen.
Der entscheidende Wendepunkt war auf einem Festival. Ich hatte nicht richtig gegessen, dazu kam die Hitze und die ein oder andere Dose Bier und Stress mit meinem damaligen Freund. Ich hatte in den Wochen vorher stark an Gewicht verloren. Das alles führte dazu, dass mich Freunde total schwach abends in den Campingbus legten. Das Messgerät zeigte schon nur noch HIGH an und auf Drängen gab ich mir endlich einen Schuss Insulin. Ich war todmüde und schlapp, aber meine Freunde wollten mich nicht einschlafen lassen, bis die Werte unten waren – die einzig richtige Entscheidung. Nach ein paar Stunden und wahrscheinlich 3 Litern Wasser ging es mir langsam besser. Ich fühlte mich die kommenden Tage immer noch wie gerädert, versprach aber, für die restliche Zeit meinen Blutzucker im Griff zu haben, was auch klappte.
Zuhause angekommen, ließ ich die Tage vorher Revue passieren. Natürlich spielten viele Faktoren an diesem Tag eine Rolle, aber ich bin mir sicher, hätte mein Blutzucker gepasst, wäre die Situation nicht so ausgegangen und meine Freunde hätten sich keine Sorgen um mich machen müssen!
Auch danach hatte ich noch Probleme mit entgleisten Werten und HbA1c, das das ein oder andere Mal über der Norm lag. Jedoch habe ich mich von der ungesunden Insulinpurging-Methode seitdem verabschiedet! Selbst in den Zeiten, in denen ich meine Werte nicht im Griff hatte, ließ ich trotzdem brav meine Basalrate laufen, um nicht einem totalen Insulinmangel zu erliegen.
Auf dem Bild seht ihr mich und meinen Bruder ein paar Monate nach dem Ereignis auf dem Festival. Vorher wäre es unvorstellbar gewesen, auf einen Berg hinaufzuwandern, da ich dafür einfach zu schlapp war auf Grund der hohen Werte.
Es gibt heute immer noch Monate, in denen ich mit meinem Gewicht nicht zufrieden bin. Jedoch zeigte mir dieser Festival-Tag vor vielen Jahren, dass es keine Lösung ist, „hübsch“ auszusehen auf Kosten meiner Gesundheit!
Mein Diabetes hat mir die Chance gegeben, meinen Körper weitestgehend zu akzeptieren, und mir aufgezeigt, dass der schnellste Weg nicht immer der beste ist. Heute bin ich lieber fit, ein bisschen stämmiger und kann trotz Diabetes alles machen, was ich will, als mich schlank im Bett zu wälzen, zu übergeben und alle halbe Stunde auf Toilette zu rennen.
Auch Annika hat das gefährliche Insulinpurging betrieben. Wie sie ihren Weg herausgefunden hat, lest Ihr hier.
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